Klimapolitik:Stadtrat ringt um den Einsatz der Klimamilliarde

Lesezeit: 3 Min.

Bis 2030 soll die Stadtverwaltung und bis 2035 sogar die ganze Stadt klimaneutral werden. Die CSU fragt nun, wie Grün-Rot diesen Zielen näherkommen will. (Foto: Peter Rintisch/Stadtwerke München/obs)

Die Münchner Rathaus-Koalition will gegen die "Menschheitskrise Klimakatastrophe" ankämpfen, die CSU spricht von "Fundamentalismus". Ein Grundsatzbeschluss des Stadtrats listet nun 250 konkrete Schutzmaßnahmen auf.

Von Thomas Anlauf

"No more empty promises" steht auf einem riesigen weißen Banner, "2035 eine Frage des Willens" auf einem kleineren. Die Politikerinnen und Politiker des Münchner Stadtrats müssen an diesem Mittwochmorgen an dem Spalier an Forderungen der Bewegung "Fridays for Future" vorbei. Kommunalreferentin Kristina Frank schreitet zügig voran, Bürgermeisterin Katrin Habenschaden (Grüne) nutzt die Gelegenheit kurz vor der Vollversammlung im Showpalast in Fröttmaning, um sich bei den Demonstranten für ihren hartnäckigen Einsatz zum Klimaschutz zu bedanken. Grünen-Fraktionschef Florian Roth will sogar eine halbe Stunde lang bei den meist jungen Aktivisten gestanden sein. Auf Twitter schreibt er kurz darauf an die Adresse der Demonstranten: "Ein starker Rückenwind für mehr Klimaschutz - deshalb setzen wir 2020-2026 eine Klimamilliarde ein. Sie sagen, wir müssen schneller werden. Sie haben Recht!"

Keine leeren Kompromisse: "Fridays for Future" begrüßt die Stadträte mit einem 60 Meter langen Plakat. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Es dauert allerdings noch viele Stunden, bis der Stadtrat beim entscheidenden Tagesordnungspunkt angelangt ist, in dem es um nichts Geringeres als ein klimaneutrales München bis zum Jahr 2035 geht. Doch das Thema zieht sich schon am frühen Morgen durch die Debatten. "Allein dieses Jahr geben wir zusätzlich einhundert Millionen Euro aus, um unser selbst gestecktes Klimaziel 2035 zu erreichen", sagt Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) in seiner Grundsatzrede zum Haushalt. Roth betont wenig später in seiner Funktion als Korreferent der Stadtkämmerei: "Wir wollen gegen die Menschheitskrise Klimakatastrophe ankämpfen." Dafür sei allein bis zum Jahr 2026 "fast eine Klimamilliarde" Euro reserviert. An die Opposition, vor allem an die CSU-Fraktion gerichtet, sagt er: Sie werfen der Rathaus-Koalition vor, beim Klimaschutz zu übertreiben. Aber "Klimaschutz kostet Geld. Kein Klimaschutz kostet mehr als Geld!"

Tags zuvor im Ausschuss für Klima- und Umweltschutz hatte der CSU-Stadtrat Winfried Kaum heftige Kritik am Grundsatzbeschluss zur Klimaneutralität geübt. Die Wortwahl des ehrenamtlichen Klimarats mit Vertretern unter anderem aus Umweltverbänden, Wissenschaftlern und Wirtschaftsexperten, der den Stadtrat in Klimafragen beraten soll, sei "Fundamentalismus". Es sei "Größenwahnsinn und Hybris", wenn München von der Weltrettung rede. Bürgermeisterin Katrin Habenschaden verwahrte sich "ausdrücklich" gegen Angriffe auf den Klimarat. Diesem sei es gelungen, "eine gut fundierte Stellungnahme abzugeben".

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Aber um was geht es eigentlich? Nach einem ersten Grundsatzbeschluss im vergangenen Sommer, in dem der Stadtrat eine städtische Klimastrategie festgezurrt und auch eine Klimasatzung befürwortet hatte, zeigt nun der Grundsatzbeschluss II für ein klimaneutrales München etwa 250 konkrete Beschlüsse auf, wie die CO2-Emissionen in der Stadt deutlich reduziert werden können. Begleitet haben den Prozess das Öko-Institut Freiburg, das Hamburg Institut und Intraplan Consult, die im Auftrag der Stadt wissenschaftliche Gutachten erstellt haben. Das Fazit der Experten: Es wird schwierig, die gesteckte Klimaneutralität zu erreichen. Doch München habe gegenüber anderen Städten in Deutschland den Vorteil, klimaneutrale Geothermie im großen Stil zu gewinnen.

Ohne die Wirtschaft ist das gesteckte Ziel bis 2035 nicht zu erreichen

Im Gegenzug muss allerdings der stark steigende Strombedarf in Zukunft möglichst CO2-neutral gedeckt werden. Allein die Photovoltaik soll auf 800 Megawatt im Jahr 2035 gesteigert werden. Dazu wird es eine Photovoltaik-Dachagentur geben, deren Mitarbeiter aktiv auf Immobilieneigentümer zugehen sollen. Die Stadtwerke München sollen zudem in erneuerbare Energien auch außerhalb der Stadt investieren, um zumindest rechnerisch auf eine ausgeglichene Klimabilanz zu kommen. Dazu braucht es allerdings auch eine konsequente Verkehrswende mit dem schnellen Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) und möglichst der Vermeidung von Individualverkehr in der Stadt.

Um die Klimaneutralität bis 2035 zu schaffen, muss allerdings auch noch die Münchner Wirtschaft ins Boot geholt werden. Bislang gibt es lediglich Appelle an die Unternehmen, an der Klima- und Verkehrswende mitzuarbeiten. ÖDP-Stadträtin Nicola Holtmann ist es deshalb "wichtig, dass es keine halbe Sache wird". Für die SPD-Fraktionsvorsitzende Anne Hübner ist auch ein deutlich leistungsfähigerer ÖPNV bedeutsam für das Erreichen des Klimaziels: "Wenn alles so bleibt wie es ist, dann wird alles schlechter: der Verkehr, das Klima und entscheidend die Lebensqualität der Menschen." Am Abend beschloss die Rathaus-Koalition mit deutlicher Mehrheit - gegen die Stimmen von FDP/Bayernpartei und AfD - das Klimapaket.

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