Süddeutsche Zeitung

Schwanthalerhöhe:Kirchenglocke reißt Anwohner aus dem Schlaf

  • Eine der vier Glocken von St. Benedikt im Westend hörte in der Nacht zum Sonntag nicht mehr auf zu schlagen.
  • Jetzt bleibt in der Kirche der Strom abgeschaltet, weil die Ursache der technischen Störung noch nicht gefunden ist.

Von Andrea Schlaier, Schwanthalerhöhe

Nhu-Binh Tran ist gerade im ersten Schlaf. Es ist kurz nach 23 Uhr in der Nacht von Samstag auf Sonntag. "Ich bin aufgewacht, weil ich einen Ton gehört hab', der nicht mehr aufhören wollte," erzählt der 45-Jährige. Den Klang kennt er. "Ich wusste gleich, dass es eine unserer beiden Kirchen im Pfarrverband sein muss, St. Rupert oder St. Benedikt." Aber Dauergeläut mitten in der Nacht? Nhu-Binh Tran zog sich an und eilte auf die Straße. Weil die Wohnung seiner Familie ziemlich genau in der Mitte zwischen beiden Gotteshäusern liegt, hörte er erst hier, woher das nicht enden wollende Gebimmel kommt. "Es war meine Kirche, St. Benedikt". Hier ist der gebürtige Vietnamese seit 15 Jahren Mesner.

Es ist Montagvormittag, Tran steht mit schwarzem Daunen-Anorak und grüner Outdoor-Hose, von der etliche der aufgenähten Taschen prall gefüllt sind, in der Sakristei von St. Benedikt und erzählt von seinem Einsatz kurz vor Mitternacht am Samstag. Die Zeit, als eine der vier Glocken von St. Benedikt über eine Stunde lang keine Ruhe mehr geben wollte und damit wohl nicht wenige im Westend aus dem Schlaf gerissen hat.

Als Tran die Kirchenpforte erreichte, waren schon ein paar Nachbarn da, erinnert er sich. Die einen genervt vom nicht enden wollenden Gebimmel, andere mutmaßten, ob einer der beiden Päpste gestorben und deshalb spontanes Trauergeläut angesetzt worden sei. Mit dem ihm eigenen freundlichen Lächeln schüttelt der Mesner den Kopf. "Es war nur eine technische Störung. Das tut uns leid und dafür wollen wir uns und auch ich mich persönlich bei allen im Westend entschuldigen!"

In der Sakristei, wo den Kirchenmitarbeiter sein erster Weg in der Nacht hingeführt hat, zieht sich unter einem großen hölzernen Kruzifix eine Lichtleiste. Hier lassen sich per Knopfdruck die Glocken ausschalten. "Das hab' ich gemacht, hat aber nicht funktioniert", schildert der Mesner. Gleich daneben hängt der Sicherungskasten, mit dem der Strom für den ganzen Kircheninnenraum gesteuert wird, Altar, Steckdosen, Beleuchtung. "Schauen Sie", sagt der freundliche und immerzu wohlwollend lächelnde Herr Tran, "dann hab' ich den Hebel umgedreht." In der Sakristei gehen plötzlich sämtliche Lichter aus. "Ich habe gelauscht, alles war dunkel, aber die Glocken haben weiter geläutet."

Der 45-Jährige nimmt seinen großen Schlüsselbund vom Tisch. "Kommen Sie mit!" Er öffnet eine Holztür und steigt eine schmale, gewendelte Treppe in den Keller. "Sehen Sie, da ist der Hauptverteiler, da hängt das komplette Haus dran." Auch hier dreht er den Schalter um. "Ich habe gelauscht und nach ein paar Minuten gemerkt, wie es leiser und leiser wird. Nach dem Ausschalten schwingt die Glocke ja immer noch weiter." Geschafft! Auch wenn er die ganze Zeit über nicht in Panik gewesen sei, so ein Sturmläuten im Ohr macht nicht zwangsläufig ruhiger.

Am Sonntagmorgen ist Tran in Begleitung weiterer Kirchenmitarbeiter von der Empore aus zum Glockenturm, um hier noch die Läutwerk-Sicherung rauszudrehen. An diesem Montagmorgen führt er auch den Besuch in diese kalte Nische, wo sich die Elektrik über Putz windet. Von dort führen 78 steile, enge Stufen geradewegs in den Turm der 1881 errichteten Kirche, die zwar im Zweiten Weltkrieg erheblich zerstört wurde - nicht aber dieser Teil des Bauwerks. Ganz oben hängt stumm das vierstimmige Bronzegeläut. "Mariens mächtige Mutterhand schirm Kirche, Staat und Vaterland", ruft Tran seinem Gast ein paar Stufen weiter unten zu. Die Marienglocke der Erdinger Gießerei Karl Czudnochowsky, die hier seit 1957 schwingt, sei wohl die Übeltäterin gewesen, die keine Ruhe gegeben hat.

Als Tran für den Gottesdienst der vietnamesischen Gemeinde den Strom am Sonntag vorübergehend einschaltete, sei sie plötzlich wieder losgegangen, "Punkt 11 Uhr". Das sei schon fast unheimlich gewesen. Seither ist alles wieder abgeschaltet. Nur die extra getaktete Kirchturmuhr schlägt jede Viertelstunde. Die Sachverständigen einer Regensburger Spezialfirma sind bereits informiert und werden wohl in den nächsten Tagen genau erkunden, sagt der Mesner, was nun das nächtliche Sturmläuten ausgelöst hat.

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Quelle:
SZ vom 15.01.2019/kaal
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