Kleiderordnung der Justiz:Darf eine Frau vor Gericht verschleiert auftreten?

  • Der Fall einer 43-jährigen Frau, die ihr Gesicht im Zeugenstand nicht offenbaren wollte, beschäftigt derzeit das Landgericht München I.
  • Ein saudischer Islam-Rechtsgelehrter hatte in einem ähnlichen Fall 2011 festgestellt, dass das Ablegen der Niqab vor Justizorgangen und Strafverfolgungsbehörden erlaubt sei.
  • Wie ein Gericht in so einem Fall verfährt, liegt allein in seinem Ermessen. Über Kleidungsfragen wird vor Gerichten seit jeher gestritten.

Von Christian Rost

Muslimische Schülerinnen dürfen in Bayern nicht mit einem verschleierten Gesicht zum Unterricht erscheinen. Für Gerichtsverfahren gilt das Verbot nicht. Der jeweilige Richter kann entscheiden, wie er verfährt, wenn zum Beispiel eine Zeugin mit einem Niqab, einem Gesichtsschleier, oder vollverschleiert in einer Burka erscheint.

Der Fall einer 43-jährigen Frau, die ihr Gesicht im Zeugenstand nicht offenbaren wollte, beschäftigt derzeit das Landgericht München I. Es ist nicht das erste Mal, dass die Verschleierung aus religiösen Gründen die Justiz und auch die Polizei vor Herausforderungen stellt.

Der Fall wirft auch die Frage auf, was bei Gericht als angemessene Kleidung angesehen wird und was nicht. Da hat sich über die Jahrzehnte auch in Bayern einiges geändert.

Die 43-jährige hatte sich im November 2015 in einem Prozess vor dem Münchner Amtsgericht geweigert, den Schleier abzulegen. Sie sagte als Opfer einer mutmaßlichen Beleidigung gegen einen 59-Jährigen aus, der sie unter anderen mit den Worten angeherrscht haben soll: "Du gehörst nicht hierher." Richter Thomas Mülller wollte das Gesicht der Zeugin sehen, um ihre Aussage bewerten zu können.

Expertise eines saudischen Islam-Rechtsgelehrten

Die Frau weigerte sich. Müller resignierte schließlich und verzichtete auf Zwangsmaßnahmen wie ein Ordnungsgeld. Der Angeklagte wurde letztlich aus Mangel an Beweisen freigesprochen. An diesem Donnerstag wird der Fall erneut verhandelt, in zweiter Instanz. Und hier haben sich die Richter der 22. Strafkammer im Vorfeld abgesichert.

Sie besorgten sich die Expertise eines saudischen Islam-Rechtsgelehrten, der in einem ähnlichen Fall 2011 festgestellt hatte, dass das Ablegen der Niqab vor Justizorgangen und Strafverfolgungsbehörden erlaubt sei. Der Anwalt der streng gläubigen Frau kündigte daraufhin an, dass seine Mandantin den Schleier in der Berufungs-Verhandlung ablegen werde.

Bei einem anderen Verfahren hatten vor Jahren Richter am Münchner Landgericht die Öffentlichkeit ausgeschlossen, als eine Muslimin während ihrer Aussage ihren Schleier abnahm. Wie ein Gericht in so einem Fall verfährt, liegt also allein in seinem Ermessen.

Über Kleidungsfragen wird vor Gerichten seit jeher gestritten. Oliver Ottmann, Richter am Landgericht, wollte einmal eine Verhandlung nicht beginnen, weil der Verteidiger keine obligatorische weiße Krawatte trug: "Ohne Krawatte sind sie nicht anwesend", sagte Ottmann.

Das Bundesverfassungsgericht gab ihm recht: Die Maßnahme des Richters möge zwar überzogen erscheinen, sei aber keine Belastung in existenzieller Weise. Anders fiel eine Entscheidung des Oberlandesgerichts München (OLG) zu einem Anwalt aus, der in einem Zivilprozess ohne Robe erschienen war und der zuständige Richter deshalb die Verhandlung platzen ließ. Das OLG meinte, dass die Robenpflicht vor Amtsgerichten überholt sei.

Delinquenten mit Punkermähnen, Rapperhosen und in Shorts

In allen Fragen der Kleiderordnung vor Gericht geht es letztlich darum, ob die Würde des Gerichts gewahrt bleibt. Und da spielt der Zeitgeist eine Rolle. In den Sechzigerjahren wurde noch darüber gestritten, ob Angeklagte oder Zeugen Pilzkopf-Frisuren wie die Beatles tragen durften. Auch Miniröcke überforderten damals so manchen Richter.

Mittlerweile sieht sich die Justiz mit allen möglichen und unmöglichen Frisuren und Kleidungsstücken konfrontiert: Punkermähnen, Rapperhosen, sogar in Shorts laufen manche Delinquenten ein. Den Richtern entlockt das nicht einmal ein Schmunzeln. Wenn allerdings jemand nur in Badehose als Zeuge erscheinen würde, würde sich das kein Gericht bieten lassen, so eine Sprecherin des Oberlandesgerichts.

Für die Polizei ist nicht entscheidend, welche Kleidung jemand trägt, solange die Identitätsprüfung möglich ist. Verkleidete oder eben verschleierte Personen müssen bei der Einreise am Münchner Flughafen ihre Gesichter für einen Vergleich mit dem Passbild zeigen.

Die Bundespolizei bietet muslimischen Frauen an, die Kontrollen in einem Nebenraum von einer Beamtin vornehmen zu lassen. Es gibt allerdings Pässe bestimmter Länder, in denen die Frauen auch auf dem Foto verschleiert sind. Dann muss die Identitätsfeststellung auf andere Weise erfolgen - mittels Fingerabdruck oder Unterschriftenvergleich.

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