Kirchenmusik:Dorisch, phrygisch, mixolydisch

Kirchenmusik: Stephan Zippe arbeitet an einer der Schaltstellen der katholischen Kirche. Der laufen ja nicht nur die Gläubigen in Scharen davon, auch der Stab der Mitarbeiter, vom Diakon bis zum Organisten, nimmt schwer ab.

Stephan Zippe arbeitet an einer der Schaltstellen der katholischen Kirche. Der laufen ja nicht nur die Gläubigen in Scharen davon, auch der Stab der Mitarbeiter, vom Diakon bis zum Organisten, nimmt schwer ab.

(Foto: Stephan Rumpf)

Der neue Musikdirektor der Diözese München-Freising hat ein schweres Amt übernommen, nicht nur wegen der komplexen Kirchen-Tonarten. Stephan Zippe muss junge Menschen für Choräle begeistern und die Gesangskompetenz der Gläubigen fördern. Wie macht er das?

Von Karl Forster

Wie von Engeln gesungen schwebt die Melodie durchs barocke Kirchenschiff. Getragen allein vom Klang der mönchischen Stimmen. Ohne Rhythmus, ohne harmonische Begleitung, trotzdem in wunderbarer, wie von höherer Macht getragener Einheit. Musik aus einer fernen Zeit, und doch so gegenwärtig und in einer weiten Zukunft verklingend. Vor weit mehr als tausend Jahren schon fanden Benediktiner-Mönche zu diesem Gesang, der als Grundlage allen musikalischen Schaffens in Europa und darüber hinaus gilt. Und der bis heute nichts von seiner Faszination verloren hat, wofür als Beleg die Charts der Neunzigerjahre herhalten können: Man schrieb das Jahr 1994, als die CD "Chant", eingesungen von den Mönchen der spanischen Benediktinerabtei Santo Domingo de Silos, 53 Wochen in den US-Billboards Hot 100 verzeichnet und mit dreimal Platin ausgezeichnet worden war. Der Pflege dieses gregorianischen Chorals hat sich der gebürtige Amberger Stephan Zippe verschrieben, der seit September das Amt des Musikdirektors der Diözese München-Freising bekleidet.

Es könnte also sein, dass im Wirkungskreis von Stephan Zippe diese archaische und doch ewig junge Art des Musizierens eine Art Renaissance erlebt. Mit all ihren Feinheiten der Kirchentonarten von dorisch über phrygisch bis mixolydisch, was der Laie nicht verstehen muss. Er sollte, so Zippes Wunsch, nur auch lernen, die einfacheren Melodiebögen wieder mitzusingen. Ein frommer Wunsch. Denn der Oberpfälzer mit Wahlheimat Germering verweist im Gespräch dezent, aber bestimmt darauf, dass der gregorianische Choral im aktuellen Gesangbuch der Katholiken, dem "Gottes Lob", leider allzu sehr vernachlässigt worden sei. Der Name übrigens verweist auf Papst Gregor den Großen, der schon im sechsten Jahrhundert begann, diese Musik, die sich aus den Kulturen Palästinas, Griechenlands, Syriens und Roms speiste, zusammenzuführen.

Stephan Zippe muss, das sieht man auf diversen Fotos, seinen Körper fast ein bisschenzusammenfalten, wenn er an der Orgel sitzt. Er hat Basketballergröße. Und eine leise, aber sehr bestimmte Art zu sprechen, wie ein Mensch, der weiß, dass er vieles in seinem Leben wohl richtig gemacht hat, was zu innerer Ruhe genauso führt wie zu einem gewissen Maß an Selbstsicherheit. Stephan Zippe erzählt im nüchternen Besprechungsraum des diözesaneigenen Gebäudes am Marienhof von seinem Leben, vom Großonkel etwa, der Pfarrer war und ihn früh an die Orgel geführt hat, vom Musiklehrer am Amberger Max-Reger-Gymnasium, der ebenfalls prächtig die Orgel zu schlagen wusste. All das schildert er in so ruhiger, abgeklärter Weise, dass man auf den Gedanken kommt, dieser Mann habe ganz offenbar nie an einer schwierigen Lebensweg-Gabelung gestanden. Klassische Musik, sagt Zippe, habe immer schon zu seinem Leben gehört. Entscheidend sei wohl ein kurzer Aufenthalt in Regensburg gewesen, wo einer seiner Lehrer "so viel Begeisterung für den gregorianischen Choral ausgestrahlt hat, dass ich mich dafür zu interessieren begann", erinnert sich Zippe.

