Süddeutsche Zeitung

Klassik:Münchner Biennale startet mit zwei Opern-Uraufführungen

Die zwei neuen Leiter lassen am ersten Abend eine reine Parodie aufführen - und liefern den Soundtrack für das grillende Volk an der Isar.

Von Reinhard Brembeck

Die Erwartungen sind hoch gespannt, die Unsicherheit ist groß. Die 1988 erstmals von Komponisten Hans Werner Henze veranstaltete Münchener Biennale für neues Musiktheater - der sperrige Titel trägt nicht gerade zu ihrer Popularität bei - hat jetzt gleich zwei neue Leiter: die Experimentalmusiker Daniel Ott und Manos Tsangaris. Und die haben ihre erste Festivaledition gleich mit zwei Uraufführungen an einem Abend eröffnet. Deren Komponisten David Fennessy und Simon Steen-Andersen sind nur Musikavantgarde-Insidern geläufig - was zur erwähnten Unsicherheit führt.

Vier Publikumstribünen stehen rautenförmig angeordnet in der Muffathalle, dazwischen sitzt das Münchener Kammerorchester auf Podesten, die bald auseinandergeschoben werden. Gelegentlich dröhnt aus dem Off eine Paukenkaskade, Sänger und Musiker intonieren lang gehaltene Lockrufe, die Fremdheit suggerieren, Unsicherheit, Entwurzelung.

Der Komponist Fennessy - er macht das nicht zum ersten Mal - träumt noch einmal das Amazonas-Abenteuer von Filmemacher Werner Herzog, der für seinen Klassiker "Fitzcarraldo" einen Dampfer über einen Hügel schleppen ließ, um Stromschnellen zu umgehen.

Die Noten erscheinen auf einem Bildschirm hinter dem Publikum

Fennessy beschwört in "Sweat of the Sun" assoziativ die Schwüle und die Geräusche des südamerikanischen Urwalds, die Stechmücken, die Spannungen des "Fitzcarraldo"-Personals, das Regisseur Narco Štorman zitathaft herumgeistern lässt. In drei Teilen plätschert das einstündige Stück zwischen Lethargie und Erotik dahin und liefert den Soundtrack zu den draußen die Isarufer bevölkernden Grillweltmeistern.

Vokalisen huschen durch den Raum, Videofragmente aus dem Film und Sprachfetzen aus Herzogs Erinnerungsbuch "Eroberung des Nutzlosen" würzen das Lento der Musik, das schwerelos dahinwälzt. Die büßt schnell ihre Fremdheit ein, sobald die vier im Raum verteilten "Table Guitars", eine Art selbst gebastelter Zithern, verklingen. Das Ganze ist ein Sommermärchen, das Ferne und existenzielle Verlorenheit evoziert, ohne sie je drastisch vor Augen zu stellen.

Steen-Andersen ist Komponist, Autor und Regisseur in Personalunion. Er geht in "if this then that and now what" das Opernmachen als hoch theoretischen Vortrag an, der erschreckenderweise mit zwei Stunden angekündigt ist. Aber halb so wild. Auch hier sitzen die Musiker auf der Bühne und glotzen das seinerseits glotzende Publikum im Carl-Orff-Saal an. Notenständer sind nicht zu sehen. Links und rechts von den Musikern stehen Rednerpulte, hinter ihnen, erhöht, ist ein Stuhl platziert. Immer wieder hetzt der Komponist, der von vier recht ähnlichen Schauspielern gespielt wird, über die Bühne, Schlagzeug und Streicher grundieren sein Trappeln.

Auf Sänger kann Steen-Andersen im Gegensatz zu seinem Kollegen Fennessy verzichten. Immer wieder flimmert ein Textanfang über die Übertitelungstafel, wird gelöscht, durch einen neuen, sehr, sehr ähnlichen Satz ersetzt. Die Repetition kleinster Floskeln ist für Steen-Andersen genauso wie für Fennessy ein heiliges Grundprinzip. Beide entwickeln Minimal-music-Prinzipien fort, wie sie bei Morton Feldman vorgeprägt sind, einem der Großgurus der Experimentalszene, aber auch in Giacinto Scelsis 5.Streichquartett, ebenfalls einem Klassiker dieser Richtung.

Wie der absurde Titel "if this then that and now what" andeutet, liefert Simon Steen-Andersen eine Parodie. Das Opfer sind jene weit verbreiteten, die Langeweile potenzierenden Vorträge akademischer Machart, die ein Thema derart uninspiriert malträtieren, bis jedes Publikum den Geist aufgibt. Die Einwürfe der Musiker werden ständig massiver, die Schauspieler quatschen sich unter Publikumsgelächter den Mund fusselig.

Über die ausführlich und komisch erläuterte Problematik eines möglichen Stückanfangs hangelt sich Steen-Andersen vor zur "multimedialen Selbstreferenz". Das ist zwar eine Neubildung, sie meint aber letztlich nicht weniger als Musiktheater an sich. Bei Fennessy hatte es sich in Anlehnung an Werner Herzog als die "Eroberung des Nutzlosen" zu erkennen gegeben - das war griffiger.

"Wumm" machen die Streicher, dann beschwören sie den ersten "Lohengrin"-Akkord oder den Barockmeister André Campra. Die Musiker spielen die Noten von einem großen Bildschirm hinter dem verblüfften Publikum, ein Clip im Ohr ersetzt den Dirigenten. Die Tonschwemme wird größer und größer, beinahe ertränkt sie den Text. Doch da zögert der sonst so forsche Komponist und anstatt abrupt Schluss zu machen, hangelt er sich erschöpfend von der einen Finalmöglichkeit zur anderen.

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SZ vom 30.05.2016/imei
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