Kolumne: After Eight:Verzweifelt gesucht: Bars mit Seele

Während die Clubszene boomt, müssen die Münchner nach guten Bars suchen wie nach einer Nadel im Heuhaufen. Das ist alles andere als urban.

Beate Wild

Nichts gegen unsere Lieblingsstammkneipe, aber wir befinden uns in einem echten Dilemma. Ständig landen wir im selben Etablissement. Wir lieben diese Bar, wirklich. Doch ein bisschen Abwechslung würde manchmal gar nicht schaden. Und genau hier liegt das Problem: Es mangelt in München an adäquaten Alternativen.

Kolumne: After Eight: Eine Bar muss sein wie ein zweites Wohnzimmer. In München tut man sich schwer, eine derartige Kneipe zu finden.

Eine Bar muss sein wie ein zweites Wohnzimmer. In München tut man sich schwer, eine derartige Kneipe zu finden.

(Foto: Foto: istockphoto)

Es ist geradezu ein Drama: Was die Auswahl an Clubs angeht, hat München ein historisches Hoch erreicht - dafür scheint die Auswahl an guten Bars auf ein historisches Tief gesunken zu sein.

Es ist Wochenende, man will ausgehen. Eifrig wird schon im Vorfeld via Facebook ausgelotet, wo an diesem Abend was geboten ist. Die Auswahl an Clubs und Partys ist in München derzeit so groß wie nie zuvor. Da ist für jeden Geschmack etwas dabei, hier kann jeder auf seine Kosten kommen. Lust auf Hip-Hop? Dann wär vielleicht das Crux etwas. Lieber ein Elektro-Schmankerl? Dann in die Rote Sonne. Oder doch eher Live-Indie-Sound? Dann ab ins 59:1!

Außerdem hat der Münchner ständig eine Riesenauswahl an Partys in irgendwelchen Abriss-Locations oder Interims-Läden zur Auswahl, etwa im alten P1, das kurz vor dem Umbau steht, oder im Loft, dem Hinterhaus vom Café King, das bald der Abrissbirne weichen muss.

Diese temporäre Nutzung von Locations nennt man übrigens Guerilla Clubbing, wie wir neulich von einem Clubbesitzer lernen durften. Das hört sich natürlich großartig an, schließlich steckt in jedem von uns ein kleiner Che Guevara - zumindest was das Revoluzzer-Verhalten in der Nacht angeht. Aber

Das Münchner Nachtleben boomt - doch jedes Wochenende stehen wir vor dem gleichen Problem: Was machen wir, bevor wir uns in einem der Clubs der Stadt die Seele aus dem Leib tanzen? Wo bitte sind die Bars mit Seele? Die Lokale, in denen wir unser Herz an das dortige Publikum, die sensationellen Barkeeper, die großartige Musik, die unglaublichen Drinks und die unvergleichliche Stimmung verlieren? Die Bars, nach denen wir süchtig werden wie ein Hippie nach Cannabis?

Um zu verdeutlichen, welches Bar-Gefühl wir genau meinen, müssen wir an dieser Stelle aus dem Roman Tender Bar von J.R. Moehringer zitieren, in dem der Autor beschreibt, was seine Lieblingsbar ausmacht:

"Wir gingen hin, weil wir dort alles bekamen. Wir gingen hin, wenn wir Durst hatten, versteht sich, aber auch wenn wir hungrig waren oder hundemüde. Wenn wir glücklich waren, gingen wir hin, um zu feiern, wenn wir traurig waren, um Trübsal zu blasen. Nach Hochzeiten und Begräbnissen gingen wir hin, um unsere Nerven zu beruhigen, und vorher, um uns schnell Mut anzutrinken. Wir gingen hin, wenn wir nicht wussten, was wir brauchten, in der Hoffnung, jemand könnte es uns sagen. Wir gingen hin, wenn wir Liebe suchten oder Sex oder Ärger oder wenn jemand verschwunden war, denn früher oder später tauchte dort jeder auf. Vor allem aber gingen wir hin, um uns finden zu lassen."

Es gibt in unserer Stadt solche Bars - keine Frage. Doch die Zahl der wirklich individuellen und großartigen Kneipen ist äußerst überschaubar. Ein Exemplar von Seltenheitswert ist wahrlich die legendäre Schwabinger 7. Das Lokal von Gerd "Manila" Waldhauser gibt es nun schon seit 41 Jahren und ist heute kultiger denn je. Auch das Jennerwein gehört zu dieser äußerst raren Art von Bars, die eine Seele haben. Desweiteren gibt es noch ein paar wenige Geheimtipps, die wir hier zu verraten aber nicht gewillt sind.

Lesen Sie auf Seite 2, was in München statt Bars derzeit angesagt scheint.

Tagescafés statt Bars

Doch im Grunde können die Bars der Stadt mit den Clubs derzeit nicht mithalten. Es machen auch kaum neue nennenswerte Kneipen auf, und wenn, dann erinnern sie uns an sterile Systemgastronomie, wie etwa das kürzlich eröffnete Glockenbach in der Müllerstraße. Eine Bar mit Herz und Seele sieht anders aus.

Dafür fällt uns auf, dass in München immer mehr Tagescafés aus dem Boden schießen. Der Trend fing im Glockenbachviertel an, hat aber längst auf die Maxvorstadt, Schwabing, Haidhausen und sogar Untergiesing übergegriffen.

Eigentlich kein Wunder. Im vergangenen Jahr hat München einen Baby-Rekord erzielt, fast 15.000 kleine Münchner kamen zur Welt, so viele wie schon seit 40 Jahren nicht mehr. Und die Eltern von diesen 15.000 kleinen Münchnern müssen sich den Tag ja irgendwie vertreiben, zumal ja mittlerweile auch gerne die Väter ihre Elternzeit voll auskosten. Es sei ihnen wirklich gegönnt, nur den kinderlosen Partygängern hilft das konkret auch nicht weiter.

Gerade der neuen Clubmeile zwischen Sendlinger Tor und Maximiliansplatz fehlt eindeutig eine anständige Barszene. Die Sonnenstraße wird ja im Münchner Volksmund mittlerweile schon "Kunstpark Mitte" genannt. Doch auf der neuen Partymeile vermisst man eindeutig die Kneipen, in denen man mit ein paar Drinks vorglüht wie im eigenen Wohnzimmer, bevor man sich im Club auf die Tanzfläche traut. Man muss der Tatsache leider ins Auge blicken: Im Dunstkreis der Sonnenstraße gibt es neben den vielen neuen hippen Clubs nichts außer Dönerläden und Sexshops.

Auch die anderen Viertel haben kneipentechnisch nichts Neues zu bieten. Da fragt man sich unweigerlich, ob diese Marktlücke auf die Unfähigkeit der Münchner Wirte zurückzuführen ist. Oder wo ist sonst der Haken zu suchen?

Tote Hose an der Bar-Front. Das ist alles andere als urban, das ist einfach nur traurig. Gut, dass wir wenigstens unsere Lieblingsstammkneipe haben - ist zwar immer das Gleiche, aber wenigstens mit viel Seele.

Die Kolumne "After Eight" erscheint jeden Donnerstag auf "München Extra", dem Stadtportal von sueddeutsche.de.

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