Klassik und Macht:Was der Konzertsaal-Streit über München verrät

Baustelle am Herkulessaal in der Münchner Residenz, 2014

Eine Baustelle? Auch. Und Musiker des BR-Symphonieorchesters im Herkulessaal vor einer Probe.

(Foto: Stephan Rumpf)

Kunstbeflissene Zahnärzte, progressive Nachtklub-Besitzer: Die Debatte über die neue Philharmonie findet einfach kein Ende.

Analyse von Christian Krügel

Es ist an der Zeit, in der erneut aufkommenden Münchner Konzertsaal-Debatte an Annette von Soettingen und Dr. Edgar Schönferber zu erinnern. Mit diesen Figuren aus seiner TV-Serie "Monaco Franze" hat Regisseur Helmut Dietl selig dem Münchner Kulturbürger ein Denkmal geschaffen. Sie ist die wohlhabende Erbin, für die wahre Kunst und klassische Musik zum gesellschaftlichen Dasein gehören, er der blasierte Bildungsbürger, der Kultur in Geldscheinen, Einfluss und Status misst.

Dietl schuf diese Charaktere Anfang der Achtziger, aber ihr Einfluss auf einen Teil der Kulturszene dieser Stadt ist bis heute zu spüren: Man ist verwöhnt und anspruchsvoll, es geht um das Beste, um Weltklasse, häufig wird Neues gefordert, selten wird es gewagt. Und sehr oft verbergen sich hinter den wahren Werten der Kunst die persönlichen Interessen an Immobilien, Geld und Macht.

Start-ups, Striplokale, Künstler: Konservativen Kulturbürgern ist das Werksviertel ein Gräuel

Das muss man wissen, möchte man den irrwitzigen, aber sehr münchnerischen Streit um ein Konzerthaus verstehen, in dem das Beste und das Schlechteste vorkommen, was die Stadt zu bieten hat: echte Enthusiasten, aber auch dubiose Investoren, mächtige Anwälte, ambitionierte Architekten, kunstbeflissene Zahnärzte, konservativer Geldadel und progressive Nachtclub-Besitzer. Keine Staatsregierung könnte es dieser Mischung recht machen, nicht mal mit einem Geschenk, wie es das Kabinett Seehofer nun plant: Das von den Münchnern geliebte BR-Symphonieorchester soll endlich ein eigenes Konzerthaus bekommen, nach 15 Jahren frucht- und freudloser Debatte.

Doch statt Jubel über das Präsent flammt neuer Streit auf, heftiger denn je: Von blanker Sabotage ist die Rede, von Manipulation und Korruption, dubiose neue Expertisen und unvollständige alte tauchen auf. Selbst CSU-Abgeordneten debattieren stundenlang.

Seine Ursache hat der Streit zum einen darin, dass die neue Philharmonie nicht dort gebaut werden soll, wo sie die Annette von Soettingens und Edgar Schönferbers am liebsten hätten, in Münchens Altstadt neben Nationaltheater und Residenz. Alle diskutierten Grundstücke in historischer Umgebung schieden mit den Jahren aus, zuletzt der Finanzgarten an der Residenz wegen eines Straßentunnels unter und ein paar Bäumen in der Grünfläche. Für ihren Schutz wollten Naturschützer vor Gericht ziehen und bis zum Ende kämpfen. Ein klares Ausschlusskriterium.

Zudem musste sich Seehofers Kabinett ausgerechnet zwischen zwei Standorten entscheiden, hinter denen jeweils Privatleute mit millionenschweren Investments stehen. Es geht, erstens, um die riesige Paketposthalle in Neuhausen, und, zweitens, um das Werksviertel, ein neues Stadtquartier am Ostbahnhof auf dem ehemaligen Pfanni-Industriegelände. Die Staatsregierung entschloss sich für Letzteres, weitgehend dem Rat der Stadtplaner von Albert Speer und Partner und der eigenen Ministerien folgend. Dort kann der Bau schneller begonnen werden, das Risiko dürfte überschaubarer sein, selbst wenn Werner Eckart, Erbe des Pfanni-Geländes, nur mit Erbbaurecht bauen lässt. Rund 30 Millionen Euro in 50 Jahren dürfte allein der Grund fürs Konzerthaus dort kosten.

