Kneipe:Schluss mit Live-Musik: Das Schwabinger "Podium" macht zu

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Ausgespielt: Rainer Blencke, Frontman der Trouble Boys, heizt den Gästen ein letztes Mal ein. (Foto: Robert Haas)

Die Wut auf den Kommerz und die fast zärtliche Zuneigung zur Musikkneipe sind noch zu spüren. An diesem Dienstag wird ein letztes Mal "Purple Rain" gespielt. Dann müssen die Wirtsleute umziehen.

Von Stefan Mühleisen

Petra Haberer weiß jetzt schon, dass sie später wieder heulen wird, beim letzten Song, dem ewigen Rausschmeißer: "Purple Rain" von Prince. Honey, I know, I know, I know times are changin', wird der Frontman der Trouble Boys ins Mikro röhren - und mit Tränen in den Augen werden Haberer und nicht wenige der 150 Gäste im "Schwabinger Podium" mitsingen.

Es müssen Tausende Abende gewesen sein, an denen die legendäre Pop-Hymne den Schlussakkord denkwürdiger Konzerte bildete. Nun wissen alle, dass sich die Zeiten drastisch ändern für das Podium, ihre geliebte Schwabinger Musik-Kneipe. Der Song ist zum Soundtrack des Abschieds geworden.

Doch noch ist es für Petra Haberer nicht die Zeit zum Trauern. Erst muss die Wut raus bei einer Zigarette vor dem brechend vollen Lokal. "Es geht doch nur noch um Kommerz", giftet sie und gestikuliert so wild, dass ihr Satinkleid flattert. Schwabing, so schimpft die Frau, habe schon vor langer Zeit sein Flair verloren. Sie stellt klar: "Das hat nichts mit Sentimentalität zu tun." Kurze Pause. "Doch hier geht eine Ära zu Ende."

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Die Wut auf den Kommerz und die fast zärtliche Zuneigung zu einer Live-Musik-Kneipe: Es sind große Gefühle, die beim Besuch an einem der letzten Abende in dem Haus an der Ecke Sieges- und Wagnerstraße aufwallen. Nach 44 Jahren gehen im "Schwabinger Podium" die Lichter aus, eine Institution macht dicht.

Aus der ganzen Stadt und aus dem Umland strömten die vergangenen Wochen in Massen die meist schon etwas älteren Gäste herbei, um die letzten Farewell-Auftritte der Rock-Cover-Bands mitzuerleben - wobei die Bands selbst mitunter ebenso zum Inventar gehören wie das Publikum. Doch diesen Dienstag ist Schluss, geschlossene Gesellschaft, ein letztes Mal "Purple Rain".

Für viele ist das Verschwinden der Kneipe ein Symbol ihrer Machtlosigkeit

Seit Ende 2014 ist bekannt, dass der frühere BMW-Finanzvorstand Friedrich Eichiner das Haus gekauft hat. Er will es abreißen und durch einen Neubau ersetzen lassen. Ein Aufschrei ging durch die Straßen rund um das 1895 erbaute Gebäude: Eine Bürgerinitiative sammelte Tausende Unterschriften; der Bezirksausschuss legte sich ins Zeug für den Erhalt des Hauses.

Zuletzt untersagte die Stadt den Abriss, weil die staatliche Denkmalbehörde den Ensembleschutz ausgeweitet hat - der Eigentümer will nun vor Gericht ziehen. Dem "Schwabinger Podium" nutzt das schwebende Verfahren nichts mehr: Der Gewerbemietvertrag ist längst gekündigt.

Das Gebäude mag von außen wie ein abgehalfterter Schuppen wirken: Risse durchziehen die Fassade, der Putz bröckelt, Graffiti-Schmierereien. Doch für viele ist das Verschwinden der Musik-Kneipe ein Symbol ihrer Machtlosigkeit: Sie fühlen sich ohnmächtig, wenn Investoren Häuser kaufen, quasi die Stadt nach ihrem Gusto umgestalten. Auf der Strecke bleiben Kneipen wie die "Schwabinger 7" - und jetzt das "Schwabinger Podium".

