Klassik:Musikfilme, die mitreißen

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Das Münchener Kammerorchester glänzt mit Jörg Widmann

Von Rita Argauer, München

Wie gemein. Da hat man für eine Saison einen wunderbaren Künstler in Residence verpflichtet und dann kann man nicht mit ihm auftreten, ihn nicht vorzeigen, seinen Glanz und seine Inspiration nicht präsentieren. Das, was das Münchener Kammerorchester (MKO) mit dem Klarinettisten, Komponisten und Dirigenten Jörg Widmann nun aber aus dieser Situation gemacht hat, ist beachtlich. So wie kaum ein anderes klassisches Orchester hat sich das Ensemble ganz der neuen, nun vorherrschenden medialen Form angepasst und eine Youtube-Playlist mit dem Schwerpunkt Widmann veröffentlicht.

Dass es wenig bringt, einen mehr als zehnminütigen oder gar einstündigen (Konzert-)Film als Datenschlauch hochzuladen, der in diesem kurzatmigen Format Youtube sowieso wohl selten von vorne bis hinten angeschaut werden würde, war eine der guten Ideen des Kammerorchesters. Vielmehr wurde also ein Konzert des Orchesters unter und mit der Musik des universalbegabten Musikers Widmann in seine Einzelteile zerlegt. Vier kleine Siebenminüter, schnell anschaubar und dann trotzdem so voller musikalischer Wucht, dass die Musik weiterläuft und weiter mitnimmt. Quasi vom eigenen Format überrollt, wird daraus doch mehr als ein paar kurze Clips. In der Reihung der Playlist entsteht ein Musikfilm, der spannend wie ein Krimi die Auseinandersetzung Widmanns mit Mendelssohn zeigt.

Initialstück ist das Andante aus der Klarinettensonate, ein Jugendwerk Mendelssohns für Widmanns ureigenes Instrument. Schaurig warm, melancholisch klingt die Exposition, erinnert an englische Folklore, kurz. Widmann hat sanft eingegriffen und einen Orchestersatz hinzukomponiert, der Farben dazwischen sprengt. Es folgen Widmanns Aria für Streicher von 2015 und sein Choralquartett, dem er für das MKO neue Stimmen geschrieben hat. Instrumente wie die Celesta geben einen verträumten Anschein, aber gebrochen modern. Man schließt mit dem Symphoniesatz in c-Moll, auch ein Jugendwerk Mendelssohns, rasend und ungestüm, "ungeheuerlich" nennt ihn Widmann selbst.

Dazu gibt es ein fünftes Filmchen, das den anderen vorangestellt ist. Es ist eine Art Werbefilm vom MKO für Widmann und umgekehrt. Alle loben sich und lieben sich. Aber man erhält, schön geschnitten und anschaulich mit Musik unterlegt, einen Einblick in Widmanns kompositorisches Schaffen und warum er sich ausgerechnet dem eher weniger als vorwärtsgewandt geltenden Mendelssohn widmet. Soviel ist klar: Die Liaison der beiden funktioniert. Es funktioniert aber auch das Pandemie-Format des Kammerorchesters: sowohl für Einsteiger (kleine Filmchen mit mitreißender Musik), für Konzertliebhaber (alle Filmchen ergeben zusammen ein halbstündiges Konzert mit einem exquisiten, zwischen alt und neu vermittelnden Programm, wie man das vom Kammerorchester gewohnt ist) und für Nerds (Widmann gibt Einblick in seine Kompositionsarbeit, in seine Arbeit mit dem Orchester und in sein Denken).

MKO x Jörg Widmann , Youtube-Playlist, Link dazu unter m-k-o.de

© SZ vom 10.05.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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