Kleintierklinik der LMU:Auf eigene Rechnung

Kleintierklinik

Die Medizinische Kleintierklinik der Ludwig-Maximilians-Universität ist ins Gerede gekommen.

(Foto: Lukas Barth)
  • Die Chefin der Uni-Kleintierklinik soll für die Arbeit anderer Ärzte privat abkassiert haben.
  • Den Tierhaltern soll ein "Zusatzvertrag für Privatpatienten" vorgelegt worden sein, den viele offenbar unterschrieben. Behandelt wurden sie aber offenbar nicht von der Chefin, sondern von einem anderen Arzt.
  • Zusätzliche Kosten für die Tierhalter entstanden nicht; der Vertrag verringerte vielmehr die Einnahmen der Klinik.

Von Jakob Wetzel

Man stelle sich vor: Das Herrchen kommt in die Küche, und da liegt der Dackel Charly, Liebling der Familie, und hat einen Krampfanfall. Sein Kopf zittert, die Zähne sind gefletscht, er zappelt unkontrolliert mit den Beinen. Die Schublade mit der Schokolade ist herausgezogen, offenbar hat das Tier mehrere Tafeln gefressen. Der Halter bekommt Angst, er weiß, wie giftig Schokolade für Hunde ist. Schnell fährt er mit Charly in die Tierklinik - und dort erhält er am Empfang ein Angebot, das er nicht ablehnen kann. Charly soll nicht von irgendeinem Veterinärmediziner behandelt werden, sondern von der Klinik-Chefin, ohne Aufpreis! So steht es im Vertrag. Und ohne zusätzliche Wartezeit! Wer würde da lange zögern?

Nach diesem Muster könnte eine typische Anmeldung verlaufen sein an der Medizinischen Kleintierklinik der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU). Das Haus an der Münchner Veterinärstraße ist ins Gerede gekommen, weil hier bis vor wenigen Wochen Doktoranden - allesamt ausgebildete Tierärzte - im Schichtdienst arbeiteten, ohne dafür bezahlt zu werden. Doch während es für die jungen Tiermediziner kein Geld gab, war die Klinikleitung weit weniger zurückhaltend, wenn es um ihre privaten Abrechnungen ging.

Folgt man den Aussagen von Mitarbeitern sowie internen Dokumenten, die der Süddeutschen Zeitung vorliegen, dann war das Erstellen einer Privatrechnung hier Standard - und zwar nicht nur, wenn die Klinikleiterin persönlich Tiere behandelte, sondern auch, wenn untergeordnete Tierärzte, zum Beispiel Doktoranden, mit den Patienten beschäftigt waren. Glaubt man den Aussagen von Doktoranden, dann hat die Klinikleiterin privat von deren kostenloser Arbeit profitiert.

Privatrechnungen für Tierhalter

Zugrunde liegt alldem ein komplexes System. Wer zum Beispiel seinen Hund in die Klinik brachte, dem soll regulär ein "Zusatzvertrag für Privatpatienten" angeboten worden sein, welcher der SZ vorliegt. Hier heißt es, das Tier solle vom Vorstand der Klinik behandelt werden. Statt aber dafür höhere Gebühren zu verlangen, sollte es "lediglich eine Rechnungsteilung" geben. Zusätzliche Kosten für die Tierhalter entstanden nicht; es verringerten sich vielmehr die Einnahmen der Klinik. Und so hat zumindest an den Tagen, für die der SZ Patientenlisten vorliegen, ein Großteil der Tierhalter unterschrieben. Entsprechend oft wurden Privatrechnungen gestellt.

Um welche Beträge es dabei geht, beantwortete die Klinikleiterin auf Nachfrage nicht. Rückschlüsse lassen begrenzt die Abrechnungen der Klinik zu. Patientenlisten zufolge stellte diese zum Beispiel im vergangenen Jahr monatlich jeweils Rechnungen über niedrige sechsstellige Beträge aus. Im Mai waren es 138 049,82 Euro, im Dezember 175 523,31 Euro. Wie viel die Klinkleiterin daneben privat abrechnete, lässt sich nur erahnen: Bei manchen Behandlungen flossen identische Beträge auf ihr privates Konto sowie auf das der Klinik, bei manchen stellte sie mehr in Rechnung, bei anderen weniger.

Intellektuelle und praktische Tätigkeiten der Tierärzte

Dabei war nicht garantiert, dass sich die Klinikchefin wirklich persönlich um ihre Privatpatienten kümmerte. Privatbehandlungen beruhten vielmehr auf einer Unterscheidung zwischen intellektuellen und praktischen Tätigkeiten der Tierärzte: Die Klinikchefin rechnete privat nur geistige Leistungen ab, ohne dafür ein Tier anfassen zu müssen. Die physische Behandlung erledigten andere. So hieß es im bereits erwähnten Zusatzvertrag, der Klinik-Vorstand könne sich bei Untersuchung und Behandlung "durch einen von ihm beauftragten Tierarzt" vertreten lassen.

