Klinikum Schwabing:"Ich kann die Narben nicht aus dem Gedächtnis löschen"

Klinikum Schwabing: Bunte Station, schwerwiegende Verletzungen: Carsten Krohn ist Leitender Oberarzt der Schwerbrandverletzteneinheit am Klinikum Schwabing.

Bunte Station, schwerwiegende Verletzungen: Carsten Krohn ist Leitender Oberarzt der Schwerbrandverletzteneinheit am Klinikum Schwabing.

(Foto: Catherina Hess)

Bei allen körperlichen Verletzungen nach schweren Brandverletzungen kann Carsten Krohn helfen. Etwa 100 Kinder versorgt das Zentrum für schwerbrandverletzte Kinder in Schwabing pro Jahr.

Von Tobias Ott

Hannes greift nach seinem Stofftier. Fest drückt er den Bauch von Esel Emil und lacht. Vor einigen Wochen hätte er sich beim Kuscheln gequält, der Griff wäre unmöglich gewesen. Denn Mitte Dezember vergangenen Jahres fasste der Zweijährige in eine heiße Bügelmaschine. Nur kurz hatte die Großmutter den Jungen aus den Augen gelassen. Die wenigen Sekunden reichten und Hannes Finger waren verbrüht, die Haut löste sich ab.

Carsten Krohn, Leitender Oberarzt der Schwerbrandverletzteneinheit für Kinder am Klinikum Schwabing, verpflanzte ein Stück von Hannes Kopfhaut auf seinen Fingern. Für die Transplantation nahm der 48-Jährige die oberste Hautschicht, lediglich 0,2 Millimeter dünn, vom Hinterkopf ab. "Ich versuche, die Kinder so hinzubekommen, dass sie wieder voll funktionstüchtig sind", sagt der Verbrennungsexperte.

Seine Abteilung im Klinikum Schwabing ist eines von nur 19 Schwerbrandverletztenzentren für Kinder in Deutschland - und das größte in Bayern. Die Ärzte behandeln stationär jährlich rund 100 Kinder mit Brand- und Verbrühungsverletzungen; noch einmal so viele werden ambulant versorgt.

Der Funkempfänger piepst, Carsten Krohn wird in die Notaufnahme gerufen. Ein Junge aus Rosenheim hat sich beim Inhalieren eine Schüssel mit heißem Wasser über den Schoß gekippt und dabei die Oberschenkel und Genitalien verbrüht. Knapp 50 Grad reichen, um die Haut schwer zu schädigen. Der Knirps bleibt zur Beobachtung über Nacht auf der Station. "Nach drei Tagen kann ich die wirkliche Tiefe einer zweitgradigen Verbrühung erkennen", sagt der Facharzt.

In Deutschland verbrennen und verbrühen sich jährlich etwa 6000 Kinder so schwer, dass sie stationär behandelt werden müssen. Rund 30 000 unter 15 Jahren benötigen eine ambulante ärztliche Versorgung. Mediziner unterscheiden zwischen zwei Fällen: Verbrühungen werden durch Flüssigkeiten verursacht, Verbrennungen sind ausschließlich Flammenverletzungen, die allerdings kaum noch auftreten. "90 Prozent aller Verletzungen sind Verbrühungen", sagt Krohn, denn Brände werden oft durch die vorgeschriebenen Rauchmelder rechtzeitig erkannt. Außerdem fängt die Wohnungseinrichtung wegen schwer entflammbarer Materialien nicht mehr so schnell Feuer.

Die gefährlichste Zeit ist das Krabbelalter

Seit 14 Jahren ist Carsten Krohn Arzt am Klinikum Schwabing, er kann so einige schockierende Geschichten erzählen. Von Kindern, die mit Adventskränzen zündeln oder auf abgestellte Bahnwaggons klettern und einen 15 000 Volt starken Stromschlag erleiden. Auch Erfrierungen und chemische Verätzungen hat er behandelt. Krohn ist sicher: "80 Prozent der Unfälle lassen sich durch Aufklärung über Gefahren im Haushalt verhindern." Das Klinikum Schwabing leistet die notwendige Prävention bereits bei der Geburtsvorbereitung.

