Kneipe Schwabing "Pils-Doktor":Vorsicht vor der Stamperl-Eisenbahn!

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Tobias Dorfer

Den Schnaps bringt im Pils-Doktor die Bahn. Genauer gesagt eine LGB-Modelleisenbahn, die über den Köpfen der Gäste auf ihren Schienen entlangtuckert. Der Wirt hat die Wagen selbst so umgestaltet, dass mühelos eine Handvoll Stamperl darauf passen, oder gleich die ganze Flasche Apfelkorn, je nachdem, was die Gäste so wollen.

Pils-Doktor, Herbert Hollerer, Leopoldstraße 124, München

Die Stamperln bringt im Pils-Doktor eine Modelleisenbahn.

(Foto: Tobias Dorfer)

Dann geht es los. Die mit Hochprozentigem beladene Eisenbahn startet am Tresen, durchquert einen Tunnel, fährt immer weiter auf ihren an der Wand montierten Schienen, bis sie den durstigen Gast erreicht hat. Wenn ein Gast Geburtstag hat, steckt Hollerer noch ein Paar Wunderkerzen an den Wagen.

Zufällig findet man nicht hinein in diese urige Kneipe. Wer den Pils-Doktor in der nördlichen Leopoldstraße betritt, der kommt bewusst. Die Kneipe, die sich zwischen einer Shell-Tankstelle, der Metro und einem Mercure-Hotel befindet, ist keine Anlaufstelle für das übliche Partyvolk aus dem Glockenbachviertel oder dem Westend. Und das ist auch gut so, findet Inhaber Herbert Hollerer.

Unscheinbar ist der Laden, zumindest von außen. Das rustikal gestaltete Logo, die Leuchtschrift, die das Bier anpreist - und im Fenster hängt ein weißes Blatt Papier, auf dem vermerkt ist, dass Minderjährige draußen bleiben müssen. Wahrscheinlich könnte hier auch eine Spielhalle untergebracht sein oder ein Rotlicht-Etablissement, durch die abgedunkelten Scheiben ist das kaum zu erkennen.

Doch innen hat sich Hollerer, 63 Jahre alt, ein uriges und gemütliches Reich geschaffen, in dem er "fast jeden Nagel selbst reingeschlagen" hat: Holzbänke, Kerzen auf den Tischen, Bierdeckel, die Logos großer Brauereien sind allgegenwärtig - aus den Lautsprechern klingt Radio Arabella oder das "knallrote Gummiboot" von Wencke Myhrre.

Geldscheine aus aller Welt sind über der Theke angebracht. Und an den dunkelrot gestrichenen Wänden hängen in Baumstammscheiben geritzte Weisheiten. "Täglich besoffen ist auch ein geregelt Leben", heißt es einmal. Ein anderes Schild floskelt: "Wer das Denken den Pferden überlässt, übertreibt seine Tierliebe."

Doch von der Inneneinrichtung auf die Kundschaft zu schließen, wäre falsch. Unter den Stammgästen des Pils-Doktors sind viele Studenten, die in Nordschwabing wohnen und auf dem Nachhauseweg noch ein Helles trinken wollen. Aber auch andere Gäste kommen, die die humanen Bierpreise zu schätzen wissen: 0,4 Liter Helles gibt es bei Herbert Hollerer für 2,90 Euro, der halbe Liter Weißbier kostet 3,40 Euro. Das ist für Münchner Verhältnisse nicht viel.

Besonders beliebt ist der vom Wirt selbst aus Apfelsaft und Schnaps zusammengemischte und in eine Flasche mit selbstdesignetem Etikett abgefüllte Apfelkorn. Die Flasche kostet unschlagbare 10,50 - die Erinnerungen an damals, als man vor dem Weggehen eine Flasche Berentzen leerte, gibt's gratis dazu. Wer will, dem serviert er dazu ein Schmalzbrot oder ein Paar Würstel. Mehr gibt es nicht. Wer warm essen möchte, kann sich von einem italienischen Restaurant eine Mahlzeit in den Pils-Doktor liefern lassen.

Wo Thomas Gottschalk sein Bier trinkt

Wer ein Weißbier trinken möchte, bekommt dieses nicht von der Modelleisenbahn. Das gefüllte Weißbierglas würde spätestens beim Eintritt der Bahn in den Tunnel auf dem Boden des Pils-Doktors eine kleine Überschwemmung verursachen.

Die Bahn, Männertraum und Gag-Element, ist das Highlight in der kleinen Kneipe. Stammgäste haben Herbert Hollerer unzählige Zugschilder mitgebracht, die von der Decke hängen. Überhaupt, die Stammgäste. Sie machen den Hauptanteil der Besucher aus. 80 Prozent kennt der Wirt persönlich, sagt er, früher waren es 98.

Hollerer nimmt auch Päckchen für seine Gäste entgegen oder bewahrt den Schlüssel auf. Aber vor allem sieht er seine Aufgabe darin, zuzuhören. Bei ihm kann sich jeder ausheulen, wenn er Ärger hat mit der Frau zuhause oder im Job. Hollerer sagt meistens nicht viel. "Ein guter Wirt muss vor allem zuhören können."

Und solidarisch sein. Wenn ein Mann im Pils-Doktor mit einer Frau turtelt, die nicht seine ist, dann verrät Hollerer nichts, und wenn die Gattin sich telefonisch nach dem Ehemann erkundigt, hält der Wirt dicht. Aber dem Gast, dem sagt er danach trotzdem, was er von der ganzen Sache hält.

Manchmal verlässt diese eingeschworene Gemeinschaft auch die urige Kneipe. Hollerer hat schon Floßfahrten oder eine Fahrt mit der Partytram für seine Stammkunden organisiert. Auch Prominente lassen sich ab und zu im Pils-Doktor ein Bier schmecken. Thomas Gottschalk war schon einmal mit seiner Frau da, erzählt Hollerer - ebenso der Schauspieler Dietmar Schönherr mit seiner Gattin Vivi Bach.

Gibt man so ein zweites Zuhause freiwillig auf? Hollerer sagt, er würde gerne in Rente gehen, wenn er könnte. Oder in Urlaub. In den vergangenen Jahren sind entweder Hollerer oder seine Frau täglich in der Kneipe gewesen, zusammen wegfahren geht nicht. Früher seien sie mal mit den Kindern im Club Med gewesen, aber das ist lange her. Trotzdem - vorerst macht er eben doch noch weiter mit dem Pils-Doktor.

Seine Gäste wissen das zu schätzen. Auch wenn Hollerer Besuchern, die zu tief ins Glas geschaut haben, kein Bier mehr ausschenkt. Dafür bringt er Stammgäste ab und zu nach Hause, bevor er selbst nach Forstenried fährt. Diesen direkten Kontakt zu seinen Gästen schätzt der Wirt besonders: "Ich möchte nie eine Autobahnraststätte haben."

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