Kolumne: After Eight:Subkultur statt Feinripp

Das Schicksal Giesings scheint besiegelt: Der Stadtteil ist auf dem besten Weg, Münchens neues In-Viertel zu werden. Die Subkultur-Szene ist schon da. Und der alte Hertie ist jetzt "Puerto Giesing".

Beate Wild

Kam bisher die Rede auf Giesing, fielen einem Münchner in der Regel sofort folgende Assoziationen ein - und zwar meist in genau dieser Reihenfolge:

1) Grünwalder Stadion (und untrennbar damit verbunden: die Löwen und das ewig währende Chaos)

2) Nockherberg (eine Riesen-Gaudi; das alljährliche Starkbierfest samt Derblecken)

3) Franz Beckenbauer (der Kaiser; die Lichtgestalt; der große Sohn des Stadtteils)

4) Stadelheim (die staatlich geförderte Wohnanlage für die richtig bösen Jungs der Stadt)

5) Die Gegend um den Giesinger Bahnhof (die wohl tristeste Zone der Stadt)

Ansonsten hat man als Münchner nicht gerade viel am Hut mit dem Stadtteil im Süden - außer man ist unter irgendwelchen Umständen, für die man nichts kann, aber für die man sich laufend rechtfertigen muss - in diesem Viertel sesshaft geworden. Doch das ist wieder ein anderes Thema.

Für sein überbordendes Nachtleben war Giesing bislang jedenfalls nicht bekannt. Brauchte man einmal dringend eine Erholung von den ganzen Britpop-Frisuerenträgern, den großen Nerd-Brillen, den bunten Chucks, den Perlenohren tragenden Mädchen und den Jungs mit den Pete-Doherty-Hut, war man in Giesing immer an der richtigen Stelle.

Da konnte man etwa im Tschados die Live-Übertragung eines Fußballspiels in Ruhe ansehen und mit einem echten Ur-Giesinger biblischen Alters über die "saublöden Preißn" (ein gegnerisches Team aus dem Norden der Republik) herziehen.

Oder man genehmigte sich ein Cordon Bleu und eine Berliner Weiße mit Himbeersirup (sic!) im Anton's. Bei dem Publikum zwischen 20 und 60, das hier regelmäßig verkehrt, spart man sich quasi den Ausflug aufs Land. Genauso "griabig" wie in einer Dorfkneipe im Oberland ist das Anton's, nur die Heimfahrt mit dem Taxi ist wesentlich günstiger.

Giesing war bis dato eine Oase der Bodenständigkeit inmitten all dem Hype um die neue Coolness der Stadt, und wurde - aus Mangel an Phantasie - konsequent rausgehalten bei den Streitereien, welches Viertel denn nun am hippsten wäre: Glockenbach, Maxvorstadt, Schwabing oder doch das Westend.

Diese Zeiten dürften nun vorbei sein. Giesing läuft sogar Gefahr das neue Szeneviertel der Stadt zu werden. Denn wo die Giesinger früher ihre Feinripp-Unterhemden kauften, existiert nun die derzeit wohl lässigste Abbruch-Location der Stadt: Der Puerto Giesing, wie die Veranstaltungsorganisatorin Zehra Spindler ihr neues Projekt nennt.

In dem sechsstöckigen, 4000 Quadratmeter großen Haus an der Tegernseer Landstraße 64, das Ende des Jahres abgerissen wird, sollen Ausstellungen und Partys stattfinden. Mehrere stadtbekannte Kreative wie die Musikerin Pollyester, die Künstlerin Anna McCarthy, der DJ Mirko Hecktor, das Musiklabel Echokammer, die Band LaBrassBanda oder der Designer Patrick Mohr sind gerade dabei im Puerto Giesing Stellung zu beziehen.

Lesen Sie auf Seite 2, was im "Puerto Giesing" alles los ist.

Löwen und Designerklamotten

Während die jungen Kreativen tagsüber in dem alten Kaufhaus schuften, zeigt abends die Subkultur und alternative Szene Präsenz. Eigentlich sollte es am Freitag (16.4.) losgehen, doch die Lokalbaukommission hatte noch ein paar Einwände. Erst müssen noch einige Brandschutzmaßnahmen nachgebessert werden - wie es bei Zwischennutzungen üblich ist. In dem alten Kaufhaus gab es bisher nicht einmal Sprinkleranlagen.

Der Start ist nun geplant für 23.4.: Zum 150. Jubiläum des benachbarten TSV 1860 München wird es im "Puerto" vier Wochen lang eine große Fotoausstellung mit unzähligen Momentaufnahmen aus der Clubgeschichte geben. Organisiert wird die Exposition vom stadtbekannten "Löwenbomber" Axel Dubelowski, dem Fanbeauftragten des Clubs.

Am 7. Mai ist geplant, dass die Eventagentur Team from Hell den Designerklamotten-Sale "Buy or Cry" und eine Modenschau veranstaltet. Am 8. Mai will DJ Mirko Hecktor eine Neuauflage seiner "Mjunik Disco" veranstalten. Und das alles ist erst der Anfang.

Auf Facebook hat die Fanseite von Puerto Giesing schon über 1200 Fans, obwohl es noch nicht einmal losgegangen ist. Ebenso kursieren bereits Aufkleber mit dem Aufdruck: "Mein Herz schlägt für Giesing!". Das Schicksal des Arbeiterviertels scheint besiegelt. Die Subkultur-Szene hat einen neuen Hotspot gefunden.

Die unweit vom Ex-Hertie befindliche Tito's Cocktailbar (Tegernseer Landstraße 28), eine ganz im Stil der Neunziger gehaltene Location, kann sich schon mal die Hände reiben. Gut, zwar muss man als Gast dort mit blauem Licht, buntem Lametta und süßen Cocktails, die Namen wie "Drachenblut" tragen, kämpfen, aber der Laden hat immerhin während der Woche bis fünf Uhr morgens, am Wochenende sogar bis acht Uhr geöffnet. Bestens geeignet für einen Absacker, oder? Andere Viertel haben schließlich auch mal klein angefangen.

Die Kolumne "After Eight" erscheint jeden Donnerstag auf "München Extra", dem Stadtportal von sueddeutsche.de.

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