Kolumne:Vinyl vs. Virus

Auch online ist ein Plattenladen besser als jeder Algorithmus

Von Michael Zirnstein

Christos Davidopoulos lässt die LP auf 45 Umdrehungen anlaufen, nicht wie erforderlich auf 33. Das wäre auf Amazon beim MP3-Probehören nicht passiert. Halb so schlimm, oder: umso besser. Ein Zuhörer, der diesen Testlauf der für Samstag, 21. März, um 16 Uhr geplanten Platten-Vorspielstunde auf Facebook verfolgt hat, schreibt, er finde das Stück des libyschen Reggae-Musikers Ahmed ben Ali schneller ohnehin besser. Aber auch im richtigen Tempo verbreitet es lässig gute Laune. So wie Christos Davidopoulos, der DJ. Seit 32 Jahren, als er sein Physik-Studium in München gemeistert hat, berät der Grieche im Optimal-Records-Laden.

Das bestens sortierte Schallplatten-Geschäft an der Kolosseumstraße hat den Großangriff der Internetkraken und die neuen Streaming-Gewohnheiten bisher abgewehrt, weil hier Musikalienerwerb nicht in die digitale Isolation führt, sondern zum analogen Gemeinschaftserlebnis beim Stöbern und bei Shop-Konzerten wie neulich von Anti-Flag. Und weil hier die Empfehlungen nicht auf Algorithmen beruhen, sondern auf der Geschmackssicherheit und der Menschenkenntnis von Kundigen wie Davidopoulos. Dass er kein Freund vom "Amazon-Kack" ist, kann man sich vorstellen. Er hat nicht mal ein Handy. Brauchte er nicht, bisher. Aber jetzt, da wegen der Virus-Krise auch das Optimal schließen musste, nutzt er selbst das Netz: An diesem Samstag sendet er via Facebook ("Verus Optimalus") aus dem kundenleeren Laden, holt Vinylplatten aus der Hülle, zeigt das Cover, erzählt etwas dazu, etwa dass Franco et l'orchestre O.K. Jazz eine der führenden Afro-Bands in den Sechzigern aus dem Kongo waren und ihre Musik gerade auf der Compilation "La Rumba De Mi Vida" erschienen ist. Oder er spielt Four Tets neues Album "Sixteen Oceans" vor, "ein toller Mix aus Indie-Pop und Dance".

Weil er einige Kunden hat, die bei der Gema arbeiten, hat er sich schon erkundigt, ob es aufführungsrechtliche Probleme gibt. Gibt es wohl nicht. Dann müssen die Kunden nur noch bestellen, übers Internet, am Telefon oder wie früher postalisch. Gerade kommt Davidopoulos von der Post, hat die Pakete mit Platten verschickt, die nach dem Testlauf geordert wurden. Vor allem "Ahmed ben Ali". Nur wenn das so weitergeht, kann es weitergehen mit dem Optimal. Und das wäre wichtig und schön.

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