Wie das Geld genau aufgeteilt wurde, ergibt sich aus einer "Anleitung zur Rechnungserstellung", die allen klinisch tätigen Mitarbeitern zur Verfügung stand. Bei einer Blutdruckmessung zum Beispiel kassierte demnach die Klinik für die mechanische Durchführung und die Leiterin für die Beurteilung des Befunds. Die Gesamtbeträge richteten sich nach der bundesweit gültigen Gebührenordnung für Tierärzte. Laboruntersuchungen sowie Verbrauchsmaterial wie Spritzen oder Verbände berechnete komplett die Klinik.

Die Universitätsleitung wusste darüber grundsätzlich Bescheid; sie hat Privatbehandlungen an der Medizinischen Kleintierklinik ausdrücklich genehmigt, nachdem die staatlichen Vorschriften für Nebentätigkeiten von Hochschullehrern vor gut fünf Jahren verschärft worden waren. Prinzipiell sei dagegen nichts einzuwenden, heißt es aus der Tiermedizinischen Fakultät: Im Wettbewerb mit anderen Kliniken müsse man guten Bewerbern um die Chefposition eben Anreize bieten.

Gesamtrevision in der LMU-Tiermedizin

Hund bei Strahlentherapie in Tierklinik der LMU München, 2011

Doktoranden behaupten, die Leiterin habe von deren kostenloser Arbeit profitiert.

(Foto: Catherina Hess)

In der Verordnung zu Nebentätigkeiten sind solchen Privatbehandlungen aber enge Grenzen gesetzt: Dort heißt es, die Chefs müssten die Tiere grundsätzlich persönlich behandeln, nachgeordnete Ärzte dürften nur unter deren Aufsicht herangezogen werden, und für eine Vertretung durch einen anderen Arzt brauche es einen "zwingenden Grund". Ob Privatbehandlungen in einer Art und Weise und in einem Umfang wie an der Medizinischen Kleintierklinik dem Geist dieser Verordnung entsprechen, ist fraglich. Von einer Unterscheidung zwischen geistigen und praktischen Leistungen zumindest ist hier nicht die Rede.

Die Klinikleiterin teilt dazu lediglich mit, dass eine solche Unterscheidung in der Verordnung nicht vorgesehen sei, halte sie "nicht für relevant". LMU-Präsident Bernd Huber äußerte sich dazu nicht. Die LMU kannte die Größenordnung, um die es geht. Wie es der staatlichen Verordnung entspricht, meldete die Klinikleiterin ihre Privateinkünfte an die Universität; 15 Prozent davon führte sie für die Nutzung der Einrichtung ab.

Klinikleiterin ließ sich vertreten

Hinzu kommt, dass sich die Klinikleiterin nicht nur bei der konkreten Behandlung durch andere Ärzte vertreten ließ, sondern auch bei den geistigen Leistungen, die sie privat abrechnete: bei der Behandlungsplanung und der Beurteilung von Befunden. "Sofern diese Behandlungsleistungen nicht von mir selbst erbracht werden, sind hieran meine Oberärzte beteiligt", bestätigt die Klinikchefin - daher würden auch die Oberärzte an den Einnahmen aus Privatbehandlungen beteiligt. Die Frage, welcher "zwingende Grund" dafür im Einzelnen je vorlag, ließ sie unbeantwortet.

Und schließlich behaupten Doktoranden, es wären keineswegs stets alle Befunde von der Chefin oder einem Oberarzt beurteilt worden, tatsächlich hätten sie sich oft alleine um die Privat-Tierpatienten gekümmert. Entspricht dies der Wahrheit, dann hätten Doktoranden nicht nur kein Entgelt für ihre klinische Tätigkeit erhalten, sondern die Klinikleitung hätte auch noch privat einen Nutzen aus deren Arbeit gezogen.

Die Klinikchefin widerspricht dem vehement: Wenn ein Doktorand einen Patienten betreut hätte, sei jede Behandlung mit einem übergeordneten Arzt abgesprochen worden, sagt sie. Sollte ein Doktorand "in einem Einzelfall" ohne Absprache tätig geworden sein, hätte er "eigenmächtig und gegen die offizielle Anweisung" gehandelt. Außerdem seien Doktoranden ausschließlich für die Durchführung der Behandlung eingesetzt worden, nicht für die zugrunde liegenden geistigen Leistungen. Für die konkrete Arbeit der Doktoranden habe demnach stets die Klinik das Geld erhalten, nicht sie selbst.

Doktoranden werden jetzt bezahlt

Die prekären Arbeitsbedingungen für Doktoranden wurden an der Medizinischen Kleintierklinik mittlerweile abgeschafft. Im Februar hatte sich ein Doktorand anonym darüber beschwert, an der Klinik werde das Anfang 2015 in Kraft getretene Mindestlohngesetz missachtet. Im März überprüften Beamte des Zolls, der für Verstöße gegen dieses Gesetz zuständig ist, die Tierklinik. Ende April stellte die LMU ein neues Konzept vor, wie Doktoranden, die in den Tierkliniken der Universität arbeiten, künftig bezahlt werden sollen.

Wegen des Mindestlohngesetzes gebe es derzeit eine Gesamtrevision in der LMU-Tiermedizin, sagt Uni-Präsident Huber. Dabei werde auch die Behandlung und Abrechnung von Privat-Tierpatienten in den Blick genommen. Wie aus der Klinik zu erfahren ist, werden hier "geistige Leistungen" bei unterschriebenem Zusatzvertrag nach wie vor privat abgerechnet.

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