Doku über Schauspieler:"Dass Lars so polarisiert, ist natürlich auch ein Grund, warum ich den Film gemacht habe"

Lesezeit: 4 Min.

Im Film "Sein oder nicht Sein" sind die verschiedensten Facetten von Schauspieler Lars Eidinger zu sehen. (Foto: Klara Leschanz)

Reiner Holzemer dreht seit vielen Jahren Filme, meist über männliche Modedesigner oder Fotografen. In seiner neuen Kinodoku geht es um Lars Eidinger. Warum die Arbeit mit dem Berliner Schauspieler so besonders war.

Von Josef Grübl

Die Frage, ob es seines ist oder nicht, beantwortet sich an der Tür. An ihr hängt ein großes Plakat, "Lars Eidinger - Sein oder nicht Sein" steht groß darauf. Und etwas kleiner darunter: "Ein Film von Reiner Holzemer". Hier ist man also richtig. Der Filmemacher hat seine Firmenräume in der Isarvorstadt, in einem modernen Wohn- und Geschäftshaus. Dort hat man sich an diesem stürmischen Märztag mit ihm verabredet, das Filmplakat weist den Weg.

Der Münchner dreht seit vielen Jahren Künstlerporträts, fast ausschließlich über Männer, meist sind es Modedesigner oder Fotografen. Jetzt kommt ein Film über einen Schauspieler hinzu, Kinostart der Eidinger-Doku ist am 23. März. Die beiden werden ihren Film in mehreren Städten vorstellen. Das Interesse ist groß, viele Vorstellungen der Kinotour sind schon ausverkauft. Auch für die Premiere am 22. März im Münchner City-Kino gab es zuletzt nur noch ein paar Restkarten, deshalb schauen der Star und sein Regisseur am selben Abend noch bei einer Vorabaufführung im Rio Filmpalast vorbei.

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Wieso aber interessieren sich so viele Menschen für einen Film, der einen Schauspieler bei der Arbeit zeigt? Der nicht voyeuristisch oder sensationslüstern ist, sondern Eidinger zu den "Jedermann"-Proben in Salzburg begleitet, beim Besuch seiner alten Schauspielschule, an der Schaubühne in Berlin oder bei Dreharbeiten mit Olivier Assayas in Paris? Das liegt wohl an der öffentlichen Figur Lars Eidinger: Der gebürtige Berliner ist einer der besten Schauspieler des Landes, er spielt Theater ("Hamlet", "Richard III.") und in Filmen oder Serien ("25 km/h", "Babylon Berlin"), er tritt als DJ auf oder in Deichkind-Videos, er macht Fotos oder posiert für die One-Minute-Sculptures von Erwin Wurm.

Kurzum: Er macht ziemlich viel und wird dafür geliebt, gelobt und gefeiert - aber auch attackiert und angefeindet. An Lars Eidinger scheiden sich die Geister, nur kalt lässt er kaum jemanden. Reiner Holzemer sagt dazu: "Dass Lars so polarisiert, ist natürlich auch ein Grund, warum ich den Film gemacht habe." Er habe ihn ein paar Mal auf dem roten Teppich der Berlinale beobachtet und sympathisch gefunden. An einen Film dachte er da noch nicht.

Doch dann kam Corona. Holzemers Kinofilm über den belgischen Modedesigner Martin Margiela feierte Ende 2019 Premiere in New York und sollte im Jahr darauf weltweit in den Kinos anlaufen. Diese waren aber ab März geschlossen, auch Filmfestivals konnten nicht in gewohnter Form stattfinden. "Nach dieser traumatischen Erfahrung wollte ich einen Film machen, für den ich nicht in den Flieger steigen musste", erzählt er. Lars Eidinger war im Sommer 2021 bei den Salzburger Festspielen der neue Jedermann, der Münchner Dokumentarfilmer begleitete ihn monatelang mit der Kamera.

Filmemacher Reiner Holzemer mit Lars Eidinger bei den Filmaufnahmen. (Foto: Reiner Holzemer Film/Matthias Horn)

Hinter Holzemers Bürostuhl stehen gerahmte Plakate der Filme über die Modevisionäre Dries van Noten und Martin Margiela, beide liefen gut (sogar trotz pandemischer Einschränkungen), sie sind seine Aushängeschilder. Als Modefilmer sehe er sich trotzdem nicht: "Mein Thema ist das Porträt", sagt er. Er hat Filme über Fotografen wie Anton Corbijn, William Eggleston, Walker Evans oder August Sander gemacht; bei den Dreharbeiten zu einer Doku über Juergen Teller begleitete er diesen zu einem Fotoshooting mit Dries van Noten. So habe das mit den Modefilmen angefangen, sagt er. "Meine Intention ist eigentlich immer, etwas über den Menschen zu erzählen und den Beruf, den er ausübt." Dabei wolle er "von innen heraus beobachten", seine Protagonisten also auch hinter die Kulissen begleiten, in Fotostudios, Ateliers oder Probenräume.

