Süddeutsche Zeitung

Kollegah-Konzert in München:"Der Hass auf Minderheiten wächst auch dank Menschen wie ihm"

Der Rapper Kollegah will im Dezember im Münchner Backstage auftreten. Doch Kritiker fordern: Für Musiker, die Antisemitismus schüren, dürfe es keine Bühne geben.

Von Martin Bernstein

Dieser Text muss ausnahmsweise im Konjunktiv beginnen, in der Möglichkeitsform. Weil nämlich noch vieles möglich ist in diesem Fall, auch wenn er auf den ersten Blick so viel buchstäblich Unmögliches enthält, dass der Ruf nach einfachen Wahrheiten und schnellen Lösungen laut geworden ist. Möglicherweise also könnte am 14. Dezember Felix Blume, 35, auf der Bühne des "Backstage" in München stehen. Er würde das dann unter dem Künstlernamen tun, der seinen Fans als Inbegriff der deutschen Rap-Musik gilt und seinen Kritikern als Inbegriff von Antisemitismus, Schwulenhass und Frauenfeindlichkeit: Kollegah.

Es könnte also sein, dass ein Rapper eine Bühne in München bekommt, der von der "Endlösung der Rapperfrage" (2009) singt oder 2018 zusammen mit Farid Bang reimt: "Mein Körper definierter als von Auschwitz-Insassen (...) mache wieder mal 'nen Holocaust, komm an mit dem Molotow." Der in Videos mit judenfeindlichen Verschwörungstheorien spielt. Der nach einem Skandal um die Verleihung des Echo-Preises das ehemalige Konzentrationslager Auschwitz besucht und danach erklärt: "Wenn du mit eigenen Augen siehst, wie dort fabrikmäßig Menschen vergast wurden, vergisst du das nie (...) Die paar Wortspielereien in Songs sind es nicht wert, wenn damit Menschen oder Gefühle beleidigt werden."

Nur um sich später in einem Interview zum Opfer einer Hetzkampagne zu stilisieren und die Lage in den von Israel besetzten Palästinensergebieten mit dem Holocaust gleichzusetzen. Der am Dienstag in Köln von der Bühne herab Gegendemonstranten verhöhnt und am Donnerstag in Leipzig erklärt, dass seine Musik "verschiedenste Leute von aller Welt mehr zusammenbringt als teilt". Der dafür von seinen Fans bejubelt wird und behauptet, mit Antisemitismus nichts zu tun zu haben, denn: "Einer meiner besten Freunde ist Jude."

Es könnte aber auch sein, dass dieser Felix Blume am 14. Dezember nicht auf der Bühne des Backstage stehen wird, egal welche Rolle - Provokateur, Opfer, unverstandener Friedensstifter - an diesem Tag auf seiner Agenda stehen sollte. Denn für viele Betroffene ist klar: Der Auftritt in München muss abgesagt werden, wie es im badischen Rastatt schon geschehen ist. "Der Hass auf Minderheiten wächst auch dank Menschen wie ihm heute weiter an", sagt Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde. "Die Veranstalter und auch die Landeshauptstadt München stehen daher in der Pflicht." Sie müssten dafür sorgen, dass Antisemitismus in München nicht öffentlich verbreitet werden könne. Knobloch fordert, "das Konzert in der geplanten Form abzusagen".

Ein Sprecher des Linken Bündnisses gegen Antisemitismus verlangt zudem, "dass sich solche Einladungen nicht wiederholen". Der jüdische Rapper Jonathan Kalmanovich alias Ben Salomo hat auf zwei Podien in München im Frühjahr und Herbst den nach seiner Erfahrung in der Rap-Szene weit verbreiteten Antisemitismus scharf kritisiert. Er hält es für effektiv, "wenn die Stadtgesellschaft und die Politik auf die Veranstalter einwirken und gegebenenfalls Auftritte absagen, damit verstanden wird, dass sie zukünftig besser keine problematischen Rapper mehr buchen. Das wären Signale mit Strahlkraft in die Szene hinein." Gefährlich findet auch der bayerische Beauftragte gegen Antisemitismus, was Kollegah macht. "Der sendet ganz bewusst Signale", sagt Ludwig Spaenle. "Man könnte das geistige Brandstiftung nennen", vor allem angesichts der riesigen Fangemeinde. Verbieten könne er nichts, sagt der CSU-Politiker. Aber er fordere jeden Veranstalter auf, "das mit der nötigen Sensibilität zu sehen".

Der Mann, an den diese Forderungen gerichtet werden, sitzt am Donnerstagabend in einem Nebenraum des Backstage, direkt neben dem Eingang zu dem 1991 geschaffenen Club. "Nazi - fuck off" steht dort auf einem Banner und "Kein Mensch ist illegal". Man könnte das als bittere Ironie lesen. Wäre Kollegah ein Nazi oder wäre das, was Blume auf und abseits der Bühne treibt, illegal - die Konzertabsage wäre ein Leichtes. Doch strafbar sind Kollegahs Texte nicht, das hat der Rapper schwarz auf weiß.

