Klinikum Großhadern:Versuchter Mord im Kreißsaal

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Die Staatsanwaltschaft klagt eine Hebamme an, weil sie im Klinikum Großhadern Schwangeren falsche Medikamente verabreicht haben soll - aus Frust über ihren Job. Der Fall hat bis heute Konsequenzen für das Krankenhaus

Von Christian Rost, München

Sie soll neun Schwangeren heimlich medizinisch nicht indizierte Medikamente verabreicht und die Frauen damit in Lebensgefahr gebracht haben. Die Staatsanwaltschaft München I hat jetzt Anklage gegen eine ehemalige Hebamme des Klinikums Großhadern wegen versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung erhoben. Das Motiv der 34-Jährigen, die die Vorwürfe abstreitet, soll Unzufriedenheit im Job gewesen sein. Der Fall hatte hohe Wellen geschlagen - und zu neuen, strikten Vorgaben im Klinikum Großhadern geführt. Bestimmte Tätigkeiten bei der Vorbereitung eines Kaiserschnitts dürften seitdem nur noch von Ärzten vorgenommen werden, jeder Vorgang werde protokolliert, so der Sprecher des Klinikums, Philipp Kreßirer.

Das Klinikum Großhadern erstattete im Juli 2014 selbst Strafanzeige, nachdem es bei mehreren Kaiserschnittgeburten bei Patientinnen zu starken Blutungen gekommen war. Die Ermittlungen konzentrierten sich bald auf die Hebamme Regina K. Laut Anklage soll die Frau in der Zeit von April bis Juni 2014 vier Patientinnen des Klinikums Großhadern das Mittel Heparin verabreicht haben, wodurch diese während ihrer Kaiserschnitte fast verblutet wären. Bei den Betroffenen kam es während oder kurz nach den Kaiserschnitten zu schweren Gerinnungsstörungen und lebensbedrohlichem Blutverlust. Um das Leben der Frauen zu retten, hätten die Ärzte jeweils notfallmedizinische Maßnahmen ergreifen müssen, heißt es in der Anklage weiter.

Auch in einer Klinik im hessischen Bad Soden, in der die Hebamme zuvor in der Geburtshilfe tätig war, soll sie Schwangere in Lebensgefahr gebracht haben. In der Zeit von September 2011 bis Januar 2012 mischte sie den Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft zufolge in vier Fällen Infusionslösungen ebenfalls ein blutgerinnungshemmendes Medikament bei. Auch hier erlitten die Patientinnen einen lebensbedrohlichen Blutverlust. In einem weiteren Fall soll sie bei der Geburtsvorbereitung einer Schwangeren ein Mittel gegeben haben, das starke Gebärmutterkontraktionen hervorrief. Nur durch Notfall-Maßnahmen habe das Leben der Betroffenen gerettet werden können, so die Staatsanwaltschaft. Die Hebamme habe billigend in Kauf genommen, dass die Medikamente zum Tod der Patientinnen hätten führen können.

Dass Regina K. versehentlich falsche Präparate verabreicht haben könnte, schließen die Ankläger aus: Die Hebamme habe die Taten aus Unzufriedenheit über ihre berufliche Situation begangen, wobei ihr das Schicksal der Geschädigten gleichgültig gewesen sei, heißt es zum Motiv. Die Neugeborenen hätten aber keine gesundheitlichen Schäden erlitten.

Das Klinikum Großhadern geriet nach Bekanntwerden der Vorwürfe massiv in die Kritik, weil es vom ehemaligen Arbeitgeber der Hebamme gewarnt worden war. In Bad Soden war Regina K. im April 2012 suspendiert worden, weil Ärzte der Klinik den Verdacht hatten, dass sie einer Patientin ein nicht angezeigtes Medikament gegeben hatte. K. klagte gegen die Freistellung am Amtsgericht Frankfurt, das die Beweislage gegen die Frau als dünn erachtete. Daraufhin schlossen die Klinik und die Mitarbeiterin einen Vergleich: Das Arbeitsverhältnis wurde aufgelöst, die Hebamme erhielt 10 000 Euro Abfindung. Die Klinik musste sich zudem verpflichten, die Vorwürfe gegen K. nicht weiter aufrecht zu erhalten. Sie bekam sogar ein Arbeitszeugnis mit der Note "Gut" ausgestellt. Damit bewarb sie sich in Großhadern - und wurde eingestellt.

In Bad Soden war man aber derart in Sorge, dass die Frau andernorts Patientinnen in Gefahr bringen könnte, dass die Klinikleitung trotz des Vergleichs nicht nur die Hebammenaufsicht über den Fall informierte. Auch das Klinikum Großhadern erhielt einen Brief der Kollegen aus Bad Soden. In den Schreiben hieß es, man solle Regina K. unbedingt einer genauen Kontrolle unterziehen. Nach der Darstellung des Klinikums Großhadern ging der Brief dort acht Wochen nach der Einstellung der Hebamme ein. Daraufhin sei die Frau zu einem Personalgespräch gebeten worden, in dem sie die Vorwürfe habe ausräumen können. "Es gab kein Urteil und keinen Beweis gegen sie", hieß es dazu. Die 34-jährige Frau habe seitdem unter Beobachtung gestanden und sich bis zu den aktuellen Vorwürfen nie etwas zu Schulden kommen lassen.

Wann der Prozess mit 94 Zeugen und sechs Sachverständigen beginnt, steht noch nicht fest. Negative Auswirkungen auf die Anmeldezahlen von Gebärenden habe es im Klinikum nicht gegeben, sagt Sprecher Philipp Kreßirer. Dennoch musste die Klinik die Zahl der Geburten auf jährlich 1600 deckeln - weil es nicht genügend Hebammen gibt.

© SZ vom 23.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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