Süddeutsche Zeitung

Kolumne: After Eight:Die Invasion der dicken Brillen

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Münchens Hipster haben ein neues Mode-Accessoire entdeckt: die Nerdbrille. Doch das Kassengestell sieht nicht bei jedem cool aus.

Beate Wild

Man trifft sie in Szene-Bars, hippen Clubs und In-Boutiquen - vorwiegend im angesagten Glockenbachviertel. Vor zwei Jahren waren die US-Stars Ashton Kutcher, Johnny Depp und Kanye West die ersten, die sie getragen haben. Jetzt läuft auch der Münchner, der sich für szenig hält, damit durch die Gegend: mit der Nerdbrille. Im Grunde ist ja Woody Allen der Urvater der überdimensionierten Hornbrillen. Seit knapp 50 Jahren setzt der Regisseur auf die Streberbrille und hat sich damit ein gewisses Image erarbeitet. Er gelte als intellektuell, nur weil er diese Brille trage, sagt der Amerikaner selbst über sich. Dann flanierten plötzlich Stars, die man für stilbildend hielt, mit ihr über den roten Teppich. Und schon war die Nerdbrille wieder in. Vor zwei Jahren war man mit einer solchen Brille in der Tat noch cool. Heute ist man einer von vielen. München, in Modefragen - wie auch beim Pete-Doherty-Hut und der Röhrenjeans - immer etwas den Rest der Welt hinterherhinkend, ist seit kurzem auf den Geschmack gekommen. Als erstes sah man Barkeeper in der Favorit-Bar und im Pimpernel mit den Teilen. Dann trauten sich immer mehr Gäste. Auch Modedesigner setzen ihren Models mittlerweile die "Geek Glasses", wie sie im Styler-Jargon heißen, auf die Nase - zuletzt gesehen vergangenes Wochenende bei der Show von Nachwuchsdesigner Patrick Mohr in der Ersten Liga, der sich gerne selbst auch mit einer solchen Brille blicken lässt.

Einen schönen Menschen entstellt nichts. Wirklich? Das Nasenfahrrad, mit dem man sich als Teenager kaum aus dem Haus, geschweige denn zu einer Party traute, gilt jetzt als Accessoire für Pseudo-Avantgardisten. Man sagt, einen schönen Menschen entstellt nichts. Über diese Aussage kommt man durchaus ins Zweifeln.

Lesen Sie auf Seite 2 welche verschiedenen Modelle man sieht und was Frauen beachten müssen.

Es ist im Übrigen nicht so, dass all diese Hornbrillen absolut identisch wären. Es gibt durchaus feine Unterschiede. Während Woody Allen den Klassiker trägt, gibt es Leute, die eher auf das Jean-Paul-Sartre-Modell setzen, so mehrmals gesehen bei der Gomma-Party am vergangenen Wochenende in der Registratur. Bei dieser Variante ist die Fassung oben schwarz und im unteren Bereich durchsichtig.

Eine weitere Option ist das Modell, das der junge Helmut Kohl getragen hat, also mit durchgehendem Steg auf der Nase. Dieses Gestell wird anscheindend besonders gerne von Vollbartträgern benutzt, haben wir zumindest neulich im Café King beobachtet. Ebenso variiert die Farbe der Brille: von schwarz über braun bis hin zu bernsteinfarben.

Schaut man sich im Münchner Nachtleben um, gewinnt man den Eindruck, dass die Brillenträger die Regel "Je größer, desto besser" für richtig erachten. Seit dem Erfolg von Til Schweigers Film "Keinohrhasen" haben sogar Frauen das Brillengestell für sich entdeckt. Bei Nora Tschirner kam es ja noch irgendwie süß rüber.

Sieht man dieses Brillenmodell auf der Nase eines 20-jährigen Hungerhakens in der Paradiso Tanzbar, kommt das Ganze nicht mehr so lässig rüber. Oft wirken die Vintagebrillen einfach nur deplatziert und peinlich. Man fragt sich, ob die Mädels zuhause eigentlich keinen Spiegel haben. Nicht jede ist Scarlett Johansson, die ihrem Förderer Woody Allen auch in diesem Punkt nacheifert und sogar mit einer fetten Kassenbrille sexy aussieht.

Es bleibt zu befürchten, dass uns der Streberlook auch in München noch einige Zeit erhalten bleibt. Grundsätzlich ist nichts gegen große Hornbrillen zu sagen, doch man sollte schon ein gewisser Typ sein, wenn man mit einer solchen Brille durch die Gegend läuft. Und nur die Vintagebrille alleine macht aus einem Nachtschwärmer noch lange keinen Intellektuellen.

Die Kolumne "After Eight" erscheint jeden Donnerstag auf dem neuen Stadtportal "münchen extra" von sueddeutsche.de.

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