Klimacamp :Wie sich die Welt verbessern lässt

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Die Besucher weiterbilden und sie vernetzen, das sind die Ziele im Camp-Alltag. (Foto: Robert Haas)

Unter dem Motto „Utopie leben lernen“ hat das Klimacamp München hinter der Glyptothek am Königsplatz seine Zelte aufgeschlagen. Bis Sonntag können sich Interessierte in 80 Workshops mit den Facetten der Klimakrise beschäftigen.

Von Sophia Coper

Pünktlich zum Auftakt am Donnerstag ist die Sonne wieder da. Von den nächtlichen Regengüssen hat das Klimacamp München keinen größeren Schaden davongetragen. Damit die Besucher trockenen Fußes zu den Zelten kommen, liegen aber Holzpaletten auf der nassen Wiese hinter der Glyptothek am Königsplatz. Der Andrang auf dem Gelände ist zwar noch überschaubar, doch der verschlafene Eindruck täuscht. Während der erste Kaffeeduft über das Gelände zieht, wird in manchen Zelten schon eifrig diskutiert.

Unter dem Motto „Utopie leben lernen“ hat das Klimacamp München für vier Tage seine Zelte in der Maxvorstadt aufgeschlagen. Von Donnerstag bis einschließlich Sonntag gibt es ein kostenloses und anmeldefreies Programmangebot, bei dem sich Interessierte mit verschiedenen Facetten der Klimakrise auseinandersetzen können. Organisiert wird das Camp von einem spendenbasierten, nicht von einem Verein organisierten Netzwerk von 20 bis 30 Aktivisten. Erwartet werden rund 300 Teilnehmende pro Tag, zudem gibt es Übernachtungsmöglichkeiten für 40 Personen an Ort und Stelle.

Absicht sei es, den gesellschaftlichen Status Quo konstruktiv zu hinterfragen, erzählt Josef Bialas, der für die Planung mitverantwortlich gewesen ist. „Wir möchten gemeinsam eine Vision entwickeln, wie unser Leben aussehen könnte“, sagt der 25-Jährige. Um Antworten zu dieser komplexen Thematik zu finden, verfolge der Camp-Alltag hinter der Glyptothek zwei Ziele — die Anwesenden weiterzubilden und zu vernetzen.

Unter den Augen der Wandstatuen an der Fassade des Museums gibt es auf das lange Wochenende verteilt rund 80 Workshops. Neu sei dieses Jahr das ergebnisorientierte Arbeiten, so Bialas. Nach jedem Block sollen Forderungen herausgearbeitet und auf Tafeln vermerkt werden. „Aber es bleibt dennoch ein offener Prozess“, betont er. Was mit den Erkenntnissen schließlich geschehe, stehe noch nicht fest, berichtet der Mitorganisator.

Über den Eingängen der buntgeschmückten Zelte hängen Schilder wie „Politische Partizipation“ oder „Solidarisches Leben“ — zwei der sechs Überthemen, die als Leitplanken für das Angebot fungieren. Während eine Gruppe zu gewaltfreier Kommunikation diskutiert, werden ein paar Meter weiter Fahrräder von der Hochschulgruppe Reparadtum der Technischen Universität München auf Vordermann gebracht. Bei einem Nähworkshop direkt daneben sitzen drei Frauen tief über Stickereien gebeugt. Anstatt politischer Grundsatzdiskussionen geht es hier darum, im Alltag etwas anders zu machen. „Wir zeigen Alternativen auf, die Spaß machen“, sagt Leiterin Stefanie. Anstatt sofort etwas Neues zu kaufen, sei es auch möglich, Risse in der Hose mit kleinen Blumen zu verschönern. „Kaputte Sachen können auch der Beginn für etwas Neues sein“, sagt sie.

Angeboten werden 80 Workshops und Diskussionsgruppen. (Foto: Robert Haas)
Die Hochschulgruppe Reparadtum kümmert sich um kaputte Fahrräder. (Foto: Robert Haas)
Und keine sexuelle Anspielung soll die harmonische Atmosphäre stören. (Foto: Robert Haas )

Allgegenwärtig auf dem Camp-Gelände ist der Anspruch, für alle Anwesenden eine inklusive und harmonische Atmosphäre zu schaffen. Bei der Kaffeeausgabe warten eigens gebuchte Gebärdendolmetscherinnen auf mögliche Einsätze, an Pfeilern hängen Zettel, die darum bitten, sexuelle Anspielungen zu unterlassen. Zudem weisen Schildern auf die Existenz eines Awareness-Teams hin, welches in violetten Westen unterwegs ist. Jede Person, die sich nicht wohl oder überrumpelt fühle, könne zu ihnen kommen, erzählt die Mitwirkende Kathy. Dabei müsse es nicht zwangsläufig um physische oder verbale Übergriffe gehen. „Bei aktivistisch Organisierten gibt es häufig eine kollektive Überforderung“, sagt sie. Die Konfrontation mit der komplexen Weltlage sei für manche emotional schwer zu verarbeiten. „Mit der Zeit nehmen die Menschen immer mehr Ungerechtigkeiten wahr“, so die Studentin.

Auch Kharis Kokonelles Workshop beschäftigt sich mit Ungerechtigkeit — im weltweiten Kontext. Die Künstlerin und selbständige Bildungsreferentin für Antirassismus, Intersektionalität und Dekolonisierung sieht die Klimakrise in postkoloniale Strukturen eingebettet. „Ich möchte die Zusammenhänge der Welt verdeutlichen“, sagt sie. Während in Deutschland über Recycling diskutiert werde, lande der ganze Müll in afrikanischen Ländern. „Die globale Verantwortung wird häufig nicht wahrgenommen“, so Kokonelle.

Als der Kaffee fertig gebrüht ist, sitzen in der Sonne Helferinnen und Helfer, die die vorangegangene Nacht bereits auf dem benachbarten Zeltplatz verbracht haben. „Alles trocken geblieben“, heißt es über dampfende Becher hinweg. Laut Kathy vom Awareness-Team sei das gemeinschaftliche Leben beim Klimacamp München ein nicht zu unterschätzender Vorteil. „Für eine gerechtere Zukunft ist es wichtig, sich zu vernetzen. Hier können wir uns auf Augenhöhe begegnen.“

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