Zwei kleine Ausrutscher auf dem Weg zum Kirchenmusiker gibt Zippe dann en passant zu; zum einen habe er zunächst gedacht, später Mathe und Physik studieren zu wollen; zum anderen habe ihn damals, also vor etwa 30 Jahren, ein Konzert der Ersten Allgemeinen Verunsicherung schon sehr begeistert. Trotzdem: Eine Abzweigung in Richtung Popmusik tat sich ihm nicht auf. Und in der Kollegstufe verfestigte sich dann der Gedanke: Nicht die Mathematik, sondern die Musik sollte sein Leben künftig bestimmen. Und da vor allem die Gregorianik, auch wenn im weiten Umkreis von Amberg kein Kloster steht, das mit seinen Chorälen als Ansporn dafür hätte dienen können.

Musik also. Das hieß: üben, üben, üben. Beethovensonaten rauf und runter für die Aufnahmeprüfung an der Musikhochschule. Und weiter während des Studiums Klavier, Orgel, Gesang. Auch Komposition, denn gerade in der Kirchenmusik lebt die Moderne. Man denke nur an das mittelalterliche Gedicht "Stabat Mater", einst Teil des gregorianischen Kanons, heute unter anderem von Arvo Pärt oder Wolfgang Rihm in neue Musik gefasst.

Mittlerweile steht Zippe längst selber auf der Liste der Lehrenden an der Münchner Musikhochschule, an vorletzter Stelle zwar, aber das ist nur dem Anfangsbuchstaben seines Namens geschuldet. Er lehrt dort als Professor für Gregorianik und deutschen Liturgiegesang. Sein Hauptberuf als Diözesanmusikdirektor hat zwar weit weniger direkt mit Musik zu tun als es Zippe vorher in der Kirche von Moosburg erlaubt war. Aber dafür arbeitet er an einer der existenziellen Schaltstellen der katholischen Kirche. Der laufen ja nicht nur die Gläubigen in Scharen davon, auch der Stab der Mitarbeiter, vom Diakon bis eben zum Organisten, nimmt schwer ab. "Den Lehrer, der zu seinem Beruf dann sonntags an der Orgel sitzt, den gibt es nicht mehr", sagt Zippe. Und so gilt seine Sorge vor allem der Nachwuchsausbildung. Und der Verbreiterung des musikalisch-liturgischen Angebots für den Rest der Gläubigen. Es sei deshalb eine wichtige und schwierige Aufgabe, "junge Leute an die geistliche Musik heranzuführen".

Das ist leichter gesagt als getan. Was schon daran liegt, dass häusliches Musizieren, ob an Klavier oder Geige, heute nicht mehr üblich ist. Zippe setzt hier auf die Ausbildung junger Kantoren, vor allem aber auf "niederschwellige Angebote" und "neue Felder". Wenn also im Kirchenschiff ein elektronischer Choral-Loop erklingt, wäre das sehr in Zippes Sinne. Man muss ja nicht gleich das Evangelium rappen.

Musikdirektor Zippe genießt zwar ein seltenes Privileg, den arbeitsfreien Montag, der es dem 48-Jährigen erlaubt, einer freizeitlichen Leidenschaft nachzugehen: dem Bergsteigen, ob im Karwendel, im Wettersteingebirge oder in Tirol. Allerdings liebt seine Frau, ebenfalls Kirchenmusikerin, mit der und den beiden Töchtern er schon seit vielen Jahren in Germering lebt, eher das Meer, was für einen Bergsteiger dann eher weit weg ist.

Apropos Germering. Dort lebte ja bis zu seinem Tod 2013, der legendäre Domorganist Franz Lehrndorfer. Stephan Zippe, der im Gespräch sonst zu eher emotionsarmer Sachlichkeit neigt, fängt bei der Nennung des Namens Lehrndorfer an zu lächeln und erzählt mit Begeisterung, dass jene Orgel, die in des einstigen Domorganisten Germeringer Keller installiert war, von der Witwe an das Bistum Eichstätt verschenkt worden sei, wo sie in Ehren gehalten wird.

Eichstätt ist auch ein Ort, an dem der gregorianische Choral sehr gepflegt wird. Das dortige Amt für Kirchenmusik bietet sogar Aufbaukurse in dieser wunderschönen Disziplin. Eine Aufgabe, die auch der Diözesankirchenmusikdirektor Zippe in sein Portfolio notieren möchte. Mit gutem Grund: "Ich fühle die Nähe Gottes", steht als Kommentar auf Youtube unter einer Aufnahme von "Chant" der spanischen Benediktiner. Solches sollten, so versteht man die Intention von Stephan Zippe, auch die ihm verantworteten Gläubigen fühlen.

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