Literatur und Ökologie:Bücher mit nachhaltiger Wirkung

Literatur und Ökologie: Freier Flug ins Ungewisse: Ausschnitt aus dem Buchcover des Romans "Unberechenbar" von Dana Spiotta.

Freier Flug ins Ungewisse: Ausschnitt aus dem Buchcover des Romans "Unberechenbar" von Dana Spiotta.

(Foto: Kjona)

Der jüngst gestartete Kjona-Verlag setzt auf Romane und Sachbücher, wie andere Verlage auch. Lars Claßen und Florian Keck haben allerdings ein sozial-ökologisches Geschäftsmodell entwickelt, das in seiner Konsequenz noch Schule machen könnte.

Von Antje Weber

Eine Frau im Badeanzug springt, nein fliegt durch helles Blau. Die Botschaft ist eindeutig: Hier geht's mit Schwung ins Ungewisse. Das Titelbild passt nicht nur gut zu Dana Spiottas Roman "Unberechenbar", in dem eine Frau mittleren Alters radikal in ein neues Leben aufbricht. Die Symbolik lässt sich auch auf den neuen Verlag übertragen, der diesen Roman soeben als erstes Buch herausgebracht hat: Kjona heißt das kleine Unternehmen, das dazu ansetzt, das Verlagsgeschäft nachhaltig zu verändern. Mit einem frei erfundenen Namen, der bald für eine starke Marke stehen soll.

Jetzt aber wiegt Lars Claßen erst einmal das frisch gedruckte erste Buch in der Hand: "Ich bin maximal glücklich damit." Man spüre das Gewicht des Buches, sagt der Münchner Neu-Verleger, der mit seiner Wollmütze zu Brille und Bart und seiner sanften Stimme freundlich geerdet wirkt. Das Buch rieche gut, sagt er, wirke "ganz organisch" und trotz einer fast klassischen Anmutung doch "leicht flashig" durch die Farben. Tatsächlich ist dieser Roman etwas Besonderes: Seine Entstehung folgt in jeder Hinsicht ökologischen und sozialen Kriterien. Nachhaltigkeit haben sich Lars Claßen und sein Frankfurter Kompagnon Florian Keck schließlich als wichtigstes Verlagsziel auf die Fahnen geschrieben.

Nur logisch ist es deshalb, dass der Verleger zum Gespräch in den "Impact Hub" in Sendling gebeten hat. Das nur von außen unscheinbare Gebäude beherbergt einen sozial-ökologischen Coworking Space und wirkt als strategischer Partner unterstützend: Das sei "alles, was wir brauchen", sagt Claßen; eine schicke Verlagsdependance gehört nicht dazu. Hinter der eigentlichen Verlagsadresse verbirgt sich seine Familienwohnung, geprägt von zwei kleinen Kindern, wie er erzählt - weniger Literatur also, mehr Leben. Es ist wichtig, das zu erwähnen: Ihre zusammen fünf Kinder sind der Urgrund, warum Claßen und Keck überhaupt Kjona gegründet haben. Sie sind "unsere größte Inspiration", wie die Verleger im ersten Editorial schreiben. "Wir möchten einen Beitrag dazu leisten, dass unsere Welt, die so schön und reich ist an Geschichten, für sie erhalten bleibt."

Deshalb wollen sie vieles anders machen, als es üblich ist. Klassische Verlage kennen die beiden Mittvierziger zur Genüge: Sie lernten sich vor etwa fünfzehn Jahren als Volontäre der Frankfurter Verlagsanstalt kennen. Keck ist inzwischen Geschäftsführer der Digitalagentur juni.com. Claßen war Lektor bei Suhrkamp und zuletzt Programmleiter bei dtv. Während der Corona-Pandemie verdichtete sich bei den Freunden das Gefühl: Die Zeit ist reif für Neues. "Ein großer Befreiungsakt", so nennt Claßen das Gemeinschaftsprojekt.

Literatur und Ökologie: Freunde und neuerdings auch Geschäftspartner: Florian Keck (links) und Lars Claßen.

Freunde und neuerdings auch Geschäftspartner: Florian Keck (links) und Lars Claßen.

(Foto: Nina Rühr / Sinn Media)

Begriffe wie Freiheit und Offenheit fallen im Gespräch immer wieder. Dazu gehört die Freiheit, sich als "aktive Väter" Zeit für die Kinder zu nehmen; dazu gehört für Claßen auch die Befreiung von der - nicht nur von Nobelpreisträgerin Annie Ernaux beschriebenen - Scham, aus keiner bildungsbürgerlichen Familie zu stammen und das im Branchenalltag ständig "überzukompensieren". Ihm und seinem Verlagspartner geht es daher eben nicht um elitäre Abgrenzung, sondern um Verbindung. "Anspruchsvoll, aber nicht abgehoben", so beschreiben sie ihr Programm. Stärken wollen sie aber nicht nur die Verbindungen zu Leserinnen und Lesern - sondern auch zu denen, die diese Bücher schreiben oder herstellen.

