Süddeutsche Zeitung

Kino:Leinwandliebe

Sommerzeit ist Kinozeit, das wissen Filmfans und Programmkino-Betreiber: Die 70. Filmkunstwochen München warten mit Kinohits, Klassikern und vielen Gästen auf.

Von Josef Grübl

Draußen ist es heiß, drinnen kühl: Wer in den kommenden Wochen der Sommerhitze entfliehen (und dabei auch noch gut unterhalten werden) möchte, ist im Kino genau richtig. Die Münchner Programmkinos haben wie jedes Jahr einen besonderen Spielplan zusammengestellt, die Filmkunstwochen feiern ihre siebzigste Ausgabe. Bis Mitte August gibt es ein täglich wechselndes Filmprogramm und viele Sonderveranstaltungen, die Zuschauer können Kinohits, Dokumentarfilme und Arthouse-Perlen auf der großen Leinwand neu entdecken oder wiedersehen. Elf Kinos nehmen dieses Jahr an den Filmkunstwochen teil; sie unterstreichen einmal mehr, dass es in den Münchner Kinosälen weitaus mehr als nur Mainstream-Ware zu sehen gibt.

Kinokonzert und viel Musik

Dieser Wahnsinn hat Methode: Mit "A Page of Madness" ("Kurutta Ippeiji") werden am Mittwoch, 27. Juli im Cincinatti-Kino die Filmkunstwochen München eröffnet. Der japanische Stummfilm aus dem Jahr 1926 erzählt von einer Frau, die nach einem Selbstmordversuch in einer psychiatrischen Anstalt landet. Ihr Ehemann ist Hausmeister der Anstalt und will sie befreien - doch die neue Umgebung hat bereits auf sie abgefärbt. Der Film von Kinugasa Teinosuke ist ein irrer Psychotrip, er galt jahrzehntelang als verschollen, in München wird er mit Live-Musikbegleitung des Ensembles "Okabre" aufgeführt. Im Anschluss an dieses Kinokonzert findet ein Fest vor dem Kino statt.

Musik spielt bei den Filmkunstwochen seit jeher eine große Rolle, in allen möglichen Genres und Varianten. So stehen unter anderem die erst kürzlich beim Filmfest gezeigten Musikdokumentarfilme "Ennio Morricone - Der Maestro" und "Hallelujah: Leonard Cohen, a Journey, a Song" auf dem Spielplan des ABC Kinos. Im Filmeck Gräfelfing gibt es ein Wiedersehen mit Carlos Sauras Verfilmung der Bizet-Oper "Carmen", im Rottmann stellt Regisseur Cem Kaya seinen Dokumentarfilm "Liebe, D-Mark und Tod" vor, darin geht es um die anatolische Musikproduktion in Deutschland. Das Theatiner widmet sich in einer kleinen Reihe dem Jazz der polnischen Nouvelle Vague, mit Musik von Krzysztof Komeda und Jozef Bartczak. Und im Rex steht eine Live-Übertragung der Bayreuther "Götterdämmerung" auf dem Programm. Die Frage, warum man sich diese Oper im Kino anschauen sollte, beantwortete Susanne Schmid vom Rex bei der Programmvorstellung selbst: "In Bayreuth gibt es Holzstühle, bei uns nicht."

Kinozukunft und viele Gäste

Das Kino lebt. Und es überlebte: den Siegeszug des Fernsehens ebenso wie Videorekorder, Streaming oder Pandemie. Wer einen Film in einem dunklen Saal mit anderen Menschen sieht, nimmt das Gesehene eben ganz anders wahr als zu Hause oder unterwegs auf dem Handy. "Kinos für die Zukunft" schreiben sich daher die elf teilnehmenden Programmkinos der Filmkunstwochen auf die Fahnen, es ist ihr diesjähriges Motto. In den kommenden Wochen sollen die Menschen Filme sehen - und über sie reden. Zwei sogenannte "Film Lectures" stehen auf dem Programm, eine davon verspricht nichts weniger als "eine Sightseeing-Tour durch die Kinogeschichte" (im City-Kino).

Es haben sich aber auch Gäste angekündigt, die ihre Filme persönlich vorstellen und mit dem Publikum ins Gespräch kommen wollen: Natja Brunckhorst präsentiert im Rottmann ihr Regiedebüt "Alles in bester Ordnung", Uli Decker im City ihre familiäre Spurensuche "Anima - Die Kleider meines Vaters" oder Erec Brehmer seinen Liebes- und Trauerfilm "Wer wir gewesen sein werden" (ebenfalls im City). Der Wiener Schauspieler Philipp Hochmair will bei der Vorstellung der Theaterdoku "Jedermann und ich" im City dabei sein, Doris Dörrie wird bei der Preview ihres neuen Films "Freibad" im ABC Kino erwartet. Etwas Besonderes hat sich der Münchner Dokumentarfilmer Peter Heller ausgedacht: Er stellt im Rex seinen Film "Pasta Imperiale" vor, darin geht es um den Siegeszug der italienischen Küche in Deutschland. Im Anschluss an die Filmvorführung findet ein Pasta-Essen in der nahegelegenen "Trattoria Lindengarten" statt.

