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SZ-Serie: Bühne? Frei!:Rückschau nach vorn

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Kultur-Lockdown, Tag 36: Klaus Doldinger entdeckt Kompositionen aus seiner Vergangenheit wieder

Protokoll: Oliver Hochkeppel

Wenn man wie ich schon sehr lange als Musiker arbeitet, dann bildet sich eine gewisse Routine aus. Neben dem täglichen Üben und Spielen, das aus Liebe zur Musik geschieht und keine Arbeit ist, gibt es das berufliche Procedere: Ich plane entweder die Vertonung eines neuen Film- oder Fernseh-Projekts oder ein neues Album. Das ist mit einigem Aufwand verbunden. Ich mache erst Demo-Aufnahmen in meinem Heim-Studio und spiele sie den Kollegen vor, ob man das so oder lieber anders spielen sollte. Im Lauf des Spielens verändern sich die meisten Stücke noch, je nachdem, wie jeder einzelne sie interpretiert und wie die Soli sich einfügen. Das lässt sich nicht prognostizieren, nicht im Studio, und erst recht nicht bei Live-Auftritten. Manches ergibt sich aus den Reaktionen des Publikums, als inspirierender Faktor, wenn der Funke überspringt.

Eineinhalb Monate, verteilt übers Jahr, bin ich deshalb ausschließlich unterwegs und spiele Konzerte. 40 wären es heuer gewesen, drei Auftritte sind übrig geblieben. Als Interpretationskünstler muss man damit leben können, auch ohne Publikum Gefühle zu entwickeln, und vieles kann man durch Fantasie und die Ideen der Kollegen kompensieren. Aber natürlich ist die Publikumsreaktion wichtig. Zumal auch meine Passport-Bandmitglieder, die relativ weit verstreut wohnen, nur ganz selten zu mir ins Studio kommen konnten.

In diesen Zeiten der unfreiwilligen Ruhe gab es nun andere Dinge, über die man nachdenken konnte. Schon das vergangene Jahr stand bei mir im Zeichen der Rückbesinnung. Ich habe mir mit meiner aktuellen Passport-Besetzung mein Projekt "The Motherhood" aus der Zeit vor Passport Ende der Sechziger vorgenommen und neu beleuchtet. Das Album dazu sollte im April herauskommen, schließlich war es im August so weit. Statt also damit auf Tour zu sein, habe ich die Vergangenheit weitergedacht und mich mit meiner frühen Passport-Zeit beschäftigt. Dabei ist mir zum einen aufgefallen, dass es viele Stücke gibt, die wir nie weiter verfolgt haben, obwohl es sich auch heute lohnen würde, sie zu überarbeiten und neu zu interpretieren. Zum anderen habe ich etliche Kompositionen entdeckt, die wir nie aufgenommen haben. Bei vielen fand ich die Vorstellung traurig, sie nie wieder zu spielen und dem Publikum vorzuenthalten. Deshalb wollten war im Dezember zu mir ins Studio, was jetzt erst im Januar passieren wird.

Wie es damit weitergeht, wird sich zeigen. Was die Labels und Veranstalter planen und planen können, ist nicht überschaubar. Das ist alles andere als erfreulich, und es gibt viele Dinge, die Sorgen bereiten. Aber es hat ja keinen Sinn, daran zu verzweifeln. Ich glaube daran, dass wir das alles hinter uns lassen werden, und auch, dass das Publikum wiederkommt und wieder Spaß an unserer Musik haben wird.

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Quelle:
SZ vom 07.12.2020
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