Süddeutsche Zeitung

Pflege in München:Eine moderne Kinderklinik funktioniert nicht ohne Personal

  • An zwei großen Neubauprojekten von Kinderkliniken in München wird derzeit gearbeitet - in Schwabing und in Großhadern.
  • Die Stiftung Kinderklinik setzt sich dafür ein, dass möglichst viele Personalwohnungen in Schwabing entstehen.
  • Insgesamt 800 Millionen Euro steckt das städtische Klinikum in die Neu- und Umbauten all seiner Standorte in den kommenden Jahren.

Von Inga Rahmsdorf

Klickt man auf "Notfallversorgung", färbt sich die gesamte Tabelle rot. Die Intensivstationen der fünf Münchner Kinderkliniken haben sich abgemeldet. Es ist der 28. Mai, 12 bis 21 Uhr. Die gleiche Situation zeigte sich am 23. Mai, 13 bis 20 Uhr, und am 16. Mai, 15 bis 22 Uhr. Während dieser Zeiten hatten alle Kinderkliniken ihre Intensivstationen auf Rot geschaltet. Damit signalisieren sie, dass sie keine freien Kapazitäten mehr haben.

Auf der Internetseite der Leitstelle Ivena, die frei zugänglich ist, kann man täglich verfolgen, wie häufig sich Kliniken in München in bestimmten Bereichen abmelden, weil sie keine Patienten mehr aufnehmen können. Besonders betroffen sind die Intensivstationen der Kinderkliniken, aber auch die Notaufnahmen für Erwachsene. In einzelnen Fällen kommt es vor, dass Patienten in andere Städte verlegt werden müssen, weil sie in München nicht mehr versorgt werden können. Häuser wie die städtischen und die universitären Kliniken haben allerdings einen Versorgungsauftrag. Oft machen sie das Unmögliche doch noch möglich. Dann kommt es zu sogenannten Zwangsbelegungen, geschlossene Betten werden geöffnet, Ärzte und Pfleger leisten weitere Überstunden und arbeiten an freien Tagen. Oder Patienten werden schneller von der Intensiv- auf andere Stationen verlegt.

Es müsse etwas geschehen und zwar dringend, sagt Armin Grübl, Leiter der Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin am Klinikum Schwabing. Er führt durch das Treppenhaus der Kinderklinik, die bisher in einem der Altbauten untergebracht ist. Durch die Fenster blickt man auf die Baustelle der neuen Kinderklinik, die das städtische Klinikum gemeinsam mit der Klinik der Technischen Universität (TU) errichtet. Der erste Stock ist fertig, vier weitere sollen folgen. Auf dem Dach werden die Hubschrauber landen. Das Richtfest ist im Oktober geplant. 2020 soll der erste Neubau eingeweiht werden, 2022 der zweite. Dann wird der Altbau renoviert.

Die Baustelle in Schwabing ist eines von zwei großen Neubauprojekten von Kinderkliniken in München. Auch die Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) plant seit Jahren ein neues Haunersches Kinderspital in Großhadern. Vor vier Jahren spendete der Sultan von Oman dafür schon 17 Millionen Euro. Der Baubeginn war für 2018 geplant. Dann geriet das Projekt ins Stocken. Nun rechne man mit einem Baubeginn Ende 2019 oder Anfang 2020, sagt ein Sprecher des Klinikums.

Doch die neuen, modernen Kliniken allein werden die Versorgungsengpässe in München nicht lösen. Das kann nur gelingen, wenn die Häuser mehr Pflegepersonal finden. Die Arbeitsbelastung gerade im Pflegebereich sei überall enorm hoch und der Mangel an Fachkräften wachse dramatisch, sagt Grübl. Die bayerische Wissenschaftsministerin Marion Kiechle hatte bei einem Besuch im Haunerschen im April angekündigt, noch vor Pfingsten einen Pflegegipfel einzuberufen, um Lösungen für den Personalmangel zu suchen. Der Gipfel soll am 19. Juni stattfinden, heißt es nun im Ministerium.

Kinderarzt Grübl will aber nicht nur über die Probleme reden, er kämpft auch dafür, dass sich etwas ändert. Mit Mitarbeitern des Schwabinger Klinikums, Eltern, Münchnern und prominenten Unterstützern engagiert er sich in der "Stiftung Kinderklinik Schwabing". Gemeinsam haben sie ein Konzept für einen Kindercampus entwickelt. Zentral in der Stadt, auf dem Areal mit den historischen Pavillonbauten, sollen Einrichtungen entstehen, die sich um kranke Kinder, Jugendliche und deren Familien kümmern. Und Grübl ist zuversichtlich: "Wir haben eine Zukunft und eine Vision."

