Süddeutsche Zeitung

Kino:Lob der Kopie

Das Werkstattkino startet eine Programmreihe zur Rettung des Zelluloids

Von Fritz Göttler

Caligari is back. Der dubiose Scharlatan, der 1920 im Film "Das Cabinet des Dr. Caligari" die Welt aus den Fugen brachte, ist zum Mythos geworden und fungiert nach dem Zweiten Weltkrieg, in den Fünfzigern und Sechzigern, wieder als Schreckensfigur. Das ist wohl reiner Namenzauber, denn mit der ursprünglichen Geschichte haben die Filme nichts mehr zu tun, es sind billige "exploitation films", die oft dem Schema "Junge Frau, allein, verläuft sich in einer dunklen Anstalt, gerät unter den Einfluss eines finsteren manipulativen Mannes" folgen und Titel haben wie "Das Grab des Dr. Caligari" (Mexiko 1957, von Miguel M. Delgado) oder "The Cabinet Of Caligari" (USA 1962, Roger Kay). Im zweiten Film hat der Meister seinen Doktortitel verloren, der erste heißt im Original simpel "Misterios de la magia negra": Geheimnisse der schwarzen Magie!

Im Werkstattkino sind die beiden Filme Donnerstag- und Freitagnacht zu sehen, die Kopien sind aus dem Archiv des Kinos selbst, wirkliche Kopien, Zelluloid, und sie werden erstmals durch den Projektor des Kinos gezogen. Das Kino startet damit mit einer Reihe, die mehr ist - ein wichtiges, aufregendes Projekt, das sich noch möglichst lange fortsetzen möge. In den Zeiten, da man angeblich im digitalen Zeitalter angekommen ist, fordert das Werkstattkino "Film forever!" und führt konzentriert nur Filmkopien vor, aus dem eigenen Archiv und denen anderer Kinematheken: nix digital! Es ist der letzte Ort, an dem ein solches "Film forever" in München noch praktiziert wird (und wenn man doch mal digital projiziert, dann weil man sich immer wieder um die Filme kleiner Verleiher kümmert, die sich teure Filmkopien einfach nicht mehr leisten können).

Die jungen Wilden vom Werkstattkino - die natürlich auch schon ein wenig in die Jahre gekommen sind - haben ein Programm zusammengebaut, das keine Vorgaben und Einschränkungen kennt, es geht von Stan Brakhage bis Mauro Bolognini, und drei Filme sind dem Gedenken an den Ende des vorigen Jahres verstorbenen Nicolas Roeg gewidmet: "Der Mann, der vom Himmel fiel", "Bad Timing", "Wenn die Gondeln Trauer tragen" - Mischungen von "Psychotrip und verfilmtem Existentialismus", wie Dominik Graf schrieb.

Anfangs gibt's zwei "exotische" Entdeckungen, aus dem Bestand der Kinemathek Hamburg. "El-Fatawa/The Tough/Begierde", 1957, vom Ägypter Salah Abu Seif, Drehbuch vom Literaturnobelpreisträger Nagib Mahfuz, dessen Romane oft verfilmt wurden und der selber viel fürs Kino schrieb - ein kleines Lehrstück über praktizierten Kapitalismus auf dem Gemüsemarkt in Kairo. Außerdem "Suna no onna/Die Frau in den Dünen", Japan 1964, von Hiroshi Teshigahara, nach dem Roman von Kobo Abe - das Schicksal eines Insektenforschers, er wird in einer Grube in den Dünen gefangen gehalten, bei einer sinnlichen, undurchschaubaren Frau.

Am schönsten wäre, wenn von der Aktion eine Bewegung ausginge, eine cineastische Internationale zur Rettung des Zelluloids. Die Feier des ursprünglichen, materiellen, elementaren Kinos ist mehr als ein Mantra weiser Cineasten, mit dem sie die gute alte Zeit beschwören. Wenn man die vielfältige Körnigkeit des Sands in "Die Frau in den Dünen" erlebt hat, kennt man den Unterschied zum Digitalen und muss auf ihn bestehen. Das Material ist die pure Affektion, es verändert die Form, das Sehen und die Zuschauer.

Film Forever!, Beginn: Donnerstag, 10. Januar, Werkstattkino, Fraunhoferstraße 9

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SZ vom 10.01.2019
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