Süddeutsche Zeitung

Kolumne: After Eight:Der doppelte Rausch

Kunst, Shoppen, Party: In München entsteht gerade eine neue Art des Ausgehens - zwei Räusche sind dabei garantiert.

Beate Wild

Das Wochenende ist dem Münchner heilig. Sonst eher weniger für sein Laisser-faire bekannt, zelibriert er samstags und sonntags das Ausschlafen und konzentriert sich eher auf das Nachtleben als auf die frühen Morgenstunden. Früh raus? Kein Bock! Deshalb gestaltet es sich für den Münchner grundsätzlich schwierig, am Wochenende einen Flohmarkt zu besuchen.

Doch wer schreibt denn eigentlich vor, dass ein Flohmarkt um sieben Uhr morgens zu beginnen hat? Das kann man doch alles auch abends respektive nachts machen. Und außerdem passt nichts so gut zusammen wie feiern und shoppen. Wie Nachtleben und Kunst. Wie ein Bierchen mit Freunden trinken und nebenher ein bisschen feilschen. Wie an illustren Verkaufsständen vorbeizuschlendern und dabei von dem Mann hinter den Plattentellern mit exquisiten Sound versorgt zu werden. Kaufrausch und Rauschkauf in einem.

Diese Überlegungen haben sich in letzter Zeit wohl einige in unserer Stadt gemacht, denn es ist ein Trend hin zur Verschmelzung von Kunst, Shoppen und Feiern zu beobachten. Immer öfter reicht es nicht mehr aus, abends einfach nur zu trinken und zu tanzen. Nein, der Münchner will offenbar mehr erleben.

Wann es genau angefangen hat, kann man nicht genau sagen. Der von Studenten organisierte nächtliche Flohmarkt in der Uni-Mensa wird es wohl kaum gewesen sein. Vielleicht hat alles mit der Kunstmesse Stroke 0.1 Ende Oktober vergangenen Jahres begonnen. In der Ex-BMW-Niederlassung in der Dachauerstraße boten Künstler nachmittags und abends ihre Kunst zum Verkauf an, währenddessen wurde gefeiert bis in die frühen Morgenstunden.

Anfang dieses Jahres organisierte dann die Registratur in Zusammenarbeit mit den Veranstaltern Theresa Friesinger und Urs Jahn den ersten Nachtflohmarkt in der Alten Kongresshalle. An 150 Ständen verkauften die Münchner Antiquitäten, Gerümpel und vermeintlich wertvollen Plunder, den sie im Keller oder auf dem Dachboden hatten. Nebenher legten DJs Elektro-Sound auf, über den Tresen gingen Bier, Prosecco und Gin Tonic. Flohmarkt 2.0 sozusagen.

Außerdem ist in jüngster Zeit geradezu eine Kumulation von Vernissagen und Kunstausstellungspartys zu beobachten. Kein Wochenende, an dem man nicht auf einer Feier in einer Galerie oder in einem temporären Laden eingeladen wäre. Erst am vergangenen Wochenende kam in Schwabing wieder eine großartige Interims-Location dazu. Das "Bella Building" an der Ecke Isabella-/Bauerstraße, ein ehemaliges Fitnessstudio, in dem angeblich schon Arnold Schwarzenegger in jungen Jahren trainiert hat.

Das auf Guerilla-Events spezialisierte "Team from Hell", das schon das legendäre Horses, Cars & Stars im vergangenen Sommer in der Schellingstraße betrieben hat, hat dort die Ausstellung "Bimbo Box" organisiert - und veranstaltet selbstverständlich gleich dazu die passenden Partys. Coole Sache, keine Frage.

Dabei ist es gerade in München extrem schwierig für junge Freigeister, temporäre Feier-Locations zu inszenieren. Das liegt - wen wundert das überhaupt noch - am Kreisverwaltungsreferat (KVR) und an der Lokalbaukommission (LBK). Wie diese Behörden die Subkultur in unserer Stadt klein halten, ist gerade erst wieder am Beispiel der Urbanauten deutlich geworden.

Lesen Sie auf Seite 2, welche Auflagen Münchner Lokale erfüllen müssen und welchen Trick es gibt.

Diese Gruppe von Aktionskünstlern, die sich für Projekte im öffentlichen Raum einsetzen (sie organisieren unter anderem den Kulturstrand an der Corneliusbrücke), haben mit viel Herzblut und Liebe die temporäre Bar Die Repüblik in der Ursulastraße 6 in Schwabing ins Leben gerufen.

Die Location ist ein ehemaliges Architekturbüro, das sich in einem Gebäude befindet, das demnächst abgerissen und durch eine Luxuswohnimmobilie ersetzt werden soll. Klar, durch was denn auch sonst in München? Doch eine solche Zwischennutzung in München durchzusetzen, scheint härter zu sein, als für die CSU den Posten des Oberbürgermeisters zu übernehmen.

Zuerst muss in solchen Fällen eine Nutzungsänderung durchgebracht werden. Die LBK fordert oft auch bauliche Maßnahmen. Zudem tritt das KVR auf den Plan mit allerlei Gewerbevorschriften wie Brandschutz, Hygienevorschriften, Lärmschutz. Bevor in München jemand eine gaststättenrechtliche Erlaubnis bekommt, wird sowohl er als auch sein Unterfangen auf Herz und Nieren geprüft. Wäre man jetzt pessimistisch-sarkastisch veranlagt, könnte man das durchaus als Schikane interpretieren. Die Repüblik jedenfalls muss bislang täglich um 23 Uhr schließen.

Kein Wunder, dass in unserer Stadt deshalb vieles unter dem Deckmantel von Kunst und Kultur passieren muss. Wer nämlich in einer Kunstgalerie eine Vernissage-Party feiert, betreibt dies als Privat-Event. Und solange dies ohne gewerbliche Gewinnerzielung geschieht, interessiert sich das KVR nicht dafür.

Was auch immer der Grund dafür ist, dass sich in letzter Zeit Feiern, Kunst und Shopping in München so genial vermischen: Diese neue Art von Nachtkultur bringt endlich die gewünschte Abwechslung in das oft stromlinienförmige Münchner Nachtleben. Vielleicht waren damals die Flohmärkte in Riem oder im Kunstpark Ost schon eine Art Vorreiter für diese neue Mischform von Kunst und Kommerz. Dort stolperte man morgens von der After-Hour direkt zu den Verkaufsständen - und wunderte sich am darauf folgenden Tag, was man wieder für einen Schmarrn gekauft hatte.

Den nächsten nächtlichen Flohmarkt in der Kongresshalle gibt es übrigens am 14. Februar. Auch die Tonhalle in der Kultfabrik zieht nach und macht am 19. Februar einen sogenannten "Nachtkonsum". Und ein weiteres Highlight dürfte das Event "Buy or Cry" werden, bei dem von Donnerstag bis Sonntag 50 junge Labels und Münchner Modemacher ihre Klamotten in der Off-Location der Ex-BMW-Niederlassung verkaufen.

Da kann man nur sagen: Macht's nur so weiter!

Die Kolumne "After Eight" erscheint jeden Donnerstag auf "München Extra", dem Stadtportal von sueddeutsche.de.

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