Kolumne: After Eight:Ohne Preiß nix los

Wirt Sepp Krätz will mit seinem Mini-Hippodrom das Frühlingsfest zu einem "kleinen Oktoberfest" machen. Ob das klappt? Bei einem Besuch erleben wir Unglaubliches.

Beate Wild

Stellen Sie sich mal vor, es ist Wiesn und keiner geht hin: Das Festgelände wäre wie ausgestorben. Mitarbeiter der Fahrgeschäfte würden gelangweilt herumstehen. Ein paar Angestellte würden verzweifelt versuchen, vorbeibummelnde Besucher in ihr Karussell zu locken - jedoch ohne Erfolg.

After Eight - Kolumne über das Nachtleben in München

So etwas ist man als erfahrener Wiesn-Besucher nicht gewohnt: Wenig los auf dem Frühlingsfest.

(Foto: Foto: dpa)

In den Zelten drinnen wäre es kaum besser. Die Plätze wären nicht mal zur Hälfte besetzt, den Blaskapellen würde es trotz größten Anstrengungen nicht gelingen, die Besucher zum Tanzen auf den Tischen zu bewegen. Weit und breit würde man keine Touristen sehen, niemand würde Tracht tragen. Fast wie Endzeitstimmung. Nur Will Smith in I Am Legend wäre schlimmer drangewesen.

Gibt's nicht? Gibt's leider doch! Willkommen auf dem Frühlingsfest! Zugegeben, das Fest, das derzeit auf der Theresienwiese stattfindet, ist nur ein Drittel so groß wie die "echte" Wiesn und wollte sich auch bisher nicht mit seiner großen Schwester im Herbst vergleichen. Doch seit Sepp Krätz, der Wirt des Hippodroms, plötzlich davon spricht, er wolle ein "kleines Oktoberfest", eine "Frühlingswiesn" aus dieser Mini-Kirmes machen, sind die Erwartungen gestiegen.

Als wir neulich nach der Arbeit eine Runde über das Gelände drehen, trauen wir unseren Augen kaum. So trist hatten wir es uns bei weitem nicht vorgestellt. Die Münchner laufen doch sonst auch überall hin, wenn irgendein neues Lokal aufmacht, irgendwo ein Möchtegern-Hippie-Markt stattfindet oder sich ein anderes kommerzielles Event als Musik-Festival tarnt!

Zudem sind die Münchner doch unverbesserliche Wiesn-Fans, oder nicht? Auf Blasmusik sind sie konditioniert, dass sie sofort Bierdurst bekommen, wenn sie irgendwo erklingt. Wieso wollen sie dann keine Frühlingswiesn? Wieso lehnen sie dieses April-Fest auf der Theresienwiese so offensichtlich ab? Liegt es an der Wirtschaftskrise? Oder doch eher am Image der Veranstaltung?

Sepp Krätz steht derweil vor seinem Mini-Hippodrom, das er in diesem Jahr zum ersten Mal auf dem Frühlingsfest aufgestellt hat, und telefoniert wild gestikulierend. Ob es darum geht, dass drinnen eher Langeweile herrscht als die sonst gewohnte bierselige Ekstase? Wir können es leider nicht verstehen.

Die bayerische Blaskapelle rackert sich innen ab, doch es will keine Stimmung aufkommen. An einigen Tischen sitzen einsame Wölfe vor ihrer Maß. Im ganzen Zelt gibt es nur eine einzige (sic!) Teenagergruppe, die schon zuviel Bier erwischt hat. Die Bedienungen stehen in einem Grüppchen am Eingang und ratschen.

Selbst die Freunde und Helfer von der heimischen Polizei wirken locker. In Grüppchen schlendern sie über das Gelände, einige sitzen lachend im Weißbiergarten in der Abendsonne. Kein Terrorist der Welt käme auf die Idee, ausgerechnet auf einem leer gefegten Volksfest eine Bombe zu zünden.

Der Ansager eines Fahrgeschäfts versucht indessen verzweifelt, ein paar Kunden in sein Karussell zu locken und versucht es mit dem Spruch: "Eeeeeiiiinsteigeeeeen, abhebeeeeen, bei uns ist die böse Wolke längst verzogen, mit uns können Sie ohne Bedenken fliegen." Niemand verzieht eine Miene.

Der Betreiber des Kettenkarussells ein paar Meter weiter hat indes längst aufgegeben. Er sitzt als Einziger in einem Sessel seines Fahrgeschäfts, schaukelt langsam hin und her - und pfeift.

Lesen Sie auf Seite 2, was im Augustiner Zelt passiert ist.

Wo sind die Japaner in Tracht?

Im Augustiner Zelt ist das Bild noch trister als im Hippodrom. Zwei Drittel des Zelts sind leer. Vorne auf der Bühne versucht sich eine Nachwuchs-Rock-Band an "Gib Gas, ich will Spaß". Weder der Titel scheint das Publikum anzusprechen, noch die ausschweifenden Hüftschwünge der blonden Sängerin. Mit ihrem Allerwertesten wackeln kann die Blondine übrigens um einiges besser als singen. Die Töne zu treffen scheint ihr genauso schwer zu fallen wie Whitney Houston bei ihrer aktuellen Comeback-Tour.

Kennt man die echte Wiesn, ist das Trauerspiel auf dem Frühlingsfest nur schwer zu verdauen. Dem Sepp Krätz, der sich vorgenommen hat, dem müden Volksfest ein bisschen mehr Leben einzuhauchen, kann man nur bewundern - oder bemitleiden, je nachdem wie man es ausdrücken möchte. Um aus diesem Häuflein Elend eine Frühlingswiesn machen zu wollen, dazu gehört schon geradezu überbordender Optimismus.

Nachdem wir es schließlich geschafft haben, bei dem Bierzeltbesuch nicht einzuschlafen, drehen wir doch noch eine Runde über das Festgelände. Beim Auto-Scooter bleiben wir kurz stehen. Es hängen ein paar Halbstarke herum, die uns an die Teenager-Cliquen auf den Land-Volksfesten erinnnern.

Es fehlen die grölenden Italiener, die orientierungslosen Japaner, die Preißn in ihren billigen Trachten, die feschen Madln mit ihren Dirndl-Dekolletés, die strammen Wadl der Burschen in ihren Lederhosen und der Lärm, der sonst über der ganzen Theresienwiese liegt.

Langsam drängt sich der Verdacht auf, dass das ganze Oktoberfest ohne Touristen und Preißn gar nicht funktionieren würde. Und dass die Münchner selbst am Erfolg des weltgrößten Bierfests gar keinen so großen Anteil haben, wie immer vermutet.

Und dann treffen wir doch noch auf ein paar Touristen aus England. Wie man am besten in die Innenstadt komme, wollen sie wissen. Man wolle jetzt nämlich so schnell wie möglich ins Hofbräuhaus. Da sei die Stimmung besser.

Die Kolumne "After Eight" erscheint jeden Donnerstag auf "München Extra", dem Stadtportal von sueddeutsche.de.

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