Klimawandel:"Energiewende? Gibt es in München nicht"

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Noch immer gebe es in München viel zu wenig Photovoltaikanlagen, beklagen Klimaschützer. (Foto: imago)

München hat ehrgeizige Klimaziele. Sechs Experten aus Wirtschaft und Forschung erklären, wie die Stadt die Energiewende schaffen kann.

Von Thomas Anlauf, München

München will bis 2050 klimaneutral werden. Eine riesige Aufgabe, denn die von der Stadt selbst gesteckten Ziele wird sie mit den bisherigen Anstrengungen nicht erreichen. Ein vom Umweltreferat beauftragtes Gutachten kam vor einem Jahr zu dem Ergebnis, dass die Stadt ihre Anstrengungen zum Klimaschutz in den kommenden Jahren deutlich verstärken muss. Deshalb startete die Stadt vor wenigen Wochen die Kampagne "München Cool City", mit der die Münchner selbst aufgerufen sind, zur Energiewende beizutragen.

Im Oktober 2018 startete das "Jahr der Energie" mit Aktionen, wie man Energie einsparen kann. Zur selben Zeit begann der 12. Münchner Klimaherbst unter dem Titel "Energie für die Wende", der vom 9. Oktober bis 1. November dauerte. Dabei fanden zahlreichen Diskussionsrunden, Workshops und Exkursionen statt. Kann München die Energiewende schaffen? Die SZ hat sechs Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Forschung dazu befragt.

Axel Berg war auch SPD-Bundestagsabgeordneter. (Foto: Roberto Simoni)

Axel Berg, Vorsitzender der deutschen Sektion von Eurosolar, der Europäischen Vereinigung für Erneuerbare Energien: "Es braucht einen diametralen Wandel in München, wir fahren doch zu hundert Prozent in die falsche Richtung. In München haben wir unter ein Prozent an erneuerbaren Energien. Es gibt praktisch keine Dächer mit Photovoltaik in der Stadt. Die Leute können sich doch überhaupt nicht selbst versorgen mit Energie, stattdessen hängen sie am Tropf der Stadtwerke. Mieterstrommodelle wären die Zukunft, aber es passiert nichts.

Ich denke, wir haben hier eine Stadt mit dem besten Greenwashing-System der Welt, aber wir sind nicht grün. Energiewende? Gibt es hier nicht. Wir sind doch eine reine Autostadt. Auch wenn sich der Anteil der Radfahrer in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt hat, sind eigentlich nur sportliche Radler unterwegs, viele andere trauen sich bei dem Verkehr überhaupt nicht, mit dem Rad zu fahren."

Gründer Florian Henle sieht Polarstern in größerer moralischer Verantwortung als andere Unternehmen. (Foto: oh)

Florian Henle, Geschäftsführer des Münchner Öko-Energieversorgers Polarstern: "Wir haben eigentlich alle Möglichkeiten für die Energiewende, aber da geschieht in München noch relativ wenig. Es gibt zwar schon einige ökologisch orientierte Siedlungen, aber die Stadt hätte doch durchaus großen Einfluss, etwa bei der Vergabepraxis bei Neubauten.

Da wäre für die Energiewende schon viel geholfen, wenn die Stadt darauf achten würde, dass bei Neubauten Photovoltaikanlagen und Wärmepumpen auch wirklich gebaut werden. Also ganz simpel, fordern statt fördern: Wer bauen will, muss eine Photovoltaikanlage aufs Dach setzen. Wenn eine Großstadt wie München so etwas umsetzen würde, wäre das durchaus ein großes Signal auch für andere Städte in Deutschland."

Jens Mühlhaus war bis 2008 Grünen-Stadtrat. (Foto: Dominik Parzinger)

Jens Mühlhaus, Vorstand der Green City AG in München: "Das Photovoltaik-Thema ist ja offensichtlich, da ist München im Vergleich zu anderen bayerischen Kommunen unterirdisch unterwegs. Die Stadtwerke haben als Konzern zwar alles richtig gedacht, aber die Energiewende kommt in München und der Metropolregion nicht an, wenn man in Offshore-Windparks investiert. Ich glaube nicht, dass man momentan in der Münchner Politik eine Kraft erkennen kann, das Problem anzugehen. Es fehlt hier eine echte lösungsorientierte Debatte, zum Beispiel bei den Alternativen zur Kohle. Strom aus dem Kohlekraftwerk brauchen wir definitiv nicht.

Aber es geht um die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema. Brauchen wir unbedingt als Alternative ein Gaskraftwerk in Schwabing? Darüber muss man diskutieren. Oder die Windenergie: Man könnte schon überlegen, in die Forstgebiete im Osten oder Süden der Stadt große Windanlagen zu bauen. In den Hofoldinger Forst zum Beispiel passen locker zehn Anlagen, das reicht zur Versorgung von knapp 100 000 Haushalten. Beim Verkehr wiederum geht es darum, ihn massiv zu verändern. Das Thema muss die Metropolregion jetzt lösen. Man muss der Stadt schon vorwerfen, dass sie da zu wenig tut."

