Süddeutsche Zeitung

Kino:Diese sieben Filme sollten Sie auf dem Dokfest nicht verpassen

19 Spielorte, 154 Filme aus 50 Ländern - es ist unmöglich, alle Filme auf dem Dokumentarfilmfestival zu sehen. Eine Übersicht.

Von Bernhard Blöchl

Die Expansion beginnt im Kleinen, in München, und endet im Großen, in fernen Ländern wie Argentinien, Südafrika oder Südkorea. Das Internationale Dokumentarfilmfestival, das an diesem Mittwoch mit dem Porträt über die russische rhythmische Sportgymnastin Margarita Mamun eröffnet wird, wächst.

Die Ambitionen des künstlerischen Leiters Daniel Sponsel zeigen sich zum einen darin, dass sich sein Festival weiter in der Stadt ausbreitet: An 19 Spielorten sind bis zum 13. Mai 154 Filme zu sehen, hauptsächlich in Kinos wie City, Filmmuseum und Rio, aber auch der Gasteig und die HFF sind dabei, und, neu, das Staatliche Museum Ägyptischer Kunst, der Kulturstrand am Vater-Rhein-Brunnen und das Kulturzentrum Bellevue di Monaco.

Bemerkenswert ist auch der im vergangenen Jahr versprochene, größere Auftritt im Deutschen Theater. Nicht nur der Eröffnungsfilm, sondern insgesamt neun Werke mit Premierencharakter flimmern hier an fünf Abenden über die große Leinwand. Die hier gezeigten Filme haben Unterhaltungscharakter, etwa die Musikdokumentation über den jungen Blueser Jesper Munk (For In My Way It Lies), aber auch gesellschaftliche Relevanz, wie die Kapitalismus- und Facebook-kritischen Essays System Error und The Cleaners.

Eine Weltreise, ohne die Stadt zu verlassen

Die Expansion zeigt sich andererseits auch in der inhaltlichen Horizonterweiterung. Die Beiträge dieser 33. Festivalausgabe stammen aus 50 Ländern, mehr als zuletzt, und auch die Anzahl der Weltpremieren ist gestiegen (auf 39, dazu 72 Deutschlandpremieren). Die meisten Filme stammen aus Europa, aber auch viele aus den USA und einige aus Südamerika, Afrika und Asien (etliche Filme sind Koproduktionen, weshalb die Zahl der Werke auf der Karte größer ist als die 154 Filme im Programm).

Für den Zuschauer bedeutet das, dass er sich auf eine filmische Weltreise begeben kann, ohne die Stadt zu verlassen. Er kann junge Frauen kennenlernen, die sich in Burkina Faso ganz selbstbewusst zur Automechanikerin ausbilden lassen (Ouaga Girls), oder sich ins Reich des Aberglaubens in El Dorado in Argentinien begeben, wo die Menschen auf die Heilkräfte der Natur schwören (The Dread). Die folgenden Filme ragen dabei heraus.

"Wäre Brasilia eine Person, dann wäre es ein Frau", sagt die Architekturstudentin. "Eine lässige und schicke Frau, brünett, mit einem langen, weiten Rock, gut gekleidet und elegant". Seit Jahrzehnten fasziniert die Hauptstadt Brasiliens Designfreunde und Laien, Südamerikaner und Touristen; jene Stadt, die in Rekordzeit errichtet worden ist und seit 1987 zum Weltkulturerbe gehört.

Der Film von Bart Simpson (der heißt wirklich so) spürt der Faszination von Brasilia nach. Archivmaterial und eines der letzten Interviews mit Oscar Niemeyer, dem Schöpfer der im Geiste einer Sci-Fi-Metropole errichteten Planhauptstadt, reichern die Bilderflut an. Bilder einer Stadt, von oben, im Detail, von den Bewohnern, die im Kino atemberaubend sind. Der Film gewordene architektonische Spaziergang Brasilia: Life After Design geht auch der aktuellen Frage nach: Wie kann eine Reißbrett-Metropole, geschaffen in den Fünfzigern für 500 000 Einwohner, Heimat für inzwischen weit mehr als drei Millionen Menschen sein?

Deutschland, deine Torhüter - nur für Fußballfans

Thema Nummer 1 in Deutschland war und ist die Nummer 1. Also der Torhüter der Fußball-Nationalmannschaft. Für Sportmuffel ist Gerhard Schicks Dokumentarfilm eine 90-minütige Gähn-Parade, für Fußballfans dagegen ein Freuden-Fest. Oliver Kahn, Manuel Neuer, Sepp Maier, Toni Schumacher und Jens Lehmann plaudern über ihre Berufung - und über sich selbst. Über Taktik und den Profisport, über Rückschläge, Verletzungen und Triumphe. Da fallen Sätze wie: "Wenn du ein Super-Torhüter sein willst, dann musst du verrückt sein. Jeder Torhüter hat ein bisserl eine Schlagseite" (Maier). Oder: "Wir Torhüter sind eigentlich dafür da, die Drecksarbeit zu machen. Die Fehler auszubügeln von all deinen Mitspielern" (Schumacher).

Dazwischen gibt es Archivmaterial, Sportgeschichte gewordene Spielszenen und Interviews. Ausführlich wird Robert Enkes Suizid im Jahr 2009 thematisiert; auch seine Witwe Teresa kommt zu Wort, willens, die Tragödie zu erklären. Zur Premiere von Die Nummer eins - Deutschlands große Torhüter am Sonntag, 6. Mai, im Deutschen Theater haben sich Sepp Maier und Toni Schumacher angekündigt.

