Kolumne: After Eight:Feiern, als gäbe es kein Morgen

Angeblich war das Münchner Nachtleben in den 70ern unvergleichlich gut. Das halten wir für ein Gerücht - denn momentan tut sich so viel wie schon lange nicht mehr.

Beate Wild

Früher war alles besser. Früher, da waren die Zeiten so lässig, da wäre man unbedingt gerne dabei gewesen. Diese Aussage hört man häufig, sie trifft aber im Besonderen auf das Münchner Nachtleben zu. Genauer gesagt auf die 70er Jahre.

Kolumne: After Eight: Tanzen bis der Arzt kommt? In München wird exzessiv gefeiert.

Tanzen bis der Arzt kommt? In München wird exzessiv gefeiert.

(Foto: Foto: istock)

Was war das für eine Aufbruchstimmung damals! München erfand sozusagen das Disco-Ding. Alle, die seinerzeit dabei waren und sich trotz Drogen und Alkoholexzessen noch erinnern können, schwärmen in den höchsten Tönen von den glorreichen alten Zeiten.

Giorgio Moroder, Musiker und Produzent, entwickelte diesen völlig neuen Musikstil und brachte einige Sänger und Bands ganz groß heraus. In sein hypermodernes Studio "Musicland" kamen die Stars, auch die Stones und Freddie Mercury mit Queen waren deshalb ständig in München.

Der Song fiel vor allem durch die Stöhnlaute auf

Überhaupt, so hört man, sei der ganze Disco-Stil aus München erst nach New York geschwappt, nachdem Moroder als Erster versucht hatte, Musik ganz ohne Musiker zu produzieren, nur mit einem Computer und einer gewissen Donna Summer, die in der Nymphenburger Straße 124 wohnte. Ihren ersten internationalen Hit hatte diese 1975 mit "Love to Love You Baby". Er entwickelte sich im Übrigen zum Skandal, da die Aufnahmen besonders durch die aufreizenden Stöhnlaute der Sängerin auffielen.

Indes zog die Clique um Schauspielerin Cleo Kretschmer und Regisseur Klaus Lemke durch Münchens Nächte. Die Clubs von damals hießen Sunset, Henderson, Babalu, Tiffany und Why Not. Um jede Location ranken sich Mythen, deren Wahrheitsgehalt man heute nicht mehr überprüfen kann. Im Tiffany etwa soll Mick Jagger Uschi Obemaier kennengelernt haben. Auch Giorgio Moroder und Boney M. sollen dort gerne ihre Nächte verbracht haben.

Im Sugar Shack verkehrten die Stones ebenfalls, genau wie Freddie Mercury und alle Münchner, die sich für Rocker hielten. In der Schwabinger Klappe hingen die Filmemacher herum, im Café Größenwahn dagegen die Literaten.

Das Babalu wiederum war viel luxuriöser und teurer. Diesen Club hat die Spider Murphy Gang in ihrem Song "Schickeria" besungen. ("Ja in Schwabing gibt's a Kneipen, die muss ganz was B'sonders sei, da lassens solche Leit wie di und mi erst gar net nei, in 'd Schickeria in 'd Schickeria, jeder spielt 'n Superstar und sauft an Schampus an der Bar, in der Schickeria")

Außerdem verkehrte man im Hendersen, einer Schwulen-Bar im Glockenbachviertel, dem heutigen Paradiso. Wenn man um sechs Uhr morgens dann fertig und völlig besoffen war, ging man noch auf einen Absacker ins "Why Not?".

München war damals der beste Platz der Welt, scheint es in der Retrospektive. Wir waren seinerzeit zwar nicht dabei, doch wir glauben ganz fest: Heute ist es besser. Wir stehen am Anfang einer neuen Disco-Ära.

Lesen Sie auf Seite 2, was das Münchner Nachtleben Neues zu bieten hat.

Die neue Disco-Ära ist da

Gut, früher gab es Giorgio Moroder, der seine Musik von München aus in die Welt trug. Doch im Jahr 2009 ist man nicht mehr nur auf eine einzige Musikrichtung, auf einen speziellen Stil festgelegt. Es gibt immer noch ein paar große Namen, die München mit ihrer Musik repräsentieren, etwa das Label Gomma oder DJ Hell.

Doch das Erstaunlichste ist: Die Münchner gehen momentan derart exzessiv aus, als gäbe es kein Morgen - trotz oder vielleicht genau wegen der Finanzkrise. Egal auf welche Art und Weise, sie wollen Spaß haben. Hauptsache Ablenkung vom tristen Alltag. Ständig auf der Suche nach einem Gefühl des Berauschtseins, nach den Schmetterlingen im Bauch.

In der Clublandschaft herrscht ein Aufbruchsgeist, wie ihn unsere Stadt schon lange nicht mehr erlebt hat. Man könnte schon fast denken, eine neue Disco-Ära breche an. Alleine am morgigen Freitag (4.9.) machen gleich drei neue Clubs auf: Der Neuraum, das Chaca Chaca und das Sugar.

Der Neuraum ist eine Großraum-Location unter dem neuen Busbahnhof an der Hackerbrücke. Die Gäste bekommen dort House auf die Ohren. Das Chaca Chaca befindet sich in der Landwehrstraße 16, will musikalisch eher elektronisch punkten, und das Sugar eröffnet in den Räumen des legendären Sugar Shack und hat sich gleich als Stil die Disco-Ära ausgesucht (Lesen Sie darüber morgen mehr auf sueddeutsche.de).

Und auch sonst ist viel in Bewegung. Seit ein paar Wochen gibt es die Flash Box unweit des Sendlinger Tors, den HipHop-Laden Chez Nous am Stachus und die Elli Disco in der Nähe vom Hauptbahnhof. Auch das Harry Klein zieht im Herbst in die Sonnenstraße, im Lehel öffnet am nächsten Wochenende Feinkost Electronica, ein Club, in dem man auch gleich noch essen kann.

So viele neue Läden auf einen Schlag, das hat München schon lange nicht mehr erlebt. Zwar muss die Registratur in wenigen Tagen für immer schließen, doch wir sind uns sicher, dass auch dieser Club bald an neuer Stelle auferstehen wird. Und wenn man heutzutage morgens um sechs Uhr zerstört und betrunken noch einen Absacker nehmen will, dann geht man eben ins Pimpernel, ins Sunshine Pub oder ins Palais. Gefeiert wird heute genauso viel und lang wie früher, nur dass die Läden andere Namen haben.

Hedonisten waren die Münchner schon seit jeher und werden es auch immer bleiben. Dass die Münchner in den Siebzigern wilder gefeiert haben als die Münchner von heute, halten wir für ein schnödes Gerücht.

Die Kolumne "After Eight" erscheint jeden Donnerstag auf "München Extra", dem Stadtportal von sueddeutsche.de.

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