SZ: Umfragen zeigen: Die Deutschen verlieren das Interesse am Klimaschutz. Aktuell sind nur 41 Prozent der Bundesbürger der Ansicht, dass Deutschland mehr gegen den Klimawandel tun sollte. Vor zwei Jahren waren es noch 55 Prozent. Sind Sie enttäuscht, Frau Kugler?
Christine Kugler: Ich halte es für kurzsichtig und wenig zukunftsfähig, weil der Klimawandel eine konkrete Bedrohung ist. Wir sollten in der Lage sein, mit dieser Herausforderung umzugehen. An Lösungen fehlt es nicht – wir wissen, was zu tun ist. Es mangelt aber an der Bereitschaft, dies umzusetzen.
Oft heißt es: Klimaschutz können wir uns angesichts der schwachen Konjunktur nicht leisten.
Dazu habe ich eine andere Haltung. Eine klimafreundliche Wirtschaft ist auf jeden Fall wettbewerbsfähig – auch mit Blick auf steigende CO₂-Preise. Man sollte Klimaschutz nicht immer negativ framen, indem man sagt, du darfst nicht mehr in den Urlaub fliegen, wir müssen viel Geld ausgeben und so weiter. Es braucht eine positive Erzählung, etwa: Deutschland wird unabhängig von Energie aus dem Ausland, wir sind autark.
Haben Klimaschützer einen schlechten Job gemacht bei der Erzählung?
(Lacht.) Die Diskussionen rund um das Heizungsgesetz haben natürlich nicht geholfen. Die Berichterstattung war sehr polemisch und populistisch. Sie wurde dem eigentlichen Anliegen nicht gerecht.
Im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung steht: „Wir werden das Heizungsgesetz abschaffen.“ Ist das eine Kampfansage?
Gut ist es nicht. Es ist vollkommen falsch zu behaupten, das Gebäudeenergiegesetz (GEG) wäre nicht technologieoffen. Es regelt lediglich, was zu tun ist, wenn eine Heizung unwiederbringlich kaputtgeht: Dann darf ich ab Mitte 2026 im Bestand nur eine klimafreundliche Heizung einbauen; diese muss überwiegend mit erneuerbarer Energie arbeiten. Dafür gibt es einen ganzen Katalog an Optionen: Wärmepumpe, Pelletheizung, Erdwärme-Kollektoren, solarthermische Anlagen, hybride Anlagen. Im GEG ist ein sanftes Ausschleichen von Gas und Öl bis 2045 angelegt. Ich glaube nicht, dass die neue Bundesregierung das fundamental ändern wird. Deutschland kann sich ja nicht über EU-Vorschriften hinwegsetzen. Vermutlich wollen sie dafür sorgen, dass der schlechte Nimbus des Heizungsgesetzes verschwindet. Das wäre nicht verkehrt.
Wird Klimapolitik schwieriger, seit das Thema in Umfragen an Bedeutung verliert?
Uns macht weniger der Stimmungsumschwung als die Verunsicherung zu schaffen. Durch das Ampel-Aus und das Warten auf die neue Regierung haben wir keine stabilen Rahmenbedingungen. Auch was im neuen Koalitionsvertrag steht, ist nicht immer eindeutig. In Gesprächen mit Bürgerinnen und Bürgern spüre ich eine gewisse Ratlosigkeit. Diese Verunsicherung ist nicht gut. Sie schadet dem Handwerk und den Produzenten etwa von Wärmepumpen. Das Zögern hemmt auch die Wettbewerbsfähigkeit neuer Technologien, die besser und preisgünstiger werden, wenn viele Menschen sie nachfragen.
München möchte in zehn Jahren klimaneutral sein. Ist das Ziel noch zu erreichen?
