Süddeutsche Zeitung

Klassik:Beginn einer Auferstehung

Die Bayerische Staatsoper beglückt mit erstem Live-Konzert

Von Egbert Tholl

Der erste Ton macht einen fassungslos. In den langen vergangenen Wochen hat man ja immer wieder Töne gehört, deren Erzeuger man dabei anschauen konnte, auf Dächern, Balkonen oder vor Altersheimen. Aber der erste Ton, den man nun in einer halbwegs normalen Aufführungssituation hört, der macht einem deutlich, was man vermisst hat. Wogegen kein Stream, kein Radio, keine CD hilft, gegen dieses Vermissen. Nun sitzt man mit 19 anderen, allesamt Versuchskaninchen, darunter auch Andreas Beck, der Resi-Intendant, auf der Seitenbühne des Nationaltheaters und hört diesen Ton. Und noch viele weitere. Eine halbe Stunde lang, die einen außerordentlich glücklich macht.

Aber so einfach gelangt man nicht zu diesen Momenten. Karte vorzeigen, Ausweis, Hände desinfizieren. Durch die Tageskasse ins Probengebäude, erster Stock, über die Brücke ins Nationaltheater, dort weisen blaue Lichtstelen den Weg. Bis man den wundervollen Herrn Schubert erreicht hat, der einem einen der verstreuten Stühle zuweist, hat man etwa so viele achtgebende Menschen passiert, wie zuhören werden. Sitzt man, darf man den Mundschutz abnehmen. Steht man wieder auf, muss man ihn wieder anlegen.

Das Amanda-Quartett trägt keinen Mundschutz, Carlos Vera Larrucea, der Marimba spielt, auch nicht. Er und Johanna Beisinghoff, Julia Pfister, Wiebke Heidemeier und Anja Fabricius gehören zum Bayerischen Staatsorchester. Man muss nur Frau Fabricius am Cello zusehen, wie sie strahlt, wenn sie spielt, dann begreift man sofort, wie es den Musikerinnen gefehlt haben muss, ihren Beruf so ausüben zu können, wie es sein muss. Muss! Die anderen strahlen sicherlich genauso wie Frau Fabricius, aber ihr sitzt man halt zufällig gegenüber, deshalb kann man sich gerade an ihrem Leuchten so erfreuen.

"Streifzüge am Mittwoch" nennt sich die Konzertidee, die von kommender Woche an allgemein zugänglich sein soll, weil die Staatsoper ausprobieren will, was so nach und nach möglich ist, unter strengsten Sicherheitsbestimmungen, von denen es im Theater schon im Normalbetrieb zahlreiche gibt. Aber auch die härteste Reglementierung kann auf Dauer Kunst in ihrer echten, analogen Daseinsform nicht verhindern. Gut so, weiter!

Scarlatti mit Improvisationen von Larrucea - dezidierte, exakt ausformulierte Schönheit. Schulhoff: Fünf Sätze, die die ganze Welt der Musik aufspannen, flirren, von Sehnsucht künden. Ach, es ist herrlich. Und toll und klug.

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Quelle:
SZ vom 22.05.2020
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