Blick nach vorne

Wo "Kinos für die Zukunft" draufsteht, ist auch Zukünftiges drin. Genauer gesagt stehen bei den Filmkunstwochen viele Previews auf dem Programm - Filme also, die erst in den kommenden Wochen und Monaten regulär in den Kinos anlaufen werden. Wer also anderen Cineasten ein Stück voraus sein möchte, kann hier Festivalhits wie Hirokazu Kore-edas "Broker", Xavier Giannolis "Verlorene Illusionen" oder den diesjährigen Goldenen-Bären-Gewinner der Berlinale "Alcarràs" aus Spanien sehen. Ebenfalls bei der Berlinale (als Eröffnungsfilm) lief François Ozons Fassbinder-Hommage "Peter von Kant", in der es zu einem Wiedersehen mit den Leinwand-Ikonen Isabelle Adjani und Hanna Schygulla kommt. Darüber hinaus dürfen sich die Zuschauer auf die amerikanische Bestsellerverfilmung "Der Gesang der Flusskrebse" (im Rio) oder den Dokumentarfilm "Der Bauer und der Bobo" (im Rottmann) freuen, in dem der Chefredakteur der Wiener Wochenzeitung Falter ein Praktikum bei einem steirischen Bergbauern macht.

Um die Zukunft des Kinos geht es auch im Maxim Kino in Neuhausen: Dort gibt es einen Filmnachmittag für Kita-Kinder, für die zukünftigen Kinogäste also. Unter dem Titel "Das erste Mal im Kino" werden altersgerechte Kurzfilme aufgeführt, mit Füchsen, Vögeln und Eichhörnchen. Und weil Kino mit einem Snack noch mehr Spaß macht, dürfen die kleinen Gäste auch in der Popcorn-Küche den Mais zum Ploppen bringen.

Blick zurück

Qualitativ gibt es nichts zu bemängeln: "Wir hatten ein unglaublich gutes Programm im letzten Jahr", sagte Thomas Kuchenreuther bei der Vorstellung der Münchner Filmkunstwochen. Nur seien einige dieser guten Filme leider etwas untergegangen, findet der Betreiber der Schwabinger Programmkinos ABC und Leopold. Deshalb kann man nun dort (und in den Museum Lichtspielen) einige der Film-Highlights der Jahre 2021 und 2022 auf der großen Leinwand nachholen: Paul Thomas Andersons Siebzigerjahre-Trip "Licorice Pizza" etwa, Pedro Almodóvars "Parallele Mütter", den deutschen Filmpreis-Gewinner "Lieber Thomas" oder die vor Kurzem in den Kinos unter Wert geschlagene Fortsetzung von "Downton Abbey".

Noch weiter zurück blicken das Studio Isabella, Filmeck Gräfelfing, City oder Arena Kino: Hier laufen Klassiker wie "Kinder des Olymp", "Mon oncle", "La dolce vita", "Blade Runner" oder "Apocalypse Now". Das Theatiner Kino feiert im August sein 65-jähriges Bestehen und zeigt Filmklassiker wie Fellinis "Die Nächte der Cabiria" oder Eric Rohmers "Im Zeichen des Löwen" vom 35-mm- und 16-mm-Projektor. Und dann gibt es noch die Hommagen an die Regisseure Denis Villeneuve ("Dune", "Arrival"), Paolo Sorrentino ("Die Hand Gottes", "La Grande Bellezza") und an Alain Delon ("Nur die Sonne war Zeuge", "Der eiskalte Engel"). Höchste Zeit, all diese Filme (wieder) zu entdecken.

Münchner Geschichten

"Dieser unangepasste Cowboy fehlt. Er fehlt. Er fehlt", sagte Iris Berben, als sie vom Tod von Klaus Lemke erfuhr. Der Münchner Filmemacher starb Anfang Juli, nur wenige Tage zuvor hatte er sein jüngstes Werk "Champagner für die Augen - Gift für den Rest" beim Filmfest vorgestellt. Sein Tod kam so überraschend, dass das Programmheft der Filmkunstwochen nicht mehr geändert werden konnte: Darin wurde er als Gast bei den Vorstellungen seiner eigenen Filme angekündigt, auf dem Programm stehen "Amore", "Sweethearts" und der eingangs genannte "Champagner"-Film. Jetzt wird es ein "In-memoriam"-Programm.

Ebenfalls vermisst wird Max Zihlmann, der im März starb: Der Münchner Drehbuchautor schrieb für Rudolf Thome, Thomas Schamoni oder auch Klaus Lemke, das Theatiner ehrt ihn mit den Aufführungen seiner Filme "Fremde Stadt" und "Ein bisschen Liebe". Letzterer entstand im Jahr 1974 unter der Regie des Filmproduzenten Veith von Fürstenberg, Wim Wenders produzierte. Trotz der vielen prominenten Namen vor und hinter der Kamera (es spielten unter anderem Gregor von Rezzori oder Marquard Bohm) wurde diese Schwabing-Komödie nie ausgewertet, Veith von Fürstenberg hat die einzige und an mehreren Stellen beschädigte Filmkopie restauriert und um einige neu gedrehte Szenen ergänzt. Er nennt den Film jetzt "Ein bisschen Liebe (reloaded)" und wird ihn Mitte August persönlich im Theatiner vorstellen.

Münchnerisch geht es auch Anfang August im Rottmann Kino zu: Dann wird Hanno Nehring seinen No-Budget-Film "A-Man and the C-City" vorstellen, der als eine "Lockdown-Groteske in München" angekündigt wird. Bereits auf dem Dok-Fest liefen die Münchner Dokumentarfilme "Geschlossene Gesellschaft" und "Nach der Arbeit", deren Macher Hans von Brockhausen und Alexander Riedel stellen sie jetzt auch bei den Filmkunstwochen vor. Und dann gibt es noch eine Veranstaltung, die selbst die größten Kinomuffel überzeugen dürfte: Am 2. August zieht das "Bollerwagenkino" durchs Olympiadorf, dabei werden Filme auf die Betonwände der Häuser projiziert.

70. Filmkunstwochen, Mi., 27. Juli, bis Mi., 17. August, mehrere teilnehmende Kinos, www.filmkunstwochen-muenchen.de

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