Süddeutsche Zeitung

Kioske in München:Spätverkäufer an der Isar

In München gibt es keine Kioske? Von wegen. Manche bieten bis zu 200 Biersorten und 23 Stunden Betrieb, andere setzen auf Ökoessen. Und fast alle unterliegen ziemlich kuriosen Regeln.

Von Fabian Trau

André Löwig macht jetzt dicht. Bis Oktober wird er sein "Standl" an der Wittelsbacher Brücke noch betreiben, dann reicht es ihm. Zu viele Bänke und Tische habe der 54-Jährige vor dem Kiosk aufgestellt, moniert die Stadt. Die Regentonne sei auch nicht genehmigt.

Dabei habe er nicht einmal fließend Wasser in der Hütte, klagt der Kioskbetreiber. Seit langem verstößt er gegen Auflagen der Stadt, viele Bußgelder musste er deshalb schon bezahlen. Seit neun Jahren betreibt er den Kiosk in den Isarauen. Ohne die zusätzlichen Stühle und Bänke könne er nicht vernünftig wirtschaften, so seine Argumentation.

André Löwig macht also - wenn Baureferat, Untere Naturschutzbehörde und Bezirksausschuss nicht doch noch eine Lösung für ihn finden - erst einmal Schluss. Andere Münchner Kioskbesitzer machen weiter. Gerade das strenge Ladenschlussgesetz und damit der Verkauf nach 20 Uhr bereitet vielen große Probleme.

Das Gesetz ist in Bayern streng und eine rechtliche Grundlage für den "Spätverkauf" gibt es eigentlich auch nicht. Es gibt aber einen Ausweg. Viele Kioskbesitzer nutzen gesetzliche Schlupflöcher, um auch nachts für Kunden da zu sein. Einige Kioske haben damit in München bereits Kultstatus.

"Eine Cola, eine Spezi und eine Packung Kaugummi bitte", sagt ein älterer Herr mit gepflegtem Aussehen durch die Öffnung des Kioskes an der Reichenbachbrücke. Der Verkäufer stellt die Ware ohne ein Wort zu verlieren auf den Tresen. Geld wechselt die Hände, der ältere Herr verschwindet nach einem flüchtigen Tschüss. "Der Nächste bitte." Auch um 12 Uhr Mittags an einem Wochentag ist hier viel los, nicht nur am Wochenende, wenn die Isarbesucher kühles Bier brauchen.

Topseller sind Schnitzel- und Bratwurstsemmeln

1,80 Euro kostet hier die Halbe Bier. Geöffnet hat der Kiosk 23 Stunden am Tag. "Am meisten los ist zwischen sechs und 10 Uhr und zwischen 17 und 20 Uhr", weiß Harald Guzahn, der Betreiber des Kioskes. Mehr als 2200 Artikel hat der Kiosk im Sortiment. Dazu zählen unter anderem 200 verschiedene Biersorten, wie Guzahn betont. Das teuerste, das Mississippi Mud, kostet schlappe 17,80 Euro. Die "Topseller" seien trotzdem die Schnitzel- und die Bratwurstsemmel.

Harald Guzahn hat kein spezielles Klientel. An seinem Kiosk stehen alle an, die es eilig haben oder die Öffnungszeiten der Supermärkte verpasst haben. Für viele ist es ein Glücksfall, dass es diese kleinen Lädchen gibt und dass sie so lange offen haben. Um das Ladenschlussgesetz zu umgehen, hilft den Kioskbesitzern dabei eine gesetzliche Spitzfindigkeit.

Als Kiosk versteht die Stadt einen Laden, den der Kunde nicht betreten darf und der seine Waren direkt "auf die Straße" verkauft. Ungefähr 50 dieser kleinen Läden gibt es in der Innenstadt nach Angaben des Kreisverwaltungsreferates. Eine allgemein gültige rechtliche Definition, was ein Kiosk ist, gibt es aber nicht. So betreibt jedes Geschäft, das Produkte verkauft, in erster Linie ein Gewerbe. Sobald das Ladenschlussgesetz greift, also nach 20 Uhr, dürfte der Kiosk eigentlich nichts mehr verkaufen, wenn es nicht den zweiten Paragrafen des Gaststättengesetzes gäbe.

