Kolumne: After Eight:Der nächste Todesstoß

Bye-bye, Glockenbach: Die legendäre Kneipe X-Cess muss demnächst schließen. Münchens Nachtschwärmer sind fassungslos - und organisieren den Protest.

Beate Wild

Es ist kein Durch- bzw. Reinkommen mehr. Die drängelnde Menschenmasse vor dem Eingang erweckt den Eindruck, als würde hier irgendetwas ganz Wertvolles verschenkt - Gratis-Tickets für das U2-Konzert im Sommer zum Beispiel, ein Tisch in einem Wiesn-Zelt oder wenigstens ein paar Freibier.

Aber nein, die Leute sind da, weil sie noch einmal so oft wie möglich in diesem Etablissement im Glockenbachviertel vorbeischauen wollen, das bestätigten Gerüchten zufolge bald schließen muss. Die Rede ist vom legendären X-Cess in der Kolosseumstraße. Münchens wohl coolster Kneipe, was vor allem an Isi, dem Russenmützen tragenden Wirt, liegt.

Ach, was hatten wir dort für unglaubliche Nächte! Machen die anderen Bars im Viertel die Schotten dicht, geht es im X-Cess nämlich erst richtig los. Zwischen zwei und fünf Uhr morgens ist Rush-Hour. Die unterschiedlichsten Nachtschwärmer treffen hier aufeinander: angeschwipste Studentinnen, verschmähte Liebhaber, Kumpel-Gangs, Möchte-gern-DJs, knutschende Pärchen, lonesome cowboys. Die Bar ist Münchens Anlaufstelle für Hedonisten, Melancholiker und sonstige Sinnsuchende. Und genau diese Mischung macht die Stimmung aus!

Auf die kruden Kumpanen im X-Cess kann man sich immer verlassen, auf die Musik eher weniger, was aber auch wiederum seinen Reiz hat. In Isi's Kneipe dürfen nämlich die Gäste selbst auflegen. Jeder, der will, kann sich in einen Kalender eintragen und darf am ausgewählten Abend dann auch wirklich auflegen, wie es ihm beliebt. Das hat zuweilen schon zu den abstrusesten Mixes geführt. Ein paar Mal sind wir wegen Beleidigung unseres guten Geschmacks auch schon woandershin geflohen, doch im Großen und Ganzen ist das System des "Rotating DJs" wundervoll - und zudem einzigartig in München.

Ebenfalls beispiellos sind die Lollis, die Isi an alle Frauen, die seinen Laden betreten, verteilt. "Zum Üben", sagt er dann oft mit seinem etwas anzüglichen Lächeln. Früher gab es noch Schleck-Muscheln für die männlichen Gäste, doch die sind in keinem Großhandel unserer Stadt mehr aufzutreiben, jammert Isi. Aber das ist eigentlich nicht so schlimm, da sich die Jungs sowieso lieber mit Bier ihre Zeit vertreiben.

Unglaublich voll war Isi's Laden eigentlich auch schon immer. Jetzt, da es dem Ende zugeht, ist die Platzsituation schier unerträglich geworden. Jeder will noch mal rein und Teil des verrückten Ganzen sein, bevor wohl Ende Mai Schluss ist. Vor der Bar stehen die Gäste ohne zu meutern an, um doch noch irgendwann hineinzupassen, wenn andere Besucher die Kneipe endlich verlassen.

Die Nachbarn wird das wohl nicht gerade freuen. Die waren es schließlich auch, die dem X-Cess den Garaus gemacht haben.

Lesen Sie auf Seite 2, was die Nachbarn gestört hat.

Besetzen oder Wegziehen?

Zu laut ist es den Herrschaften in der Nachbarschaft gewesen. Zu viele lärmende Betrunkene, die in den frühen Morgenstunden nach Hause wankten. Manche hätten im Umkreis der Kneipe sogar ihre Blase erleichtert oder ihren Mageninhalt auf dem Pflaster hinterlassen, heißt es. So etwas kann in einer anständigen Stadt wie München auf keinen Fall toleriert werden! Und so muss Isi mit seiner Kneipe eben weg.

Die Protestwelle unter den Fans des Lokals ist enorm. Keiner mag glauben, dass eine derart originelle Kneipe in unserer Stadt keinen Platz haben darf. Vor etwa einer Woche haben Stammgäste auf Facebook die Gruppe "Gegen die Schließung des X-Cess München!!" gegründet. Schon fast 3500 Leute sind der Gruppe bisher beigetreten. Viele lassen an der Pinnwand ihrer Wut und Trauer freien Lauf.

"Wir sollten lieber was machen, damit München nicht langsam total verkommt...die wollen nur noch Schickis und Mickis. Nö, ich bleibe und besetze notfalls!!", schreibt eine Userin. Eine andere: "Mensch Isi, bau Dir eine Dönerfestung und wir besetzen alle mit Dir Dein wunderbares und München's bestes Etablissement!!" Und einer notiert sogar: "Was soll denn der Scheiss, machen jetzt alle guten Läden in München zu? Wenn da ein Biofeinkostladen oder so ein Mist reinkommt, zieh' ich nach Berlin."

Die Gentrifizierung des Glockenbachviertels scheint nicht mehr aufzuhalten. Das Ende einer ehemals lässigen Ausgehmeile schreitet weiter voran. Immer mehr angesagte Clubs und Bars schließen. Nach der Registratur im vergangenen Jahr und dem Café King vor ein paar Wochen nun also das X-Cess. Doch Schuld haben eben nicht nur die Immobilienhaie, die alles mit teuren Luxuswohnungen zupflastern, sondern auch zum großen Teil die Nachbarn, die im Viertel wohnen, und seit es so angesagt ist, auf keinen Fall durch etwas Kneipenlärm in ihrer Nachtruhe gestört sein wollen.

Wie man mit Lokalen vor der eigenen Haustüre umgeht, ist Einstellungssache. In nördlicheren Regionen der Republik klappt das wunderbar, von südeuropäischen Ländern braucht man erst gar nicht zu reden. Die Münchner, zumal die aktuellen Bewohner des Glockenbachviertels, haben hier anscheinend eine verkrampfte Einstellung. Und so ist Isi's X-Cess nicht die erste und wohl leider auch nicht die letzte Bar, die schließen muss.

Gerade hat der Frühling erst begonnen, wir befinden uns am Anfang der Freiluft-Saison. Da wird in nächster Zeit noch einiges auf die Wirte und ihre Gäste zukommen. Gerade nach 23 Uhr, wenn die Terrassen zumachen müssen, greift so mancher Münchner gerne zum Hörer und wählt die Nummer der Polizeidienststelle seines Vertrauens.

Isi will sich zu den ganzen Hintergründen über das Ende des X-Cessnicht äußern. Er sagt nur, dass er uns bald überraschen möchte. Wir hoffen, dass es mit einer neuen Kneipe in einer etwas toleranteren Gegend sein wird. Im DJ-Kalender ist bis Ende Mai kein Termin mehr frei, und irgendwann sollte jeder einmal bei Isi aufgelegt haben.

Hier sehen Sie noch einmal die preisgekrönte Audioslideshow über das X-Cess "Außen ein Puff, innen die Hölle".

Die Kolumne "After Eight" erscheint jeden Donnerstag auf "München Extra", dem Stadtportal von sueddeutsche.de.

Bookmark: www.sueddeutsche.de/aftereight

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