Die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft stellte im Juni 2018 Ermittlungen ein. Vulgär, menschen- und frauenverachtend, geschmacklos: All das seien die Texte, hieß es damals. Volksverhetzung oder Holocaustleugnung wollten die Strafverfolger aber nicht erkennen. Auch für den so genannten "Gangsta-Rap" gelte die Kunstfreiheit. Man darf davon ausgehen, dass es der Rapper andernfalls gar nicht erst auf den Spielplan des Backstage geschafft hätte. Extremismus und Fundamentalismus hätten im Backstage keinen Platz, heißt es im "Manifest" des Clubs, "genauso wie beispielsweise Rassismus, Antisemitismus, Chauvinismus, Frauenfeindlichkeit und Homophobie".

Eben doch, behaupten die Kritiker des Backstage-Betreibers Hans-Georg Stocker, 51. Der hält dagegen. Dies- und jenseits der von ihm und seinem Team gezogenen "roten Linie" gebe es eben auch eine Grauzone, zumal in den Szenen, auf die das Backstage spezialisiert ist: Reggae, Metal, Hip-Hop. Der von Beobachtern kritisierte üble Ton, den viele Sänger und Bands da anschlagen, gehört für die jeweiligen Fans gerade zum guten Ton, zumindest zur Normalität. "Man darf die Jugendlichen, die für so etwas anfällig sind, nicht von vornherein ausgrenzen, sonst überlasse ich die den Nazis", hat Stocker in einem Interview schon vor Jahren gesagt. Das Bündnis gegen Antisemitismus argwöhnt dagegen, dem Backstage-Betreiber gehe es in Wirklichkeit um finanzielle Interessen.

Andere finden Stockers Haltung zumindest bedenklich naiv. Wieder andere kolportieren gerne, das Backstage sei offen nach rechts. Tatsächlich hatte Stocker in diesem Jahr dreimal Probleme mit Bands. "Drei von rund 1000 Veranstaltungen", wie er betont. Einmal soll eine Band von den Färöer-Inseln Walfang propagiert haben. Die Band durfte dennoch spielen, Tierschützer aber gleichzeitig im Backstage Walfang brandmarken. Zweimal lud Stocker Bands mit rechtem Hintergrund wieder aus, zu spät, wie Kritiker finden. Im April ersetzte er das Konzert einer dieser Bands kurzfristig durch einen Abend gegen Antisemitismus. Dabei kam es zum Eklat, als der jüdische Stadtrat Marian Offman von der Bühne gebuht wurde - weil er damals noch CSU-Mitglied war.

Zwischen "man lässt alles laufen" und "man zensiert alles weg" müsse es noch etwas anderes geben, sagt der Musiksoziologe Rainer Sontheimer. Er kennt sich aus mit "Deutschrock als rechte Grauzone" und ähnlichen Phänomenen. Seit dem Frühjahr berät Sontheimer Stocker und das Backstage-Team. Wie also geht man mit Künstlern aus dieser Grauzone um? "Kritisch begleiten", sagt Sontheimer, "aufklären statt verbieten". Stocker will genau das versucht haben im Fall Kollegah. Dabei ist er noch nicht einmal der Veranstalter, nur der Vermieter der Halle.

Gebucht hat eine Agentur, diese wiederum für Blumes eigenes Label Alpha Music Empire. Als er erfuhr, erzählt Stocker, für wen die Halle gebucht wurde, habe er gesagt: "Das ist ein Problem." Kollegahs Manager sei zunächst "sehr offen und reflektiert" mit dem Antisemitismus-Vorwurf umgegangen. Dem Hallenbetreiber schwebte offenbar vor, den Rapper und dessen Kritiker zusammenzubringen. Im Vorfeld und dann auch im Backstage. "Ich bin bereit, den Dialog zu vermitteln", sagt der Backstage-Chef. Schließlich gehe es nicht nur um München, sondern um Auftritte in ganz Deutschland. Der Plan scheiterte. Stocker, der von sich sagt, seine Fragezeichen seien immer größer geworden, der aber auch einräumt, dass ihm irgendwann die Zeit davon lief, sieht sich allein gelassen. Außer der Forderung nach Absage des Konzerts sei von den Kritikern wenig gekommen. Und dann meldete sich Kollegah selbst zu Wort - und machte sich am Dienstag in Köln von der Bühne herab über seine Kritiker lustig. "Erschütternd", findet Stocker das. Es könnte die entscheidende Erschütterung zu viel gewesen sein.

Es könnte also immer noch sein, dass Felix Blume am 14. Dezember nicht vor 1200 Fans in München auftritt, zumindest nicht im Backstage. Vielleicht reimt Kollegah doch zu sehr "über die Grenzen des Erträglichen hinaus", um eine stimmige Antwort auf die Frage zu liefern, die sich auch Stocker und Sontheimer stellen: Wie führt man einen kritischen Dialog in und mit einer gegenüber ihren Stars unkritischen Szene, ohne dass es für andere, Betroffene zumal, unerträglich ist? "Zensur und Verdrängung", glaubt der Soziologe, "kann ja nicht das Zukunftsmodell für Kultur sein". Alles weitere steht vorerst im Konjunktiv.

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Quelle:
SZ vom 16.11.2019/fema
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