Kritik:Lenas Angst vor dem Drei-Meter-Brett

Kritik: "Ich springe heute Nachmittag vom Dreimeter!", verkündet Lena (Anna-Lena Elbert). Wird sie sich auch wirklich trauen?

"Ich springe heute Nachmittag vom Dreimeter!", verkündet Lena (Anna-Lena Elbert). Wird sie sich auch wirklich trauen?

(Foto: Wilfried Hösl)

David Bösch inszeniert die Bühnen-Premiere von Gordon Kampes herrlich kluger Kinderoper "Spring doch" an der Bayerischen Staatsoper.

Von Rita Argauer

Den Auftrag, eine Oper für Kinder zu schreiben, haben Gordon Kampe und sein Librettist Andri Beyeler sehr ernst genommen. Die Uraufführung von "Spring doch" an der Bayerischen Staatsoper zeigt sich in der Inszenierung von David Bösch als eine richtige Oper; und noch dazu als eine zeitgenössische. Es gibt keine Zugeständnisse daran, dass da für ein anderes Publikum geschrieben wurde: keine Verniedlichung, keine Vereinfachung und keine Abstriche im Anspruch. Und das ist herrlich.

Kampe hat für ein kleines Ensemble geschrieben: Streicher, Bläser, Harfe, Schlagwerk und Klavier. Und unter der Leitung von Andreas Fellner quietscht, rumpelt, zirpt und knirscht es gewaltig, schon als das Publikum den Rennert-Saal im Probengebäude der Oper am Marstallplatz betritt. Und der Duktus bleibt so: Geräuschlastig, atonal, störend. Die Spielfläche nimmt die Breitseite des Raumes ein, links die Musiker, rechts ein Drei-Meter-Sprungturm in Originalgröße. Darum geht's auch. Schülerin und Protagonistin Lena (Anna-Lena Elbert mit zartem, aber facettenreichem Sopran) kündigt unter dem Druck der gnadenlosen Sozialauslese im Sportunterricht an, von eben jenem "Dreier" zu springen. Obwohl sie sich das eigentlich gar nicht traut. Damit ist die Fallhöhe einer guten Dramaturgie buchstäblich auf eine für das Zielpublikum nachvollziehbare Größe eingerichtet - und das Drama nimmt seinen Lauf.

Kritik: Wenn der Sportunterricht zur Tortur wird: Lena (Anna-Lena Elbert) und die Turnlehrerin (Ann-Katrin Naidu).

Wenn der Sportunterricht zur Tortur wird: Lena (Anna-Lena Elbert) und die Turnlehrerin (Ann-Katrin Naidu).

(Foto: Wilfried Hösl)

Nur vier Sänger stemmen das Stück, alle außer Lena doppelt besetzt. Ann-Kathrin Naidu (herrlich resolut) wird als Sportlehrerin zur Busfahrerin und Bademeisterin. Bryan Lopez Gonzalez als schmieriger Macker wandelt sich vom fiesen Schüler über den Fahrkartenkontrolleur zum Schwimmbad-Proll. Und Martin Snells warmherziger Bass gibt eine hinreißende Beschützerfigur: als Vater mit Angst um die Tochter und einer jazzig-swingenden Sorgenarie. Die Vielschichtigkeit der Komposition trägt auch für die Eltern im Publikum. Der Fahrkarten-Kontrolleur tritt als Rockabilly auf (Falco lässt grüßen), die Bademeisterin darf "Carmen" zitieren.

Kritik: In der Kinderoper "Spring doch" sind auch Kinder auf der Bühne.

In der Kinderoper "Spring doch" sind auch Kinder auf der Bühne.

(Foto: Wilfried Hösl)

Auch das Libretto ist extrem klug geschrieben. Lenas Sprache ist authentisch, sowohl in der Wortwahl als auch wenn sie ihren besorgten Vater nachäfft. Und gleichzeitig enorm musikalisch. Das ist formal eine richtige Oper, in der Gefühle in langen Arien ausgebreitet und durch die Musik illustriert werden. Hinzu kommt aber auch ein latent politischer Unterton: die Forderung nach kostenlosem öffentlichem Nahverkehr oder wenn Lena flucht: "Geld, kein Geld, saublödes Geld". In den Teenager-Sorgen spiegelt sich Gesellschaft. Und Kampe und Beyeler zeigen das unverblümt und ungeschönt. Der Grusel vor einem sichtbar mittellosen und etwas verwahrlosten Mitfahrer im Bus, der Lena aber letztlich aus der Schwarzfahrer-Patsche hilft. Die biertrinkende, resigniert-amüsierte Bademeisterin. Oder eine absurde Raucher-Arie, samt Inhalier-Geräuschen und Kinderchor zum Auftritt des Schwimmbad-Prolls. Alles ohne moralische Wertung.

So wird das junge Publikum (das Stück ist ab acht Jahren) eben ernst und für voll genommen. Die Musik ist fordernd, die Welt ist es auch. Sei es, weil man sich mit zehn Jahren nicht traut vom "Dreier" zu springen oder ein paar Jahre später überlegt, ob man es sich trauen sollte, sich auf eine Kreuzung zu kleben, weil man keine Zukunft mehr sieht. Kinderstücke müssen nicht einlullen, müssen nicht süß sein und können - wenn sie so klug gemacht sind wie "Spring doch" - eine enorme Bereicherung sein. Nicht nur für die Kinder.

"Spring doch", Kinderoper, Bayerische Staatsoper, Restkarten für die Vorstellungen am 13. und 16. 12., www.staatsoper.de

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