Klassik:Erlösung

Philharmonie

Vereinzelung: Hansjörg Albrecht, Lydia Teuscher und Stefan Hunstein (v.l.n.r.) führen ein alternatives Passions-Konzert auf.

(Foto: Benedikt Feiten)

Alternatives Passions-Konzert in der Philharmonie

Von Rita Argauer

An Ostern feiert man gewöhnlich die Transformation des einsamen Todes eines Einzelnen zum sinnstiftendes Gemeinschaftserlebnis. Dazu braucht es gemeinsame Rituale wie Gottesdienste oder ein Passionskonzert. Es fehlt etwas in diesem Jahr. Auch beim alternativen Passionskonzert, das Hansjörg Albrecht, Leiter des Münchener Bach-Chors und ein exzellenter Organist, kurzfristig konzipiert hat.

Doch der Mangel wird in dieser Aufführung, die seit Karfreitag auf der neuen Kultur-Webpräsenz des BR noch drei Monate lang zu sehen sein wird, zum Trumpf. Anstatt der wuchtigen Matthäus-Passion, die Albrecht gemeinhin am Karfreitag mit seinem Ensemble in der Philharmonie im Gasteig aufführt, stehen in dem riesigen Saal verloren neben Albrecht die Sopranistin Lydia Teuscher und der Schauspieler Stefan Hunstein. Der Saal leuchtet (vielleicht auch nur durch die schlechte Farbskalierung des Computerbildschirms) blutrot und dann beginnt die Orgel. Nicht mit der Matthäus-Passion sondern mit Bachs Passacaglia c-Moll BWV 582. Ein wahnsinniges Stück, voll schwerer Melancholie, das Albrecht mit Ruhe und fein durchsichtig registriert spielt. All die Resignation, all das Alleingelassene dieser Tage sammelt sich in diesem Stück. Dann beginnt Hunstein zu lesen aus dem Matthäus-Evangelium in der Luther-Übersetzung, trocken berichtend, beinahe wie ein Nachrichtensprecher und Teuscher singt die Arie "Herzliebster Jesu, was hast Du verbrochen", die dann wirklich aus Bachs Matthäus-Passion stammt.

So wenig direkt die Aufführung im Internet ist, so wenig zwingend und mitfühlend wie man es eigentlich in einem Passionskonzert erlebt, so passend ist dieses Gefühl zwischen Phlegma und Aufruhr: Man bleibt in einer Zwischenwelt - in dieser Aufführung genauso wie in der realen Welt gerade. Das Medium und die Umgebung bedingen sich. Das ist erschreckend. Aber wenn das Konzert mit der Fuge in c-Moll, BWV 582, dem Gegenstück zur Eröffnung, auf einem Dur-Akkord endet, dann stellt sich selbst in der Isolation eine Ahnung von Erlösung ein.

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