Süddeutsche Zeitung

Klima:Weiße Weihnachten - ein Mythos

Minus 13,5 Grad: Den kältesten Heiligabend erlebte München im Jahr 1879. Sonst ist Schnee an den Feiertagen eher die Ausnahme - auch wenn man das gerne verdrängt.

Von Katja Riedel und Melanie Staudinger

In den Münchner Hausbergen gab es an diesem Sonntag ein besonderes Schnäppchen: Kinder dürfen kostenlos Ski fahren, so war es auf der Internetseite der bayerischen Alpen-Plus-Gebiete zu lesen. Dumm nur, dass der Betrieb zumindest am Brauneck in Lenggries komplett ausfiel, weil die Hänge grün und fast schneefrei sind. Keine Spur von Winterromantik am Alpenrand. Am Spitzingsee gibt es eine einzige beschneite Piste für die Urlauber, am Sudelfeld befördern drei Lifte diejenigen nach oben, die es trotz des frühlingshaften Wetters einfach nicht lassen können. Dabei wären Wanderstiefel in diesen Tagen die bessere Ausrüstung, wenn sich die Münchner in die Berge aufmachen.

Schon wieder nichts mit weißen Weihnachten, mit einem weißen Heiligabend also. Ein Grund, sich über die Klimaerwärmung zu sorgen? Nicht ganz. Deutsche Weihnachten im Flachland sind in den meisten Fällen grüne Weihnachten - wobei in der bayerischen Landeshauptstadt noch die größten Chancen auf ein weißes Fest bestehen.

In keiner anderen deutschen Großstadt ist die Wahrscheinlichkeit auf Schnee besser, was allerdings weniger an der Beschaulichkeit Münchens, denn an der Nähe zu den Alpen liegt. Richtig kalt ist es an den Weihnachtstagen in der Stadt eher nicht. Seit 1879 gemessen, ist es am durchschnittlichen Münchner Heiligabend 6,4 Grad warm. Am frühlingshaftesten war es 2012 mit durchschnittlich 12,2 Grad und tagsüber mancher Biergartenstunde. Der frostigste Heiligabend seit Beginn der Wetteraufzeichnungen liegt weit zurück: Den gab es 1879 mit minus 13,5 Grad.

Dieses Jahr, so sagt der Deutsche Wetterdienst voraus, ist mit eher milden Temperaturen zu rechnen, vielleicht sogar mit 13 Grad, was ein neuer Temperaturrekord wäre - sehr zur Enttäuschung vieler. Früher, so eine verbreitete Mär, lag doch eigentlich immer Schnee. Als Kind habe man die ganzen Ferien mit Schneemannbauen und Schneeballschlachten verbracht.

Ein Blick in die Statistik allerdings zeigt, dass diese Erinnerungen trügen. Zwar hat es Anfang der Sechzigerjahre mehr geschneit. Seitdem aber ist die Schneehäufigkeit relativ konstant, mit einer Ausnahme in den späten Achtzigern und frühen Neunzigern, in denen gar keine Flocken fielen. Doch selbst Leute, deren Kindheit in diese Periode fällt, glauben, sich an schneereiche Weihnachten erinnern zu können. Psychologen erklären das Phänomen damit, dass Menschen sich Weihnachten mit Schnee einfach besser merken - und die Vergangenheit ein Stück weit verklären.

Das Klischee von weißen Weihnachten selbst ist ohnehin noch nicht so alt. Und es geht offenbar auf Postkartenidyllen zurück. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, so fanden Forscher heraus, wurden als Weihnachtsgrüße eher herbstliche Motive verschickt, erst danach kam der Schnee dazu. So zeigt eine Karte aus dem Jahr 1845 einen Weihnachtsmann, der über die schneefreien Dächer Londons klettert, keine 20 Jahre später zeigt das Bild große Mengen Schnee.

Experten erklären dies so, dass die Briten damals das Reisen an den Weihnachtstagen entdeckten, zum Beispiel in die verschneiten Alpen. Fast gleichzeitig begannen auch englisch- und deutschstämmige Auswanderer, aus den USA Weihnachtskarten zu schicken - mit dem schönen Schnee in Neuengland.

Verschneite Landschaften zu Weihnachten sind also zu großen Teilen eine Illusion, was in München aber nicht zu stören braucht. Schließlich kann auch ein Spaziergang im grünen Englischen Garten oder die Isar entlang sehr entspannend sein. Anders als München leben die Urlaubsregionen im Umland aber stark vom Schneetourismus und somit auch vom Traum von weißen Weihnachten. So auch das Tegernseer Tal, wo in diesen Tagen Weihnachtsromantik nur am Abend aufkommen mag: Dann, wenn der Weihnachtsschmuck leuchtet und sich die Lichter der marketingträchtigen Christkindlmärkte im See spiegeln.

Zahlen könne man erst im Nachhinein liefern, heißt es bei der Tegernseer Tal Tourismus GmbH - man erwarte aber keine Einbußen bei den Gästezahlen für Dezember und den Jahreswechsel. Wer spontan noch eine Unterkunft über Weihnachten sucht, kann jedoch noch in allen Preiskategorien Hotels und Ferienwohnungen finden, zeigt eine Anfrage auf der Internetseite der Region - ausgebucht sieht anders aus. Die Touristiker sehen das warme Winterwetter gelassen: "Vor mancher Wirtschaft trinkt man sein Bier bei herrlichem Sonnenschein im Freien", sagt Pressesprecherin Claudia Schuh. Schnee sei "im Moment noch nicht essenziell. Ab Weihnachten sollte er aber mindestens kommen."

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SZ vom 21.12.2015/infu
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