Kirche in Freiham:"Kirche ist mehr als ein Haus"

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Die evangelische Gemeinde hat im neuen Stadtteil Freiham kein eigenes Gebäude. Die Pfarrer und andere aktive Christen wollen den Glauben mit vielfältigen Aktionen in den Alltag tragen

Von Ellen Draxel, Freiham

Die Wiese ist bunt gewürfelt. 10 000 Legosteine haben Li-Anne und Stefan Höß für Kinder auf der Rasenfläche im Freihamer Grünband verteilt, Anregungen zum kreativen Bauen und Spielen inbegriffen. Mitmachen kann zwar nicht jeder, der vorbeikommt - es ist eine Aktion unter Corona-Auflagen, eine bestimmte Anzahl an Kindern darf nicht überschritten werden. Ins Gespräch kommen ist aber dennoch möglich. Das ist auch das Ziel des Events: Nachbarn kennenlernen, offen sein für andere, Kontakte knüpfen.

Die Kinder spielen Lego, die Eltern lernen sich kennen: Noch zweimal organisiert die Familie Höß Treffen für Freihams neue Bewohner. (Foto: Stephan Rumpf)

An vier Samstagvormittagen in den Ferien, jetzt noch am 28. August und 11. September von 9 bis 11 Uhr, bietet die Familie Höß diese Bausteine-Welt beim Basketballfeld nahe der Grundschule an der Gustl-Bayrhammer-Straße an. "Freiham ist eine Baustelle, und unsere beiden Töchter spielen gerne Lego. Da lag dieses Projekt nahe." Li-Anne und Stefan Höß sind Christen. Sie gehören der evangelischen Gemeinde an und wollen für zwei Gruppierungen innerhalb der Landeskirche, den Hensoltshöher Gemeinschaftsverband und die Marburger Mission, in Freiham aktiv werden. Seelsorger sind die beiden aber nicht - diesen Part übernehmen auch in Freiham Pfarrer. Und die kommen aus der evangelisch-lutherischen Adventskirche: Kaitia Frey, Christine Untch und Michael Bischoff.

Um Gemeinschaft geht es Kaitia Frey, der Pfarramtsleiterin der Adventskirche, und Stefan Höß, der dem Hensoltshöher Gemeinschaftsverband und der Marburger Mission innerhalb der evangelischen Landeskirche angehört. (Foto: Robert Haas)

"Uns ist es als Volkskirche wichtig, integrativ in alle gesellschaftlichen Schichten hineinzuwirken", sagt Bischoff. Die Landeskirche habe die Familie Höß nicht nach Freiham geschickt, betont er. Aber gelebter Glaube in Form von Toleranz und einem harmonischen Miteinander, wie ihn die Familie Höß praktiziere, sei eine "Bereicherung" für die Kirche. "Wir sehen Stefan und Li-Anne Höß daher als Partner."

Denn in Freiham, ergänzt Kaitia Frey, müsse Kirche "implizit" gelebt werden. "Wir haben in Freiham als evangelische Kirche kein Gebäude", erklärt die Pfarramtsleiterin der Adventskirche. "Kirche", betont sie, "ist aber mehr als ein Haus. Kirche ist Gemeinschaft". Die klassischen Standbeine der evangelischen Kirche wie Gottesdienst, Religionsunterricht und Seelsorge wollen Frey, Untch und Bischoff zwar auch in Freiham praktizieren. Aber eben in alternativer Form. "Radtouren zum Gut Streiflach verbunden mit einem Familiengottesdienst zum Beispiel könnten wir uns gut vorstellen", sagt Pfarrerin Frey. Oder Schulgottesdienste auf dem Bildungscampus. Möglich sei auch eine Zusammenarbeit mit der Schulsozialarbeit dort. "Ein Lauftreff, Mutter-Kind-Spielgruppen, Hausaufgabenbetreuung - auf den ersten Blick haben all diese Angebote nichts mit Kirche zu tun", so Frey. "Und dennoch implizieren sie dieselben Werte."

Noch wüssten sie und ihre Kollegen nicht genau, wohin der Weg in Freiham sie führt. Zumal die Adventskirche eine Gratwanderung zu beschreiten hat: Sie muss Neuzugezogene in Freiham ansprechen, darf dabei aber die Alteingesessenen in Neuaubing nicht vergessen. "Erst einmal müssen wir schauen, was braucht es, welche Bedürfnisse haben die Menschen", betont Frey. Danach werde - in vielen Fällen sicherlich ökumenisch - gehandelt.

Stefan Höß jedenfalls, der zehn Jahre mit seiner Frau in Thailand gelebt hat, freut sich schon sehr auf gemeinsame Aktivitäten mit der Adventskirche und mit Pastoralreferent Johannes van Kruijsbergen vom katholischen Pfarrverband München-West. Den bereits geplanten Martinsumzug durch den neuen Stadtteil im November etwa. Freiham ist für das Theologen-Ehepaar Höß ein Paradebeispiel für Diversität, für Aufbruchstimmung und Internationalität. Hier, davon sind die beiden überzeugt, könne auch mal Neues gewagt werden, sei Kirche vielleicht flexibler und beweglicher denkbar als anderswo. "Wir wollen den Glauben in den Alltag bringen. Ins Wohnzimmer, auf die Picknickdecke." Beim "projekt:k", der Kirche für Freiham, wie sie sie sich vorstellen, "kann jeder mitmachen, jeder kann sie mitgestalten". Vor ein paar Tagen führte Stefan Höß ein langes Gespräch mit einer Muslimin auf einem Spielplatz. Es ging dabei um Meditation, um religiöse Gewohnheiten. Nicht ums Bekehren. "Es wäre doch cool", sagt er, "wenn Angehörige aller Religionen offen aufeinander zugehen könnten. So offen, dass sie voneinander lernen". Der Freiham Folly, das Wahrzeichen des neuen Stadtteils in Form einer Mischung aus orientalischem Minarett und oberbayerischem Zwiebel-Kirchturm, stehe genau dafür.

© SZ vom 25.08.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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