Film von Erec Brehmer:"Die ganze Welt soll weinen"

Lesezeit: 4 Min.

Im ersten Spielfilm von Erec Brehmer ging es um ein inniges, aufeinander eingespieltes und konfrontatives Paar - seine Freundin erkannte sich in Details wieder. (Foto: Florian Peljak)

Die Freundin von Erec Brehmer starb bei einem Autounfall. In dem Kinofilm "Wer wir gewesen sein werden" macht der Regisseur sich Gedanken darüber, wie das Leben ohne den geliebten Menschen weitergehen kann.

Von Josef Grübl

Liebe ist: Wenn sie ihn tritt. So war das zumindest bei Angelina und Erec, aneinander gekuschelt ließ sie ihn erst einschlummern - dann gab sie ihm einen kleinen Tritt, um sich von ihm zu lösen. So konnte auch sie einschlafen. Einmal bemerkte er das und fragte empört, was die Treterei solle. Daraufhin sie: "Sorry, ich dachte du schläfst schon." Diese private Liebesepisode erzählt Erec Brehmer in seinem Dokumentarfilm "Wer wir gewesen sein werden". Sie soll zeigen, wie innig Angelina und er waren, wie sehr aufeinander eingespielt - und wie konfrontativ. Waren? Ja, leider: Erec und die von allen nur Angi genannte Angelina wurden brutal voneinander getrennt, sie starb im Alter von 29 Jahren bei einem Autounfall. Das war im März 2019, er saß auf der Beifahrerseite und überlebte schwer verletzt. Als er Wochen später aus dem Krankenhaus kam, tat er das, was die meisten Hinterbliebenen machen: Er sammelte Fotos, Videos, Text- und Sprachnachrichten von ihr und speicherte sie ab. "Einfach mit dem Ziel, dass nichts verloren geht", sagt er beim Interview im Innenhof der Münchner Hochschule für Fernsehen und Film (HFF).

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Hier hat Erec Brehmer Regie studiert, hier bereitete er noch während des Studiums seinen ersten Kinospielfilm " La Palma" vor. Darin geht es um ein inniges, aufeinander eingespieltes und konfrontatives Paar. Angi sei damals sauer gewesen, als sie ihn sah, sie habe sich in Details wiedererkannt, gibt er zu. Er habe ihr aber versichert, dass es nicht um sie, sondern allgemein um Beziehungen gehe. "La Palma" hatte im Januar 2019 Premiere beim Filmfestival Max Ophüls Preis in Saarbrücken, wenige Wochen später passierte der Unfall. "Danach war mir erst einmal alles mit Filmemachen egal", erzählt Brehmer im Interview, über ihm ziehen Regenwolken auf. Er schaut in den Himmel, danach auf die Wetter-App in seinem Handy und spricht weiter. Die Haare des 34-Jährigen sind länger als im Film, er trägt jetzt Brille. Ganz ruhig und reflektiert erzählt er; man spürt, dass er schon oft über Angis Tod gesprochen hat. Er habe viel Hilfe erfahren, sagt er, von Freunden, der Familie, in Therapiesitzungen. Trotzdem fühlte er sich oft alleingelassen - wusste nicht, wie das überhaupt gehen soll mit dem Trauern.

Für Angi und Erec Brehmer war es die erste "richtige" Beziehung, auch deshalb gibt es so viel Film- und Videomaterial. (Foto: Erec Brehmer)

In Büchern las er von mehreren Trauerphasen, die Hinterbliebene durchleben müssen, um am Ende loslassen zu können. "Aber da hatte ich überhaupt keine Lust darauf", sagt er, "ich will Angi doch gar nicht loslassen, das geht nicht." Der Film war für ihn Trost und Trauerarbeit zugleich. Anfangs reihte der Wahlmünchner, der vor seinem HFF-Studium eine Ausbildung zum Mediengestalter beim ZDF gemacht hatte und seitdem Dokumentarfilme und Fernsehbeiträge schneidet, nur die vielen Bild- und Tondokumente von Angi aneinander. Für beide sei es die erste "richtige" Beziehung gewesen, sagt er, auch deshalb gibt es so viel Film- und Videomaterial. "Das war Teil unserer Beziehungsdynamik", erzählt er, "Angi wollte gern gefilmt werden."