Das Lokal gilt als Veteran des Lebensgefühls der Siebziger- und Achtzigerjahre: eine Zeit, als das Viertel für seine Ausschweifungen berühmt war, der Exzess aber mit nonchalanter Bodenständigkeit ablief. Das gefiel so einigen international bekannten Rockgrößen. Stars wie Foreigner oder Spandau Ballet schauten nach ihren Gigs im "Schwabinger Podium" vorbei. Dort hörten sie dann mitunter ihre eigenen Hits, gespielt von leidenschaftlichen Cover-Bands wie den Trouble Boys. "So eine Livemusik-Kneipe wie das Podium gibt es in München nicht mehr. Es ist für die Stadt ein Riesenverlust", sagt Rainer Blencke, Trouble-Boys-Frontman seit 1981.

Die Einrichtung im "Schwabinger Podium" hat sich seit 1972 kaum verändert. (Foto: Matthias Ferdinand Döring)

Es sind noch zwei Stunden bis zum Auftritt, noch mindestens vier bis "Purple Rain". Es ist gähnend leer, die Kneipe zeigt ihr nacktes Gesicht, das sich in all den Jahren kaum verändert hat: einfache Holztische, vernarbte Bar, Saloon-Atmosphäre; an den Wänden Fotos von Musikern, die ins Mikro kreischen oder Gitarrensaiten dreschen; dazu die Plakate der Cover-Gruppen, die dem Laden so lange einheizten: Thunderbirds, Beatstones, Midlife Crisis, Isar Rider, The Public. Alles hat die Patina einer alten, aber gepflegten Lederjacke, mit der tagein, tagaus getanzt, gesungen, versumpft wird. Neben der Tür liegt ein handgeschriebenes Pappschild bereit, das bald gebraucht wird: "Wegen Überfüllung geschlossen", steht darauf.

Der Profimusiker Blencke, 51, spielt hier seit langem immer wieder die gleichen rockigen Gassenhauer: "Jump" von Van Halen, "Rebel Yell" von Billy Idol. Er lächelt und winkt ab, wenn man ihm mit Nostalgie kommt. "Ach was. Es ändert sich so viel im Leben, doch hier war alles wie immer: Das Podium und die Musik, das war eine Konstante, ein Ankerplatz für die Leute."

Über Jahrzehnte war das Lokal für viele Gäste wie ein Wohnzimmer

Das Lokal füllt sich schnell an diesem Abend, Lederjacke trägt kaum jemand, vorherrschend ist der legere Look von Münchnern der 50-Plus-Generation. Jens Boemeke hat sich mit seinen Freunden einen Platz gesichert, wie ungezählte Male in den vergangenen 20 Jahren. "Das war unser Wohnzimmer", sagt der 71-Jährige. Und auch er kann sich ein paar wütende Worte nicht verkneifen. "Hier wird ein Stück Münchner Kultur kaputt gemacht", grollt er. Daneben macht Hans Weiherer, 59, seinem Ärger Luft. "Die griabigen Lokale gehen zugrunde. Und des, was nachkommt, des kannst vergessen."

Die Trouble Boys haben sich längst warm gespielt. Gerade war der Mitgröl-Klassiker "Knockin' on heavens door" dran, Frontman Blencke plaudert mit der Menge: Früher hätten die Leute gefragt, warum sie immer den alten Scheiß spielen würden, erzählt er. Dann habe es Beschwerden gegeben wegen des neuen Repertoires. "Seitdem spielen wir wieder den alten Scheiß, Leute!" Die ganze Kneipe johlt. Sie werden ihn vermissen, den alten Scheiß.

Das lässt auch Wirtin Renate Vogel durchblicken, vor der Tür bei einer Zigarettenpause. "Wir gehen schweren Herzens", sagt die 64-Jährige. Die Suche nach einem Ausweichquartier war lange erfolglos. Nun geht's an den Stadtrand, der Betrieb im neuen Domizil ist bereits angelaufen: Der Gasthof "Schießstätte" in Allach hat einen Saal für 250, einen Biergarten für 600 Gäste.

"Wir werden versuchen, das Podium-Gefühl zu erhalten", sagt Vogel. Schwer vorstellbar in einem Lokal mit großem Hirschgeweih über der Eingangstür. "Man kann das Flair nicht mitnehmen, nur die Erinnerung", kommentiert ein Stammgast lakonisch. Das alles könnte Renate Vogel jetzt tieftraurig stimmen, tut es aber nicht. Noch nicht. "Ich habe bisher keine Zeit gehabt zum Heulen. Das kommt erst nachher. Spätestens bei Purple Rain."

© SZ vom 27.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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