Reiner Holzemer mag die Künstler, die er porträtiert. Sympathie sei wichtig, sagt er; seiner Rolle ist er sich bewusst. "Ich bin kein Fan, ich bin Dokumentarist." Gegen Vorwürfe, seine Filme seien distanzlos oder gar unkritisch, wehrt er sich. Als Filmemacher hat er eine Verantwortung; sein Publikum sieht er als erwachsen genug, um sich ein eigenes Bild zu machen. Geboren wurde der Filmemacher 1958 in der unterfränkischen Kleinstadt Gemünden, studiert hat er in Nürnberg. Dort lebte und arbeitete er auch lange, um die Jahrtausendwende zog er mit seiner Familie nach München. Seine eigene Produktionsfirma gibt es seit vierzig Jahren, gegründet hat er sie bereits während seines Studiums der Theaterwissenschaft und Soziologie. "Das lief von Anfang an gut", erzählt er, "mein Studium habe ich dann gar nicht mehr beendet."

Als Dokumentarfilmer soll man sich "wie eine Fliege an der Wand" verhalten

Lange Zeit arbeitete er fürs Fernsehen, unter anderem für die "Lebenslinien" des Bayerischen Rundfunks, die Kinofilme über die Modedesigner kamen erst später. Er interessiert sich für Mode - und kleidet sich zeitlos: Zum Interviewtermin trägt er schmale Jeans, Chelsea Boots und einen schwarzen Rollkragenpullover. Während des Gesprächs zieht er ein paarmal den Kragen übers Kinn, als wolle er dahinter verschwinden. Das passt zu seiner Profession: Ein amerikanischer Dokumentarfilmer sagte einmal, in seinem Beruf solle man sich wie "eine Fliege an der Wand" verhalten. Also so nahe wie möglich heranrücken und dabei möglichst unauffällig bleiben.

Daher dreht Reiner Holzemer auch mit möglichst kleinem Team, oft reist er sogar ganz allein an, als One-Man-Show. Das macht ihn unabhängig. Er ist sein eigener Kameramann, im besten Fall vergessen die Beteiligten ihn und die Kamera irgendwann. Das führt zu Szenen wie der in seinem aktuellen Film, die mit Sicherheit für Diskussionen sorgen wird: Da rezitiert der Schauspieler bei den Jedermann-Proben einen Monolog und reagiert ungehalten auf eine Unaufmerksamkeit seines Regisseurs Michael Sturminger. "Wenn ich so etwas spiele, möchte ich, dass hier absolute Ruhe ist", schreit Eidinger. Es folgt eine verbale Auseinandersetzung zwischen den beiden Künstlern, später entschuldigt sich der Schauspieler. Und Holzemer? Ist die Fliege an der Wand, er zeigt den Streit, kommentiert ihn aber nicht. Natürlich habe er sich gefragt, wie sein Protagonist auf den Film und vor allen auf diese eine Szene reagieren werde, gibt er beim Interviewtermin zu. Doch dieser habe keine Änderungswünsche gehabt und den Film genauso akzeptiert, wie er ist. Auch wenn er dabei nicht unbedingt im besten Licht erscheint. Andere Künstler hätten vermutlich anders reagiert.

"Ich spiele in diesem Dokumentarfilm Lars Eidinger", sagt dieser. Der spielerische Moment sei für ihn genauso bedeutend wie der reale: "Es ist beides meine Wirklichkeit." Jeder Mensch hat verschiedene Facetten, manche zeigt er, andere will er verbergen. Menschen schlüpfen ständig in Rollen, selbst wenn sie keine Schauspieler sind. Wenn er den Hamlet spiele, so Eidinger, dann sei er immer noch er, vielleicht sogar mehr als er selbst. Der Macher des Films über ihn sei bei den Interviews doch auch ein anderer, als wenn er sich zuhause mit seiner Frau unterhalte. Und das ist vermutlich der interessanteste Aspekt: Indem Reiner Holzemer seinen Protagonisten so nahe kommt wie möglich, indem er sie beobachtet und begleitet, die Fliege an der Wand ist, erzählt er nicht nur etwas über die Künstler, die er porträtiert. Sondern über die Menschen im Allgemeinen.

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