Denn der Gedanke eines sozialen Miteinanders ist den Gründern wichtig. Was das konkret bedeutet? Alle Autorinnen und Autoren erhalten die gleiche Beteiligung, zwölf Prozent etwa bei Hardcovern, mehr als branchenüblich. Übersetzer werden als Urheber auf dem Cover genannt. Auch bei Preisverhandlungen mit Dienstleistern aller Art heißt die Devise: "kein Kampf, sondern Kooperation". Das fühle sich für alle Beteiligten sehr viel besser an, sagt Claßen.

Ehrgeizige Ziele schließt das nicht aus: Schließlich geht es den Verlegern nicht nur um soziale, sondern auch ökologische Nachhaltigkeit. Das fängt damit an, dass sie mit Geräten arbeiten, die refurbished sind, klimaneutral über den Mobilfunkanbieter WEtell telefonieren und Finanzielles über die Gemeinschaftsbank GLS abwickeln. Und es endet nicht bei der Herstellung der Bücher: Mit der Partnerdruckerei Gugler produziert Kjona das gesamte Programm im Cradle-to-Cradle-Verfahren - mit Schriften, die weniger Tinte verbrauchen; mit Papier, das endlos wiederverwendbar und rückstandsfrei kompostierbar ist. Wenn man ein Buch nicht aufheben oder verschenken will, könnte man es also theoretisch im Erdreich verbuddeln. Es dauere zwar eine Weile, so Claßen, doch dann werde es "komplett zu Erde und irgendwann zu Humus für den nächsten Baum. Schadstofffrei."

Klingt gut - aber gibt es nicht längst Verlage, die Ähnliches versuchen, zum Beispiel Oekom in München? "Ein Pionier", sagt Claßen wertschätzend und stellt klar: "Wir sind weder die Einzigen noch die Ersten." Zwar verfährt man teils unterschiedlich, Oekom etwa setzt auf zertifiziertes Recyclingpapier, doch da gebe es verschiedene Philosophien, so Claßen. Anders als Oekom beschäftigt sich Kjona allerdings nicht inhaltlich mit Nachhaltigkeitsthemen, "wir sind keine Umweltaktivisten". Kjona ist sozusagen ein ganz normaler Verlag für Literatur und Sachbuch, der seine Bücher nur eben rundum sozial-ökologisch verträglich herstellen will. In diesem Bereich mache das bisher kein anderer Verlag so konsequent, sagt Claßen.

"Wir wollen einen nachhaltigen Verlag wirtschaftlich tragfähig machen"

Mit Kjona will man "Präzedenzfälle schaffen" in einer Branche, die laut Claßen insgesamt ein "Glaubwürdigkeitsproblem" hat: "Das Kulturgut Buch ist eigentlich zum Wegwerfprodukt geschrumpft." Umso mehr freut er sich über viel Offenheit für seine Anliegen, zum Beispiel beim Hanser Verlag, der den Vertrieb übernimmt: Dort gebe es seit der Kooperation eine Stabsstelle Nachhaltigkeit. Und wenn sich jetzt jemand fragt, wie sich all dieser Idealismus rechnen soll: Kjona ist kein Non-Profit-Unternehmen, wie Claßen betont: "Wir wollen einen nachhaltigen Verlag wirtschaftlich tragfähig machen." Im Verlag steckten Eigenkapital und ein Kredit der GLS-Bank. Man habe "sehr viel gerechnet" und lasse manches weg, Bezahlwerbung etwa. Doch auch wenn ein kleines Programm mit nur wenigen Titeln geplant ist, die eine "unruhige Sensibilität für die Gegenwart" vereint: Verkaufen müssten sich die Bücher schon.

Beim ersten Programm hoffen die Verleger daher unter anderem auf die Überzeugungskraft von Pulitzer-Preisträgerin Isabel Wilkerson, die im Sachbuch "Kaste" über die "Ursprünge unseres Unbehagens" schreibt. Mit schmalen Bänden von Linus Giese und Markus Gabriel soll eine Reihe mit "Visionen für die Zukunft" starten - in Briefform. Und man setzt, mit einer Startauflage von immerhin 8000 Exemplaren, auf die erwähnte us-amerikanische Autorin Dana Spiotta und ihren Roman "Unberechenbar".

Spiottas Hauptfigur Sam wird von den Entwicklungen der Trump-Ära ebenso durchgeschüttelt wie von einem unbefriedigenden Familienleben und den Wechseljahren. Ihr "Bedürfnis, sich Konventionen zu widersetzen", wird immer dringlicher. Spontan kauft sie ein marodes Haus: "Nur für Unerschrockene", steht in der Anzeige. Einfacher macht die Entscheidung ihr Leben nicht, doch sie verleiht ihr "eine große Klarheit. Einen Sinn." Kurzum: Hier nimmt sich eine Frau die Freiheit, zu tun, was sie für richtig hält. Und wirkt damit wie eine Seelenverwandte der Kjona-Gründer: Zwei Freunde sollt ihr sein, auf dem Sprung ins Offene.

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