Gaststätten benötigen keine Konzession, wenn sie lediglich fertige Speisen, Tabak- und Süßwaren sowie alkoholfreie Getränke anbieten. Beim Flaschenbier macht Bayern eine Ausnahme, weil es im Gesetz als Grundnahrungsmittel definiert ist. Da die Stadt den Verkauf also nicht erlauben muss, wechseln viele Kioske um 20 Uhr ihren Status: von einem Geschäft zu einer Gaststätte ohne Konzession.

Damit gilt für sie nicht mehr das Ladenschlussgesetz, sondern die Sperrzeit von fünf bis sechs Uhr morgens. Allerdings haben diese sogenannten erlaubnisfreien Gaststätten keine Ausschanklizenz. Deshalb gibt es an den meisten Münchner Kiosken nach 20 Uhr nur Flaschenbier, das man sich auch selbst aufmachen muss. Wenn der Kioskbesitzer seinen Kunden entgegenkommen will, indem er das Bier öffnet, so macht er sich strafbar. Das wäre dann Ausschank.

Kiosk in einem alten Toilettenhäuschen

Henning Dürr kann über solche Probleme nur schmunzeln. Es gibt nämlich auch eine andere Lösung für das Problem mit dem Ladenschlussgesetz. Er hat eine Ausschanklizenz bei der Stadt beantragt und betreibt damit rein rechtlich eine vollwertige Gaststätte. Die damit verbundenen Kosten und hohen Auflagen von Seiten der Stadt nimmt er in Kauf. So muss er seinen Kunden unter anderem eine Toilette zur Verfügung stellen, was allerdings das geringste Problem darstellt, sagt er. Schließlich befindet sich sein Kiosk in einem alten Toilettenhäuschen. "Fräulein Grüneis" heißt der Szenekiosk im Englischen Garten an der Lerchenfeldstraße, den Dürr mit seiner Frau betreibt.

Im Gegensatz zum Kiosk an der Reichenbachbrücke holen sich die Kunden hier seltener ein Bier zum Mitnehmen. Viele nehmen sich die Zeit, um es sich auf den Bänken vor dem Kiosk gemütlich zu machen. Aus dem Kiosk schallt Popmusik. Hier sollen sich die Kunden vor allem wohlfühlen.

"Wir sind nicht zu langsam, ihr seid nur zu viele"

Vor der kleinen Hütte sitzen junge Mütter mit Kinderwägen, Eisbach-Surfer und Schlipsträger. Im Inneren dominiert eine riesige Espressomaschine die Theke. Hinter ihr klärt eine Kreidetafel die Kunden über das Tagesangebot auf: Zucchini-Kichererbsen-Limettensuppe mit Sauerrahm und Vollkornbrot für 4,80 Euro. Vor der Theke steht eine Eistruhe. Die Kunden füllen den restlichen Raum. An der Theke die Aufschrift: "Wir sind nicht zu langsam, ihr seid nur zu viele."

Der Laden brummt. Es gibt alkoholische Getränke, Limos, Kaffee und einfache Speisen. Kein Fastfood wie bei anderen Kiosken, sondern "Slowfood", wie Betreiberin Sandra Dürr betont. Die Speisen werden aus regionalen und Bio-Produkten zubereitet. Auf der hauseigenen Webseite nennt sich der Laden "Der Kiosk am Eisbach".

Aber ist er wirklich einer? Henning Dürr winkt ab: "Eigentlich sind wir gar kein Kiosk. Ja, wir haben Zigaretten und Süßigkeiten im Angebot, aber wir sind dann schon eher ein Café." Das passt auch zu den Preisen. Die Halbe kostet hier 2,80 Euro. Aufmachen dürfen die Dürrs ihren Kunden das Bier aber auch nach 20 Uhr. Dank Ausschanklizenz.

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Quelle:
SZ vom 20.08.2014/amm
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