Für die Paketpost errechnete das Finanzministerium bis zu 55 Millionen Euro Grunderwerb, dazu kommen bis zu 60 Millionen Euro Sanierungskosten für die denkmalgeschützte Betonspannhalle, deren Lebensdauer die Experten aber ohnehin für begrenzt halten. Oben drauf kommen an beiden Standorten die Kosten für Philharmonie nebst Kammermusiksaal, Übungsräumen und Ähnlichem. Macht wohl rund 300 Millionen Euro.

Es wird heftiger denn je gestritten und gefeilscht

Es geht also um viel Geld, um große Gewinne für die Investoren und unschätzbare Befindlichkeiten. Dass heftiger denn je gestritten und gefeilscht wird, ist verständlich. Drei Gruppen heizen die Debatte an.

Da sind zuallererst die Anhänger der Werksviertel-Lösung, zuvorderst natürlich Pfanni-Erbe Werner Eckart. In den alten Gebäuden beherbergte Eckart bis vor Kurzem Nachtclubs, Striplokale, Musikbühnen, aber auch Start-ups und Künstler. Jetzt soll daraus ein schickes Kultur-, Arbeits- und Wohnviertel werden mit Ateliers, Musikhallen und kleinen Bühnen - gekrönt von einem Konzerthaus von Weltrang, so das Konzept.

Dieses bringt Eckart natürlich gute Rendite, zusätzliches Renommee und neue Gäste in die geplanten Hotels und Restaurants. Es findet aber auch die Akzeptanz der eigentlichen Hauptakteure: der Musiker. Mariss Jansons, Chefdirigent des BR-Symphonieorchesters und Motor der Konzertsaalidee, spricht sich inzwischen öffentlich für das Werksviertel aus. Denn aus seinem Lieblingsstandort im Finanzgarten wird nichts mehr werden, außerdem könnte am Ostbahnhof schon bis Ende 2021 eine neue Philharmonie stehen. Und schließlich könnten die schon bestehenden Bühnen auch seine Idee eines pädagogischen Zentrums möglich machen: musikalische Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und Studenten.

Vergangene Woche lotste deshalb das BR-Symphonieorchester schon mal den Cellisten Yo-Yo Ma für eine öffentliche Meisterklasse mit Studenten ins Werksviertel. Der Klassik-Star aus den USA zeigte sich angetan von dem kreativen Kuddelmuddel aus Graffiti, Striplokalen, Baustellen und Musikbühnen.

Schmuddelige Wege und fragwürdige Konzepte

Dem konservativen Kulturbürger hingegen ist genau das ein Gräuel. Die Anhänger der Paketpost in Neuhausen klagen deshalb schaudernd über den "Konzertsaal im Hinterhof des Ostbahnhofs", schmuddelige Wege und fragwürdige Konzepte. Dagegen stellt die Investorengruppe um den Münchner Anwalt Josef Nachmann die Vision einer Musikstadt in der riesigen Halle, mit zwei, drei Sälen, Übungs- und Hochschulräumen, Open-Air-Bühne und Wasserlandschaft in Aussicht. Es ist eine Vision, für die sich eine breite Allianz von den Grünen über das Münchner Kammerorchester bis zum früheren Wissenschaftsminister Thomas Goppel begeistert. Letzterer kämpft in der CSU-Landtagsfraktion mit harten Bandagen für das Projekt, aus Begeisterung für die Sache, wie er sagt. Die steht aber auf unsicherer Grundlage.

Denn Josef Nachmann ist zwar vermögender Klassik-Fan, der sein Geld als Insolvenzverwalter und Anwalt von russischen Oligarchen, deutschen Sportlern und Münchner Musikveranstaltern verdient. Für ihn allein aber ist das Projekt dennoch zu groß, deshalb sollen Investoren einsteigen und nicht nur die Halle, sondern auch die 50 000 Quadratmeter Bauland drumherum mit Hotels und Gewerbefläche entwickeln.

Es ist ein großer Immobiliendeal, der ohne staatlichen Konzertsaal viele Risiken birgt. So wechseln auch die in Aussicht gestellten Investoren immer wieder: Im Sommer war es ein Bauunternehmer aus der Oberpfalz, kurz vor Weihnachten sollte ein deutsch-österreichischer Konzern zugreifen, zuletzt hieß es, eine traditionsreiche Münchner Familie werde dabei sein.