Dynamisch ging auch die Arbeit am Film voran, dessen Titel sich auf ein Zitat von Roger Willemsen bezieht, der die Gegenwart von der Zukunft aus betrachten wollte. Brehmer zeigte die erste Fassung Freunden und der HFF-Professorin Karin Jurschick, sie gaben ihm Ratschläge, so entstand im Laufe von zwei Jahren ein recht vielschichtiger Film. "Am Anfang wollte ich mich auf die Momente konzentrieren, in denen ich mich in Angi verliebt habe", sagt er, "um dem Zuschauer die Chance zu geben, sich auch in sie zu verlieben." So könne man den Verlust vielleicht noch besser nachvollziehen.

"Die ganze Welt soll weinen", sagt er einmal im Film, zumindest in den Kinovorstellungen dürfte das klappen. Erec Brehmer hat ihn schon bei einigen Festivals vorgestellt, immer wieder würden die Menschen im Kinosaal weinen, sagt er. Sie hätten aber auch bei den Gesprächen danach das Bedürfnis, über ihre eigenen Verluste zu sprechen. "So individuell Trauer auch ist, so sehr ähnelt sie sich auch in manchen Phasen", weiß er. Deshalb brauche der Film das Gemeinschaftserlebnis Kino. Er ist nicht nur der Regisseur, Produzent und Protagonist von "Wer wir gewesen sein werden", sondern auch der Verleiher. Und in dieser Rolle hat er eine Kinotournee organisiert: Bis Mitte August reist er durch die Republik, ist fast jeden Tag in einer anderen Stadt, in Stuttgart, Regensburg, Hof, Berlin oder München. Das wird nicht einfach, sagt er, aber er will das jetzt zu einem würdevollen Abschluss bringen. Er möchte an Angi erinnern und vielleicht anderen Menschen helfen. Vor kurzem hat er den Starter Filmpreis der Stadt München gewonnen; Angi wäre stolz gewesen, da ist er sich sicher.

"Das Schlimmste, was passieren konnte, ist schon passiert."

Mittlerweile hat es zu regnen angefangen, der Himmel ist dunkelgrau. Man geht ins Foyer der Filmhochschule, dort erzählt Erec Brehmer von seinen Rückschlägen und den Bedenken, sich vor der Kamera zu öffnen. Denn natürlich macht er sich damit auch angreifbar; nicht alle werden es gut finden, dass er relativ bald nach dem tödlichen Unfall eine neue Freundin hatte. "Hey Angi, ich habe jemanden kennengelernt", sagt er im Film einmal, immer wieder spricht er sie direkt an. Er sei in den letzten drei Jahren ein anderer Mensch geworden, musste sich eine neue Identität aufbauen.

Heute gehe es ihm gut, sagt er. "Das Schlimmste, was passieren konnte, ist schon passiert." Deswegen sei ihm während der Arbeit an dem Film völlig egal gewesen, was die Leute davon halten würden. In der wohl erschütterndsten Szene wird die Leinwand schwarz und man hört eine Sprachnachricht, die Brehmer aus der Klinik an Angis Mutter geschickt hat. Da wusste er noch nicht, dass seine Freundin bereits am Unfallort verstorben war, da sagte er: "Bitte mach dir keine Sorgen, es wird schon alles wieder." Das sei so grausam zu hören, sagt er zum Abschluss: "Das kann ich doch nicht einfach so stehen lassen, ich musste daraus etwas Schönes machen." Und schön ist dieser Film über die Liebe und den Tod geworden, traurig, aber nicht deprimierend - und mit das Herzzerreißendste, was man seit langem im Kino gesehen hat.

Wer wir gewesen sein werden, D 2021, Regie: Erec Brehmer, Kino-Termine: www.wer-wir-gewesen-sein-werden.de

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