Wir haben uns ein sehr ambitioniertes Ziel gesetzt und wussten von Anfang an, dass es schwer zu schaffen ist. Als Kommune sind wir die unterste Verwaltungsebene. Wie soll man 2035 klimaneutral werden, wenn der Gesetzesrahmen vom Bund wie beim GEG auf 2045 ausgelegt ist und das Wärmeplanungsgesetz aufs Jahr 2040? Trotzdem würde ich sagen: Lasst uns das Ziel 2035 nicht aus dem Auge verlieren und unser Möglichstes tun! München hat bei der Wärmewende definitiv die Nase vorn.

In der Klimabilanz der Stadt sind die Effekte bisher nicht zu sehen. Warum?
Ich mache mal ein Beispiel: Wenn die Stadtwerke München das Fernwärm enetz verdichten, damit mehr und mehr Häuser ans Netz gehen können, haben wir nach wie vor einen CO₂-Fußabdruck, der ungefähr so groß ist wie beim Gas. Da gibt es keinen großen Unterschied, weil die Heizkraftwerke, die unsere Fernwärme produzieren, im Moment mit Gas betrieben werden. Mit dem Ausbau der Tiefengeothermie wird der CO₂-Fußabdruck der Fernwärme aber allmählich besser. Wenn parallel eine relevante Zahl an Haushalten von Gas auf Fernwärme umgestellt hat, dann macht sich das in einigen Jahren sehr stark in unserer Klimabilanz bemerkbar. Gegenwärtig müssen wir aushalten, dass wir das Richtige tun, aber die Effekte in der Klimabilanz noch nicht sehen.
Wo steht München bei den Fernwärmeanschlüssen?
Ganz grob kann man sagen, dass im Moment ein Drittel von München mit Fernwärme versorgt wird. Unser Ziel ist es, auf zwei Drittel Fernwärme zu kommen, das heißt, die Zahl der Netzanschlüsse zu verdoppeln. In unserem kommunalen Wärmeplan sieht man: Am Stadtrand, wo viel gebaut wird, werden die Häuser eher dezentral mit Wärmepumpen versorgt. Dort spielt die Umweltwärme eine große Rolle: Erdreich, Grundwasser, Luft.

Spüren sie dort Vorbehalte gegen die Wärmepumpe?
Es gibt keinen Grund, die Wärmepumpe zu hassen. Sie ist im Grunde nur ein umgedrehter Kühlschrank. Die öffentliche Wahrnehmung wird der Technologie nicht gerecht und schadet dem Klima enorm. Denn Wärmepumpen sind sehr effektiv: Sie wandeln eine Einheit Strom in vier bis fünf Einheiten Wärme um. Besonders attraktiv sind grundwassergestützte Nahwärmenetze, in denen sich mehrere Haushalte zusammenschließen. Dort sieht man schnell einen positiven Effekt in der Treibhausgasbilanz.
Wie sieht ihr Fahrplan für die Wärmewende aus?
Wir wollen in diesem Jahr 20 Quartierskonzepte in innenstädtischen Bereichen anstoßen. Gleichzeitig sind wir gerade noch mit Energieberatern in Quartieren am Stadtrand unterwegs. Wenn unser Plan aufgeht, haben wir ungefähr ein Viertel des Gebäudebestandes bis 2028 adressiert. Dabei geht es nicht nur um die Umstellung der Heizungen, sondern auch um die energetische Sanierung der Gebäude.
Hier ist noch viel zu tun, oder?
In den Fernwärmegebieten ist es wichtig, auch den Wärmebedarf zu senken, um das Potenzial der Tiefengeothermie optimal auszuschöpfen. Wir müssen Hauseigentümer und Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) für eine Sanierung begeistern.
Vermieter dürfen die Kosten für eine energetische Sanierung und Heizungstausch schrittweise auf die Mietparteien umlegen. Treibt eine klimafreundliche Modernisierung also die Mieten?
Vermieter dürfen künftig bis zu zehn Prozent der Kosten umlegen, wenn sie in eine neue Heizungsanlage investieren oder energetisch modernisieren. Die Umlage ist jedoch gedeckelt und die Förderung der öffentlichen Hand darf nicht umgelegt werden – insofern schützen wir mit unserer Förderung die Mieter. Grundsätzlich sollten alle Maßnahmen sozial verträglich sein. Wir wollen nicht, dass die Sanierung ein Kostentreiber für die schon jetzt viel zu hohen Mieten wird.