Sponsoring in bester Innenstadtlage fällt eben leichter

Und noch immer ist unklar, ob die Deutsche Post die Halle tatsächlich verkauft und freigibt. Nachmann und die Paketpost-Anhänger müssen daher vor allem eines: Zeit gewinnen. Und so fordert Goppel die Staatsregierung auf, beide Standorte erneut ein halbes Jahr lang zu prüfen. Oder die Diskussion noch einmal aufzurollen.

Damit kommt eine dritte Gruppe ins Spiel: die Verfechter eines Saales, der doch in Münchens pittoresker Altstadt stehen möge. Sie versammelten sich bisher in zwei Vereinen, dem Konzertsaal-Verein und als Freunde des BR-Symphonieorchester (BRSO). Die Vorstände beider Vereine haben inzwischen ihren "Frieden mit dem Werksviertel" gemacht, wie BRSO-Freunde-Chef Martin Wöhr sagt. Das Wohl des Orchesters sei wichtiger als individuelle Standortwünsche. So sehen das aber wohl nicht alle Vereinsmitglieder. Vor allem diejenigen, die den Bau des Konzerthauses mit hohen Spendensummen unterstützt hätten, sprechen nun skeptisch über das Werksviertel. Sponsoring in bester Innenstadtlage fällt eben leichter als in einem Entwicklungsgelände am Ostbahnhof.

Die BR-Symphoniker fürchten, der alte Plan werde ausgegraben, um den neuen zu verhindern

Und in dieser Situation taucht plötzlich ein Projekt auf, das vor sechs Jahren beerdigt worden war: ein Konzertsaal im Marstall, dem klassizistischen Kutschenhaus der Residenz, das Leo von Klenze einst gebaut hatte. Die Idee war vom damaligen Kunstminister Wolfgang Heubisch (FDP) verworfen worden. Heubisch ist Zahnarzt, Musik- und Konzertsaalfreund. Weil er und seine Partei aber 2008 in die Staatsregierung kamen, musste ausgerechnet er das Projekt stoppen.

Eine Machbarkeitsstudie des japanischen Akustikers Yasuhisa Toyota war zuvor zu einem zwiespältigen Ergebnis gekommen. In den Marstall passe zwar ein Konzertsaal wie etwa in Wien hinein, aber ohne jede logistische Zusatzausstattung, von Schalldämmung ganz zu schweigen. Also müsste man das denkmalgeschützte Gebäude aufbrechen. Oder aber den Saal in einem großen Anbau daneben unterbringen und das historische Gebäude als reines Entree nutzen. Das ginge, würde aber erheblichen Protest des Denkmalschutzes auslösen - was auch 2010 prompt geschah. "Finger weg vom Marstall!", tönte es aus der Akademie der Schönen Künste und den benachbarten Staatstheatern, die das Gebäude für sich selbst reklamierten.

Und schließlich war das Raumprogramm, das damals von Toyota untersucht worden war, wesentlich kleiner als jenes, das nun im Werksviertel umgesetzt werden soll. Dennoch prüften im vergangenen Jahr sogar Speer und Partner den Marstall ein weiteres Mal - und kamen zum selben Ergebnis.

Ein Ex-Minister ist sauer, und Symphoniker sprechen von "blanker Sabotage"

Trotzdem hält sich der Vorwurf, Kunstminister Heubisch und die Staatsregierung habe die Idee in der Schublade verschwinden lassen, um einen Saal in der Innenstadt zu verhindern. "Eine Geisterdebatte" nennt das Heubisch und will sich gegen solche Vorwürfe nun auch juristisch zur Wehr setzen. "Ich würde heute nicht anders entscheiden als damals", sagt er.

Bei den BR-Symphonikern spricht man von "blanker Sabotage": Durch die Wiederbelebung der Marstall-Debatte solle das Werksviertel-Projekt torpediert, Zeit geschunden und die Konzertsaal-Entscheidung komplett revidiert werden. So weit wird es wohl nicht kommen, in der CSU-Landtagsfraktion zeichnete sich am Dienstagabend nach langer Debatte trotz Goppels Lobby-Arbeit Zustimmung zum Werksviertel ab. Frieden wird dadurch unter Münchens Kulturbürgern nicht einkehren. Dafür steht zu viel auf dem Spiel.

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