Eine Spurensuche in Indien

Die HFF-Absolventin Franziska Schönenberger knüpft mit ihrem neuen Film an ihren Dok-Fest-Publikumsliebling Amma & Appa (2014) an und bleibt ihrem subjektiven Stil treu - als Co-Regisseurin und Nebendarstellerin: In Die Schatten der Wüste steht Schönenbergers Ehemann, der indische Künstler Jayakrishnan Subramanian, im Fokus seiner eigenen Erzählung. Jener Mann, den die junge Münchnerin in ihrem Debüt als ihren Liebsten vorstellte; gemeinsam reisten sie in Amma & Appa nach Tamil Nadu, um Jays Eltern von ihrer bayerisch-indischen Liebe zu überzeugen. In der neuen Geschichte folgt der Zuschauer dem Künstlerpaar erneut in Jays Heimatland.

Der Filmemacher wurde von Verwandten gebeten, den mysteriösen Tod eines Mannes namens Baskaran aufzuklären, der als Bauarbeiter einst nach Dubai gegangen war, um seinen Kindern eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Er wurde tot in einem Sarg zurückgeschickt. Offiziell heißt es, es sei Selbstmord gewesen. Der mit animierten Sequenzen angereicherte Dokumentarfilm gibt aus persönlicher Perspektive Einblicke in das gnadenlose Geschäft mit indischen Leiharbeitern und in deren schwierige Lebensbedingungen. Eine berührende Spurensuche.

Das Gastland der 33. Festivalausgabe sind die USA. Bei der Auswahl der Beiträge ging es den Kuratoren unter anderem darum, den Fokus weg von Trump & Co. in Richtung der Bürger und Menschen außerhalb der Öffentlichkeit zu verschieben. So sollen von den Vereinigten Staaten Bilder jenseits der medial transportieren Weltpolitik gezeichnet werden, Bilder gelebter Wirklichkeiten. Island Soldier etwa beschäftigt sich mit dem vor Hawaii gelegenen Inselstaat Mikronesien und dessen Bewohnern, von denen viele im US-Militär die einzige Verdienstmöglichkeit sehen.

Ein anderer Film widmet sich dem ur-amerikanischen Traum von der individuellen Freiheit. In I Am Another You begleitet die chinesische Wahl-New-Yorkerin Nanfu Wang einen jungen Aussteiger namens Dylan. Ihr mit Handkamera gedrehter Film ist einerseits das Porträt eines Mannes, der sein behütetes Zuhause verlassen hat, um auf der Straße und im besten Sinne unangepasst zu leben. Andererseits gelingt ihr ein erhellendes Roadmovie quer durch die USA, das die Themen Menschlichkeit und Hilfsbereitschaft, Alltagssorgen und unterschiedliche Lebensmodelle zurück auf die Agenda bei der Betrachtung von Trump-Land bringt.

Wie übersetzt man Murakami? Ein Portrait

Filme über Künstler sind abermals stark vertreten beim Dok-Fest. Da gibt es Porträts über das Münchner Blues-Talent Jesper Munk (For In My Way It Lies), den Bossa-Nova-Pionier João Gilberto (Wo bist du, João Gilberto?), die Pop-Sängerin M.I.A. (Matangi/Maya/M.I.A.) und den Musik-Exzentriker Chilly Gonzales (Shut Up And Play The Piano). Eine atmosphärische Annäherung an die Gedankenwelten des japanischen Schriftstellers Haruki Murakami ermöglicht Dreaming Murakami.

Der Regisseur Nitesg Anjaan folgt darin Mette Holm, der dänischen Übersetzerin des Weltliteraten, von Skandinavien bis nach Japan. Holm versteht sich als Vermittlerin der zwischen Fantasie und Realismus angesiedelten Sphären Murakamis, sozusagen als Stalkerin der Worte. Der Zuschauer erfährt viel über den kniffligen Beruf des Übersetzers, den Zauber von Geschichten und japanische Lebensweisen. Für die surrealistische Note sorgen die Gastauftritte des Frosches aus Murakamis Text "Super-Frog Saves Tokyo".

Mit dem arabischen Frühling erwachsen werden

Ihr Name bedeutet Hoffnung, doch wie soll sie optimistisch bleiben? Amal versucht es, nimmt den Widerstand auf. Sie ist 14 Jahre alt, als die Revolution Ägypten erfasst. Das Mädchen bezieht Stellung, kämpft und demonstriert auf dem Tahrir-Platz in Kairo. Sie sagt: "Wenn du den Tod aus der Nähe siehst, dann stirbt deine Angst." Angstfrei soll sie leben, das hat ihr ihr Vater immer gesagt. Und dann ist da noch ein weiterer Konflikt: Amal ist ein Mädchen unter Jungs und Männern; von Polizisten wird sie misshandelt.

Sechs Jahre lang begleitet sie der ägyptische Regisseur Mohamed Siam, stets an der Frage interessiert, wohin die rebellische Selbstbehauptung seiner Protagonistin in einer patriarchalischen Gesellschaft führen wird. Amal ist ein besonderer Coming-of-Age-Film, der zeigt, was gesellschaftspolitische Dokumentarfilme leisten können: Einblicke in reale Lebenswelten geben, wie es der Fiktion nur selten gelingt. "Amal" ist für den Dok-Fest-Preis der SOS-Kinderdörfer nominiert und läuft in der Festivalreihe "Horizonte". Weitere Werke, die Rollenbilder und Machtverhältnisse in Frage stellen, sind in der Themenreihe "Dok-Female" zu sehen.

33. Int. Dok-Fest München, Mittwoch, 2., bis Sonntag, 13. Mai, div. Orte, dokfest-muenchen.de

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Quelle:
SZ vom 02.05.18/tmh
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