Besonders gefährdet ist der Nachwuchs im Krabbelalter. Oft können gerade die kleinen Dinge den größten Schaden anrichten, sei es der Griff nach dem herunterhängenden Kabel des Wasserkochers oder eine an der Tischkante abgestellte Tasse Kaffee. "Kleine Kinder gehören nicht an den Herd oder in die Nähe des Schwedenofens", betont Carsten Krohn. Tritt der Ernstfall ein, empfiehlt der Facharzt für Kinderchirurgie: "Die Wunde sauber und trocken abdecken und ab in die Klinik." Von Hausmitteln rät er ab, Zahnpasta oder Quark haben auf so einer Verletzung nichts zu suchen.

Mancher Unfall lässt sich nicht verhindern

Manche Unfälle aber kann man einfach nicht verhindern: Bei Krohn sprach einmal eine Mutter vor, der während des Stillens der Boden aus der Tasse brach, der heiße Tee ergoss sich über ihr Kind. Und nicht alle Verbrühungen gehen auf Unfälle zurück: "Etwa zehn Prozent sind Misshandlungen", weiß Facharzt Krohn, der auch als medizinischer Sachverständiger vor Gericht auftritt. Eine psychisch kranke Mutter habe ihre Tochter in heißes Badewasser gelegt. Andere Eltern setzten ihr Kind vorsätzlich auf die Herdplatte oder drückten die Zigarette auf der Babyhaut aus.

Im OP-Saal liegt nun ein neunjähriges blondes Mädchen auf dem Tisch, beatmet durch Schläuche, die zum Kehlkopf führen. Sie ist in Vollnarkose versetzt, für das Needling, eine Methode, die das Erscheinungsbild von Narben verbessert. Zehn Minuten walzt Oberarzt Jan Berndt mit einem Roller aus spitzen Nadeln über das vernarbte Dekolleté. Die Haut färbt sich lila. Sie sieht aus wie ein Blaubeerkuchen. Aus den aufgestochenen Löchern drückt das Blut, wodurch die Narben zwar nicht verschwinden, aber weicher werden. "Die meisten Mädchen kommen in der Pubertät zum Needling", meint Berndt, "vorher sind sie mit ihren Entstellungen relativ gut zurecht gekommen."

Vieles könne er operieren, sagt Krohn, die Seele jedoch nicht. Daniel etwa trägt seit sieben Jahren Wundmale auf der Brust, am Rücken und an beiden Armen. Mehr als die Hälfte seines Körpers ist vernarbt. Er kam einem Grill zu nahe, als sein Vater Spiritus auf glühende Kohlen goss.

Krohn schlägt dem heute 13-Jährigen die Teilnahme an einem Seminar des Vereins Paulinchen vor. Die Initiative berät seit fast 25 Jahren Jugendliche und Familien und unterstützt sie bei Problemen in der Rehabilitationszeit. In einer Selbsthilfegruppe könnte Daniel mit anderen brandverletzten Kindern die erlebten Schmerzen und Ängste aufarbeiten. "Ich kann die Narben nicht aus dem Gedächtnis löschen", sagt Krohn.

Einige Eltern machen sich nach Verletzungen ihrer Kindern selbst Vorwürfe. "Natürlich hatten wir Schuldgefühle, dass wir ausgegangen sind und unseren Sohn alleine bei der Oma ließen", sagt Hannes Vater. Gerne hätten die Eltern ihrem Kleinen alles erspart: die Schmerzen, die Tränen, die Klinikaufenthalte. "Hannes ist ängstlicher geworden, hat den Unfall aber gut weggesteckt", sagt seine Mutter.

Die Bügelmaschine ist entsorgt, die Oma passt wieder auf ihren Enkel auf und Hannes' Finger zeigen einen guten Heilungsverlauf: "Die Hand kann nur ganz heil werden, wenn die Eltern mitmachen." Vater und Mutter sollen sie dreimal täglich eincremen und die Finger 90 Grad nach unten dehnen. Außerdem muss der Kleine einen Kompressionshandschuh tragen und eine Plastikschiene beim Schlafen. Die entnommene Haut an Hannes Hinterkopf ist auch wieder nachgewachsen. Feine braune Härchen überdecken die operierte Stelle. Carsten Krohn hebt den Buben vom Behandlungstisch hoch und setzt zum Abflug an - in die Arme des Vaters.

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