Kolumne: After Eight:Verabreden überflüssig

Das Ausgehverhalten in München hat sich gewaltig verändert. Ging man früher mit seiner Clique feiern, zieht man heute gerne mal alleine los - Facebook sei Dank.

Beate Wild

Erinnern Sie sich noch an die Zeit, als Sie ein schüchterner, Zahnspange tragender Jugendlicher waren? Bei manchem von uns ist das schon ein Weilchen her, aber selbst im Altersheim am Luise-Kiesselbach-Platz erinnern sich die meisten sicher noch an diese prägende Phase.

Kolumne: After Eight: Egal, wohin man in München kommt: Man kennt fast überall Leute.

Egal, wohin man in München kommt: Man kennt fast überall Leute.

(Foto: Foto: istock)

Worauf wir hinauswollen, ist: das Ausgehen als Teenager. Konkreter gesagt, das "Ausgehen wollen". Als Minderjähriger hat das ja nicht immer so geklappt, wie man es gerne gehabt hätte. Bis es überhaupt zum Ausgehen kam, musste man zunächst seiner Mutter in stundenlangen Diskussionen erklären, warum man jetzt genau heute auf diese eine Party müsse und leider auch nicht schon um Mitternacht zu Hause sein könne.

Dan stand ein ermüdender Telefonmarathon mit sämtlichen Freunden an. Man musste sich penibel genau organisieren, damit die Verabredung mit den Freunden überhaupt klappte. Man stelle sich vor: Damals gab es noch überhaupt keine Handys! Man saß also daheim vor seinem Jim-Morrison-Poster (die Uncooleren vor einem Modern-Talking-Poster, aber das tut jetzt hier nichts zur Sache) und telefonierte via Festnetz alle Freunde ab, in der Hoffnung, möglichste viele Kumpels zu mobilisieren.

Hatte man das geschafft, war es extrem wichtig, pünktlich an dem verabredeten Platz zu erscheinen. Kam man nämlich zu spät, hatte man das Nachschauen, denn die Clique war schon weiter gezogen und man saß alleine in der muffeligen Billard-Kneipe herum. Und alleine war man damals ziemlich aufgeschmissen, anrufen konnte man ja niemanden.

Heute ist das alles, um ein Vielfaches einfacher geworden. Was uns zugegebenermaßen zugute kommt, ist unser fortgeschrittenes Alter. Nach gefühlten Jahrzehnten im aktiven Nachtleben kennt man ein paar mehr Leute. Schließlich haben wir nicht umsonst unser halbes Vermögen in die Wirtschaft investiert. Die Kontakte, die sich daraus ergeben haben, sind durchaus ergiebig.

Doch viel zu verdanken haben wir heute auch den modernen Kommunikationsmitteln, neben dem Handy besonders der Internetplattform Facebook, die sich bei den Münchner äußester Beliebheit erfreut. Hier wird schließlich laufend exakt darüber informiert, wer was wann wo mit wem macht.

Okay, das kann manchmal auch ziemlich nerven. Vor allem wenn ein Zeitgenosse mit Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom im Halbstunden-Takt postet, was er gerade macht: " ... geht heute Mittag Spaghetti essen", " ... hat bei Farmville ein Schwein gewonnen" oder " ... schaut heute Tatort an". Aber die Vorzüge überwiegen im Großen und Ganzen bei der Kommunikation per Facebook.

Und so brauchen wir uns heutzutage in München, wollen wir abends ausgehen, gar nicht mehr verabreden.

Lesen Sie auf Seite 2, wie heute eine typische Münchner Nacht abläuft.

Wir sind alle eine große Clique

Wenn wir wollen, können wir ohne Bedenken alleine losziehen, weil wir im Grunde eh schon wissen, wo sich die ganzen Pappenheimer aufhalten. Wir beginnen beispielsweise in einer unserer drei Stammkneipen, treffen dort schon mal Clique A und Clique B, mit denen wir ein Bierchen kippen und Neuigkeiten austauschen. Weil wir dann gerne weiterziehen wollen, sich aber die Langweiler wieder einmal am Tresen festklammern und zum Party machen nicht zu gebrauchen sind, geht es alleine weiter zu Stammkneipe Nummer zwei.

Dort hält sich schon Clique C und ein paar weitläufige Bekannte auf. Der Barkeeper dort freut sich wie ein Schnitzel, dass wir endlich da sind, und gibt eine Runde Schnaps aus. Die Stimmung steigt. Wir tauschen uns ergiebig mit den dortigen Gästen aus und lassen uns von ein paar Leuten überreden, mitzugehen auf eine Party. Dort angekommen, stellen wir fest, dass wir etwa ein Drittel der Leute kennen. Wir freuen uns, die alten Bekannten mal wieder zu sehen und bleiben auf ein Kaltgetränk mit ihnen in der Küche stehen.

Da die Musik auf der Party aber nicht unbedingt der Knüller ist, verlassen wir diese doch wieder und schauen in einem der stadtbekannten Clubs vorbei. Der Türsteher dort begrüßt uns mit Handschlag. Nach einer kleinen Unterhaltung, bei der wir ein paar interessante Neuigkeiten erfahren, schauen wir rein, was auf der Tanzfläche so los ist. Wir treffen dort einen Arbeitskollegen, der schon ziemlich betrunken ist und uns ein Bier ausgibt. Dann stoßen wir wieder auf Leute aus Clique A, mit denen wir ungezwungen abtanzen.

Mit einem aus Clique B, der auch zufällig gerade am Tresen neben uns steht, ziehen wir dann weiter in den nächsten Club, von dem wir wissen, dass dort auch schon ein paar bekannte Gestalten sind - das haben uns der Barkeeper aus der zweiten Kneipe und der Türsteher oben am Eingang schon erzählt. Im zweiten Club tanzen wir ab, bis die Lichter langsam angehen. Dann schauen wir mit den Jungs aus Clique C noch auf einen Absacker ins Pimpernel, wo wir mit ziemlicher Sicherheit den harten Kern der Nacht noch treffen.

Genau so sind die neuen Münchner Nächte. Alleine Ausgehen funktioniert bestens. In keiner anderen Großstadt flutscht das so wie hier, da kommt einem wieder der Dorf-Charakter zugute. Jeder kennt jeden.

Alleine Ausgehen hat etwas von alleine Verreisen. Man kann es durchaus mit einem Rucksack-Trip durch Thailand oder Südamerika vergleichen. Man zieht alleine los, bleibt wo es einem gefällt, und zwar so lange, bis man Lust hat, weiter zu ziehen. Der Unterschied ist nur, dass man in München fast überall jemanden trifft, den man kennt - dank eigener Erfahrungswerte und dank Facebook.

Da denken wir fast mit Wehmut zurück an unsere Teenie-Zeiten, als das Um-die-Häuser-ziehen mit der Clique noch ein wahres Gemeinschaftserlebnis war. Wobei: Im Grunde genommen sind wir in München doch alle eine große Clique.

Die Kolumne "After Eight" erscheint jeden Donnerstag auf "München Extra", dem Stadtportal von sueddeutsche.de.

Bookmark: www.sueddeutsche.de/aftereight

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: