Notdienst-Apotheken:Gesund werden mit Death Metal

Apotheke

Im Apotheken-Notdienst können Überraschungen warten.

(Foto: dpa)

Eine Apotheke in der Maxvorstadt gewinnt dem Notdienst eine ganz eigene musikalische Note ab - wie wohltuend, nach Wochen voller Jingle Bells.

Kolumne von Julian Hans

Als Kunde hat man sich daran gewöhnt, dass das moderne Marketing nichts dem Zufall überlässt. Apple bietet Elektronik in gläsernen Kathedralen an, das Modehaus Abercrombie & Fitch fängt den Kunden mit einer Parfümwolke ein, die er über die nächsten Stunden nicht mehr abschütteln kann. Und moderne Apotheken sind in einem derart strahlenden Weiß gehalten und so hell ausgeleuchtet, dass man nach dem Eintreten zweifelt, ob man noch krank ist oder bereits im Himmel.

Wie erholsam, wenn einige dem Trend zum sterilen Optimismus trotzen. In der St.-Josefs-Apotheke an der Görresstraße stehen noch Pulverdosen aus Porzellan und Glasflaschen mit farbigen Tinkturen in Regalen aus Holz, die in einem früheren Jahrhundert einmal ein echter Schreiner maßgefertigt und mit Intarsien und Schnitzereien versehen hat. Mit den Jahren ist das Holz fast schwarz geworden, und die Beschriftungen auf den Flaschen und Dosen wirken heute noch geheimnisvoller als damals, weil niemand mehr Latein versteht.

Notdienst am Sonntag vor Weihnachten. Der heilige Josef schaut von seinem Platz über dem Verkaufstresen barmherzig wie immer herab auf den Apotheker im weißen Kittel und die Schlange der Gezeichneten, die sich vor Heiligabend den Scharlach eingefangen oder die Hand am Backofen verbrannt haben. Das Senioren-Magazin liegt aus, im Angebot: Wärmepflaster und Baldrian. Und aus dem Hinterzimmer dröhnt laut Heavy Metal. Wütender Gesang und jammernde Gitarren in Schlagzeuggewittern.

"Schwedische Volksmusik", erklärt der Mann im Kittel gut gelaunt. "Das Passende zu Weihnachten." Und natürlich hat der Apotheker recht: Nach vier Wochen Zwangsbeschallung mit "Stille Nacht" und "Feliz Navidad" ist eine Dosis Brüllgesang so erlösend wie der eingelegte Hering nach zwei Tellern Plätzchen und Stollen. In der Schlange der Verschnupften und Besorgten breitet sich Heiterkeit aus.

Allem Marketing zum Trotz: Wer an seinem Arbeitsplatz seine Lieblingsmusik hört und sich wohlfühlt, der tritt gut gelaunt vor die Kundschaft. Und nichts wirkt so attraktiv wie gute Laune. Lieber eine Apotheke mit Death Metal als ein Abercrombie-Model, das seinen Arbeitsplatz nicht mehr riechen kann. Oder eine Karstadt-Verkäuferin, die nach dem tausendsten "Jingle Bells" mit dem Geschenkbandspleißer Amok läuft.

Vielleicht wäre Heavy Metal aber überhaupt ein gutes Konzept für Apotheken und Wartezimmer. Jeder Schamane weiß schließlich: Einen fiebernden Patienten heilt man nicht, indem man ihm ein besänftigendes Eiapopeia zusäuselt. Ein guter Schamane greift das Delirium auf, schlägt auf die Pauke und macht ordentlich Wirbel, um den Kranken hernach im Diminuendo langsam aus seinem Wahn herauszuführen.

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