Kolumne: After Eight:Zuhälter statt Zahnarzt

Neon-Aerobic-Outfits, Dauerwellen-simulierende Lockenperücken, weit aufgeknöpfte Blumenhemden - die Münchner schlüpfen abends gerne mal in andere Rollen. Mottopartys sind der letzte Schrei.

Beate Wild

Die Geschmacklosigkeit der Leute kennt keine Grenzen. Das war zumindest unser erster Gedanke, als wir neulich am Abend zufällig einen Freund trafen. Er trug eine hautenge Jogginghose im Robin-Hood-Stil, darüber eine Boxershorts. Das Oberteil war ein ebenfalls hautenges, orange-blaues Sweatshirt, den Kopf schmückte ein weißes Frottee-Stirnband.

Kolumne: After Eight: Auch sehr beliebt in den Achtzigern: Der Madonna-Style.

Auch sehr beliebt in den Achtzigern: Der Madonna-Style.

(Foto: Foto: istock)

Selten jemanden gesehen, der so dämlich aussieht. Ob er wohl gerade vom Sport käme, war unsere erste Frage. Nein, nein, er sei gerade auf dem Weg zu einer Party, war die Antwort. Unserem entsetzten Blick folgte die Erklärung, es handele sich um eine Achtziger-Jahre-Party.

Hätten wir uns eigentlich gleich denken können. Mottopartys sind in letzter Zeit der Trend in München. Was eigentlich sehr verwundert, denn die Münchner sind bekanntermaßen ausgemachte Faschingsmuffel. Im Zusammenhang mit der närrischen Zeit mögen sie das Verkleiden überhaupt nicht. Und lustig sein auf Kommando widerspricht der bayerischen Grantler-Natur sowieso. Doch offensichtlich sehnt sich selbst der sonst so puristisch und gemütlich veranlagte Münchner hin und wieder danach, in eine andere Rolle zu schlüpfen.

Vor allem die achtziger Jahre scheinen als Partymotto momentan sehr in Mode. Neulich erst waren wir selbst zu einer solchen Privatparty eingeladen. Auch die Location war recht speziell. Für die Sause hatten die Gastgeber das Bordell Bel Ami in der Dachauer Straße angemietet. Ohne die dazugehörigen Damen, versteht sich. Aber in den Räumlichkeiten des Puffs lässt sich prima eine Mottoparty feiern. Rote Plüschsofas, üppige Dekoration und in der Mitte eine Stange zum Tanzen.

Die Leute erschienen auch erwünscht geschmacklos. Die Damen bevorzugt im Neon-Aerobic-Outfit, mit Dauerwellen-simulierenden Lockenperücken, Stulpen und Schweißbändern. Gerade so, als wären sie dem 1983 produzierten Film "Flashdance" entsprungen. Manche Mädels erinnerten auch an die frühe Madonna, mit Netz-Oberteil und Spitzenhandschuhen. Die Herren setzten hauptsächlich auf Sportoutfits und zwar auf solche, die damals in den Achtzigern schon Nasenrümpfen verursacht hätten. Gerne wurden Neon-Farben bemüht.

Doch auch andere Verkleidungsvorgaben sind jüngst bei Partys in unserer Stadt äußerst beliebt. Porno-Style, Schnoizbarti (sic!), Pulp Fiction, Moulin Rouge, Casino Royal, Hollywood, Hawaii, Mafia, Flowerpower oder gar Schwarzwaldklinik - die Ideen der Gastgeber für Feierthemen machen vor nichts halt. Der Motto-Zwang findet aber nicht nur auf Privatpartys statt, sondern auch in den Clubs der Stadt. Partyreihen wie der Blub Club oder die Zombocombo machen es schon seit einiger Zeit vor, Lokale wie die Elli-Disco, der Bash Club Night oder das Sugar ziehen nach.

Und: Die Münchner machen tatsächlich mit. Vor allem Perücken zu jeder Gelegenheit sind der Renner. Vermutlich hat die Perückenindustrie in München schon einen neuen Hauptabsatzmarkt ausgemacht.

Die größte Mottoparty der Welt

Da stellt man sich schon die Frage, woher bei den Münchnern dieser plötzliche Drang zum Verkleiden kommt. Wohl ein klassischer Fall von Realitätsflucht: Mal Abstand vom Alltag nehmen. Mal ausprobieren, wie es sich anfühlt, anders zu sein als sonst. Diese Motive kennt man ja bei Kindern und Schauspielern. Da wird der Schüchternste plötzlich zum Macho, die Verklemmte zum Vamp.

After Eight - Die Kolumne über das Münchner Nachtleben

Dauerwelle, Trainingsanzug und Schnauzer: So liebten es die Männer in den Achtzigern.

(Foto: Foto: istock)

Psychologen sagen, dass man sich bevorzugt als das verkleidet, was man gerne im wahren Leben wäre. So gibt der Zahnarzt bei der Porno-Party den Zuhälter im Muskelshirt mit Goldkette, der Architekt bei der James-Bond-Fete den smarten Womanizer im Smoking und die Sozialpädagogin bei der Pulp-Fiction-Festivität die koksende Mia Wallace mit weißer Bluse und schwarzer Pagenkopfperücke.

Und da besagte Mottopartys momentan boomen, schließen wir daraus, dass die Münchner ein starkes Bedürfnis nach einer - sagen wir mal vorsichtig - Typveränderung haben. Offensichtlich ist ihnen das normale Leben in unserer Stadt zu fad und unspektakulär.

Im Grunde darf einen das nicht wundern. Einmal im Jahr verwandelt sich der Münchner sowieso komplett. Dann wirft er sich in wunderliche Kostüme und mutiert für zwei Wochen zu einem völlig anderen Wesen. Das passiert jedes Jahr zur gleichen Zeit, Ende September. Die Party heißt Wiesn. Das Motto: Tracht.

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