Klinikum Großhadern:Streit am offenen Herzen

Klinikum Großhadern in München, 2015

Bei einer Prüfung 2010 gab es keine Beanstandungen.

(Foto: Robert Haas)
  • Ärzte des Klinikums Großhadern sollen Krankenakten manipuliert haben, damit Herzpatienten schneller an Organspenden kommen.
  • Die Vorwürfe werden von der Prüfungskommission der Bundesärztekammer erhoben.
  • Das Krankenhaus weist das zurück und spricht von einem "Witz".

Von Christina Berndt

Die Vorwürfe wiegen schwer. "In mindestens 17 Fällen" hätten die Ärzte am Universitätsklinikum Großhadern in den Jahren 2010 bis 2012 Krankenakten manipuliert, um ihre Patienten bevorzugt mit einem Spenderherzen zu versorgen. So heißt es in einem Bericht der Prüfungs- und Überwachungskommission, die bei der Bundesärztekammer (BÄK) angesiedelt und für die Kontrolle im Transplantationssystem zuständig ist.

"Systematisch" seien Patienten als "hochdringliche", sogenannte HU-Fälle an die Organvermittlungsstelle Eurotransplant gemeldet worden. Dabei hätten sie für einen solchen HU-Status nicht die Voraussetzungen erfüllt, die in den Richtlinien der BÄK festgeschrieben seien, heißt es in dem Bericht. Dadurch hätten sie bevorzugt ein Spenderherz erhalten, andere Patienten seien zunächst leer ausgegangen. Die Prüfungskommission hat deshalb auch die Staatsanwaltschaft informiert.

Die Verantwortlichen reagieren empört

In Großhadern weisen die Verantwortlichen die Vorwürfe vehement zurück. "Man kann hier keinesfalls von Manipulationen sprechen", sagt Karl-Walter Jauch, der Ärztliche Direktor. Man habe die Patienten vielmehr nach dem neuesten Stand der Medizin behandelt, der in den veralteten Richtlinien der BÄK noch nicht abgebildet sei. Alle Details ihrer Therapie hätten die Ärzte mit an Eurotransplant übermittelt, wo Gutachter die Anträge einzeln durchgehen. Jauch: "Hier hat niemand etwas zu vertuschen versucht." Die Prüfer werfen dem Klinikum dagegen vor, den HU-Status für Patienten erschlichen zu haben.

Voraussetzung für diesen Status ist den BÄK-Richtlinien zufolge, dass die Patienten "Zeichen beginnenden Organversagens" zeigen, obwohl sie herzunterstützende Medikamente in hoher Dosierung bekommen. Detaillierter wird nur das Handbuch von Eurotransplant, in dem Dosis und Zeitraum der Therapie näher ausgeführt sind. Das Uniklinikum hätte explizit darauf hinweisen müssen, dass dieser Zeitraum in Großhadern und Neuwittelsbach nicht eingehalten werde, sagt Hans Lippert, Vize-Vorsitzender der Prüfungskommission.

Wochenlang keine Medikamente

In München kamen manche Patienten sogar wochenlang ohne diese Medikamente aus. Eine Herztransplantation sei trotzdem hochdringlich gewesen, betont Jauch. Da die Medikamente mit der Zeit an Wirkung verlieren und dem Herzen schaden, würden sie in Großhadern so selten wie möglich gegeben. Diese immer wieder unterbrochene Medikamentengabe habe auch den Vorteil, dass sich manche Patienten so weit wieder erholen, dass sie keine Herztransplantation mehr benötigen.

Böse Absicht oder "ein Witz"?

Die Prüfer erkennen allerdings böse Absicht: Die Medikamente seien immer dann gegeben worden, wenn wieder eine HU-Meldung erfolgt sei, heißt es in dem Bericht. Offenbar sei eine Herztransplantation dieser Patienten eben nicht hochdringlich gewesen. Am Telefon bestätigt auch Jan Gummert, Direktor der Klinik für Herzchirurgie am Herzzentrum in Bad Oeynhausen, diese Sicht: "Für einen HU-Status ist eine kontinuierliche medikamentöse Therapie Voraussetzung", sagt er.

Doch Großhadern hat ebenfalls Unterstützung für seine Sicht der Dinge: Drei medizinische Gutachten kann das Klinikum vorlegen. Die unterbrochene Medikamentengabe sei "absolut indiziert", heißt es darin, die kontinuierliche Gabe dagegen "schädlich und medizinisch nicht mehr vertretbar". Besonders deutlich wird Wolfgang von Scheidt, Chefarzt am Klinikum Augsburg, der früher am Eurotransplant-Handbuch mitgearbeitet hat: Die andauernde Gabe der Medikamente würde bei Patienten, die nicht für eine Herztransplantation gelistet sind, "niemandem in den Sinn kommen und wird somit offensichtlich durchgeführt wegen der Listung, nicht wegen der Erkrankung", schreibt er.

2010 wurde das Klinikum als "vorbildlich" gelobt

Im Klinikum fühlt man sich an der medizinischen Ehre gepackt. "Das ist so ein schwerwiegender Vorwurf gegen meine Mitarbeiter", sagt Jauch. "Hier muss ich mich schützend vor sie stellen." Er ist verärgert, dass sich die Prüfungskommission nur für die Dosierungen interessiert habe, aber nie dafür, wie schlecht es um die Patienten stand. Juristisch betrachtet das Klinikum die Vorwürfe sogar "als Witz". So zumindest drückt es der Strafrechtler Ulrich Schroth aus, langjähriger Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht an der LMU und Experte im Transplantationsrecht. "Bindend sind die Richtlinien der BÄK - und nicht ein Handbuch von Eurotransplant, einer niederländischen Stiftung, die in Deutschland nicht über Lebenschancen entscheiden darf", sagt er.

Irritiert ist man in Großhadern noch aus einem anderen Grund: Im Jahr 2010 hat die Prüfungskommission schon einmal das Münchner Herztransplantationsprogramm überprüft. Anders als heute wurde es nicht beanstandet. Vielmehr lobten die Prüfer die moderne Behandlung sogar als "vorbildlich". Die aktuelle Bewertung in Großhadern fand bei einer Routineprüfung statt, wie sie seit dem Transplantationsskandal bei sämtlichen Transplantationsprogrammen durchgeführt wird.

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