Die Schwabinger Kinderklinik ist eines von vielen Projekten, die die Stadt auf dem Gelände umsetzen will. Insgesamt soll das städtische Klinikum dort deutlich kleiner werden. Der Stadtrat hat aber 2017 beschlossen, das Areal weiter medizinisch zu nutzen und es in einen Gesundheitscampus zu verwandeln, mit Kliniken, Arztpraxen, Reha-Einrichtungen, Forschungsinstituten - und Personalwohnungen.

Münchens Kliniken haben bereits vielfältige Programme entwickelt, um Fachpersonal anzuwerben. Das städtische Klinikum hat diese Woche erst elf Pfleger von den Philippinen begrüßt. 60 weitere Fachkräfte aus Italien und Portugal sollen dieses Jahr noch folgen. Doch durch die Akquise von Personal aus dem Ausland allein lasse sich der Fachkräftemangel nicht beheben, sagt Axel Fischer, Geschäftsführer des städtischen Klinikums, der die Pflege zur Chefsache erklärt hat. Derzeit müsse die Klinik häufig auf Zeitarbeitskräfte zurückgreifen und die sind teuerer und wechseln häufig. "Der Pflegeberuf muss hierzulande insgesamt attraktiver werden", sagt Fischer.

Für München bedeutet das vor allem, dass es bezahlbaren Wohnraum für die Pfleger braucht. Deswegen setzt sich auch die Stiftung Kinderklinik dafür ein, dass möglichst viele Personalwohnungen in Schwabing entstehen. Der Stadtrat hat 2017 zugestimmt, in zwei der bereits leer stehenden Altbauten auf dem Gelände Personalwohnungen zu errichten. Leider dauere dies wegen der Ausschreibungsfristen länger als ursprünglich angenommen, sagt Grübl. Um leichter Mitarbeiter für das Stadtklinikum zu gewinnen, bräuchten sie konkrete und schnelle Zusagen.

Die Stiftung Kinderklinik Schwabing hat noch weitere Pläne für den neuen Campus: Ein Elternhaus soll entstehen für Familien, deren Kinder chronisch krank sind. Außerdem setzen Kinderarzt Grübl und seine Mitstreiter sich für Forschungseinrichtungen ein, eine Schule für Kranke, ein Haus für die Palliativbehandlung von Kindern, eine Kinderschutzambulanz und einen großen Spielplatz. Das Gelände biete großartige Chancen, um eine gute medizinische Versorgung für den Münchner Norden zu entwickeln, sagt Grübl. Solche zusätzlichen Projekte lassen sich aber nur über Spenden finanzieren, und die sammelt die Stiftung.

Insgesamt 800 Millionen Euro steckt das städtische Klinikum in die Neu- und Umbauten all seiner Standorte in den kommenden Jahren. Dass dabei die Zahl der Betten insgesamt reduziert und Abteilungen verlegt werden wie von Schwabing nach Bogenhausen, stößt auch auf Kritik. So warnt die Initiative "Bürger für unser Münchner Stadtklinikum" schon seit drei Jahren davor, dass die Engpässe noch schlimmer werden, wenn Stationen geschlossen und Betten abgebaut werden.

Es werde auch künftig Medizin für Erwachsene in Schwabing geben, betont Klinikchef Fischer. Die Geburtshilfe werde sogar vergrößert. Dann sollen an dem Standort nicht mehr 2500 Babys im Jahr zur Welt kommen, sondern 3000 bis 3500. Insgesamt wird die Klinik für Erwachsene aber deutlich kleiner als bisher und nur noch eine Notfallversorgung mit 110 Betten bieten. Wenn das Klinikum in Zukunft konsolidiert sei, könne man auch wieder ausbauen und die Zahl der Betten erhöhen, verspricht Fischer.

Auch in der neuen Schwabinger Kinderklinik wird es nicht mehr Betten geben als bisher. Armin Grübl hofft aber, dass besonders Personalwohnungen den Arbeitsplatz attraktiver machen werden. "Wir müssen jetzt anfangen, den Leuten eine Perspektive und eine Wohnung zu geben", sagt der Arzt. "Sonst haben wir hier in zwei Jahren eine schöne moderne Kinderklinik, aber nicht ausreichend Personal, um sie auszulasten."

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Quelle:
SZ vom 30.05.2018/huy
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