Wie kann das gelingen?
Klimaschutz und soziale Fragen sollten gut abgewogen sein. Eigentümer müssen nicht zwingend den energetischen Standard eines Effizienzhauses 55 erreichen, das nur 55 Prozent der Energie eines Referenzgebäudes benötigt. Sie sollten ökonomisch klug sein und überlegen, welche zwei, drei Maßnahmen wirklich viel bringen, und diese dann umsetzen. Das muss auch nicht sofort sein, sie dürfen sich dabei 15 Jahre Zeit lassen und werden dennoch von der KfW gefördert. Am besten geht das mit Unterstützung einer professionellen Energieberatung – die auch vom Bund gefördert wird.
Und das reicht dann?
Wenn sie heute ein älteres Haus für eine Wärmepumpe ertüchtigen wollen, brauchen sie nicht zwingend eine Generalsanierung. Hier hat sich technisch viel getan. Wichtig ist aber eine professionelle Energieberatung, denn jedes Haus hat seine eigene Bau- und Sanierungsgeschichte. Uns geht es darum, dass die Gebäude- und Wohnungseigentümer gut informierte Entscheidungen treffen können.

Ein weiterer Eckpfeiler für den Klimaschutz ist die Mobilität. Wie elektrisch ist der Verkehr in München?
Die Bilanz des Mobilitätsreferats zeigt: 76 Prozent aller Wege werden mit umweltfreundlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt. Ein Drittel der Münchner geht zu Fuß, das ist eine neue Entwicklung seit Corona. Auch der Radverkehr hat zugenommen auf 21 Prozent. Und 22 Prozent aller Wege werden mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt. Das Mobilitätsreferat sieht deshalb das Ziel aus dem Bürgerbegehren „Sauber sog i“, den Anteil des umweltfreundlichen Verkehrs bis 2025 auf 80 Prozent zu erhöhen, fast erreicht.
Erhoffen Sie sich von der neuen Bundesregierung Rückenwind in der Klimapolitik – im Koalitionsvertrag kommt das Wort „Klima“ immerhin 80 Mal vor?
Es gibt Licht und Schatten in dem Papier. Positiv ist, dass die Koalitionäre sich zum Ziel der Klimaneutralität bis 2045 bekennen. Beim Lesen hat man aber an vielen Stellen den Eindruck, der Klimaschutz muss jetzt mal hinter Wirtschaft und Wachstum zurücktreten. Klimaschutz, Wirtschaftlichkeit und Wettbewerbsfähigkeit können aber Hand in Hand gehen – gerade mit Blick auf steigende CO₂-Preise.
Was sind aus Ihrer Sicht Schattenseiten des Koalitionsvertrags?
Die Erhöhung der Pendlerpauschale ist nicht hilfreich, sie wird den Autoverkehr stärken. Die steuerliche Begünstigung von E-Fahrzeugen bis 100 000 Euro setzt falsche Anreize. Da werden wieder große Fahrzeuge gefördert, obwohl wir doch gerade in den Städten kleine bräuchten. Die oft betonte Technologieoffenheit halte ich volkswirtschaftlich für nicht umsetzbar. Wir können uns nicht für jede Form der Mobilität, ob elektrisch, mit Wasserstoff oder E-Fuels, eine eigene Ladeinfrastruktur leisten.
Wo sehen Sie Lichtblicke?
Ich finde es gut, wenn man die Schiene stärkt und dass das Deutschlandticket erhalten bleibt. Vor allem bin ich froh, dass die Bundesförderung für effiziente Wärmenetze (BEW) und die für effiziente Gebäude (BEG) gerettet sind. Das ist eine sehr gute Botschaft. Wenn es diese Hilfen nicht mehr gäbe, könnten wir uns die Wärmewende abschminken, die München rund 40 Milliarden Euro kosten wird. Das hilft den Kommunen.

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