Süddeutsche Zeitung

Klassik:Lichtstrahl auf das Morgen

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Ein Benefiz-Musikgottesdienst mit der Geigerin Anne-Sophie Mutter

Von Klaus Kalchschmid, München

Das große Geläut von St. Markus erklingt wie zum feierlichen Hochamt. Und das war dieser "musikalische Abendgottesdienst im Advent"! Zum einen, weil er zelebriert wurde von Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm und Stadtdekan Bernhard Liess. Zum anderen, weil die musikalische Gestaltung mit Anne-Sophie Mutter und den einstigen Stipendiaten ihrer Stiftung wie Linus Roth, Hwayoon Lee und Daniel Müller-Schott ein exquisites Streichquartett bildeten. Wie schon in Frankfurt und Leipzig, vielleicht bald auch in Berlin und Hamburg, dazu in Altenheimen: Anne-Sophie Mutter versteht "unser Musizieren hier in der Kirche als Geschenk an die Menschen, die gewohnt sind mit Musik zu leben und in der Kirche einen Raum des Trostes und für Reflexion finden."

Bevor die 100 Besucher mit Maske, aber umso mehr Inbrunst "Macht hoch die Tür" anstimmen, weist Bedford-Strohm darauf hin, dass sich so viele Türen von Kneipen, Konzertsälen und Opernhäusern ge-schlossen haben, von Orten des Glücks, des unbeschwerten Zusammenseins, der Bildung wie des gemeinsamen Lachens. Und er beschwört uns, "die Ohren zu öffnen, damit wir hören können, wie in der Musik der Himmel aufgeht." Die Kollekte des Abends, der unter dem Motto stand "Musiker spielen für Musiker" und auf die "katastrophale Lage von Tausenden von freiberuflichen Kollegen" hinweisen soll, gilt der Musiker-Nothilfe der Deutschen Orchester-Stiftung. Anne-Sophie Mutter betont: "Noch wichtiger, als die Brosamen, die wir hier einsammeln können, ist es, dass wir unter klaren Bedingungen arbeiten können. Denn wissenschaftliche Studien, wie die in Zusammenarbeit mit der Bayerischen Staatsoper im Herbst haben ergeben, dass es keinerlei Ansteckungen gab." Auch Bernhard Liess spricht von den "Musikern, die innerlich vertrocknen" und von der Musik, die nicht Beiwerk ist, sondern Verkündigung von Gottes Wort sein kann. Und er zitiert Adorno: "Musik zeigt, wie wir sein könnten." Sei es Haydns Opus 20/1, Mozarts C-Dur-Quartett KV 157 oder der Quartettsatz c-moll von Schubert.

Ihn hat Anne-Sophie Mutter ausgesucht, weil hier "göttliche Poesie, aber auch tiefe Trauer zum Ausdruck kommen." Und weiter: "In einem solchen Gottesdienst zu musizieren, ist immer ein Requiem für die Corona-Opfer, aber auch ein Lichtstrahl auf das Morgen und ein Appell an die Politiker. Es ist degradierend, erneut als lediglich arbeitsame Konsumenten eingestuft zu werden; der Hunger von so vielen nach emotionaler Berührung durch die Kunst muss endlich ernst genom-men werden."

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SZ vom 07.12.2020
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