Clara Orthofer, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Erneuerbare Energien der TU München: "Wo ich die größten Probleme sehe neben der Mobilität in München ist im Bereich der Sanierung und dem Neubau von Immobilien. Laut dem Gutachten des Öko-Instituts in Freiburg zu den Münchner Klimazielen soll der Wärmebedarf in Wohnungen ja um 50 Prozent reduziert werden. In dem Bereich muss die Stadt neue Standards schaffen. Da haben wir in München noch nicht die höchsten Baustandards, man könnte bei Eigentümern und Bauherrn durchaus noch die Daumenschrauben anziehen.

Dabei dürfen die Mieter nicht sitzen gelassen werden. Ein Mieter kann und wird ja selber nichts an seiner Wohnung verändern, da es für ihn keinen Anreiz dazu gibt. Auch beim Verkehr kann sich München noch von anderen Metropolen etwas abschauen. Der öffentliche Nahverkehr zum Beispiel muss deutlich gestärkt werden. Gerade wenn München so stark weiter wächst, stößt der Autoverkehr an seine Grenzen. Wien zum Beispiel hat das 365-Euro-Ticket, in München dagegen ist ein Fahrkartenabo für viele ein Kostenfaktor. Da muss man radikaler werden - dass jeder Münchner eine Jahreskarte besitzt, egal, ob er in der Woche nur zwei Mal nach München fährt oder täglich öffentliche Verkehrsmittel benutzt.

Aus Sicht der Forschung fehlt ein kontinuierliches Emissions- und Energiebedarfsmonitoring. Das heißt, es gibt nur wenige Möglichkeiten, online zu gehen und beispielsweise zu schauen, wo wurde in München im vergangenen Jahr Energie eingespart. Es müssen starke Anreize von der Stadt kommen, Energie zu sparen, aber auch Regularien. Es ist zu kurz gegriffen, wenn die Stadt nun sagt, jetzt sollen die Bürger alles Weitere für die Energiewende machen."

Philip Bedall ist Experte für Energie und Atompolitik. (Foto: Joerg Farys)

Philip Bedall, Energieexperte beim Umweltinstitut München: "Die Klimaschutzpolitik der Stadt stellt zwar mit ihrer aktuellen Kampagne den persönlichen Beitrag der Münchner zum Klimaschutz in den Mittelpunkt. Für das, was auf dem Spiel steht - die Erreichung der städtischen Klimaziele -, reicht es aber nicht aus, alleine auf die Änderung des persönlichen Lebensstils der Bürger zu setzen. Für eine angemessene Klimapolitik kommt die Stadt nicht umhin, auch die politischen und strukturellen Rahmenbedingungen zu verändern. Einerseits heißt das, die Energiewende in München voranzutreiben, also den Umstieg auf erneuerbare Energien.

Die Stadt hat sich ja dazu bekannt, den Bürgerentscheid "Raus aus der Steinkohle" über den Ablauf der bindenden Jahresfrist hinaus zu respektieren und umzusetzen. Damit dies gelingt, müssen allerdings die notwendigen Schritte zum Aufbau alternativer Wärmeleistung eingeleitet werden. Das bedeutet, die vorübergehend ausgesetzte Umstellung des Dampfnetzes auf Heißwasser wieder aufzunehmen und den Ausbau von Geothermie-Anlagen zu beschleunigen.

Ein weiterer Ansatzpunkt ist die Verkehrswende - weg von der Priorisierung des motorisierten Individualverkehrs hin zu einem städtischen Verkehrskonzept mit einem attraktiven ÖPNV und einem massiven Ausbau der Fahrrad-Infrastruktur. Wer einen tatsächlichen Wandel will, muss hier voranschreiten."

Andreas Horn, Münchner Photovoltaikplaner, Mitbegründer des Ingenieurbüros "Energiewendeplaner GmbH": "Mit der Energiewende geht es unglaublich langsam. Dabei ist Geschwindigkeit, was jetzt zählt. Es läuft uns die Zeit davon. Man könnte doch längst die Hälfte des Stromverbrauchs der privaten Haushalte in München mit Photovoltaik erzeugen. Um die Klimaziele zu erreichen, wäre es notwendig, auf möglichst alle Wohnhäuser Photovoltaikanlagen zu bringen, mindestens ein bis eineinhalb Kilowatt peak pro Haushalt.

Allein die Stadt hat mit ihren etwa 60 000 Wohnungen Platz für fast 100 Megawatt Photovoltaikleistung. Das bedeutet aber, es müssten jedes Jahr 600 Anlagen gebaut werden. Der Punkt ist, die Wohnbaugesellschaften bräuchten eine ganz klare Vorgabe vom Stadtrat. Die Stadt müsste einfach mit gutem Beispiel vorangehen, aber ich sehe natürlich auch die privaten Immobilienbesitzer in der Pflicht."

© SZ vom 09.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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