Nach dem GAU in Fukushima:Mama, was ist Kernschmelze?

Die Katastrophe in Japan ist in den Medien präsent wie sonst wenige Ereignisse. Auch Kinder bekommen mit, was geschehen ist - und sie stellen Fragen. Wie erklärt man einen Super-GAU?

Monika Maier-Albang und Alexandra Vettori

Sie haben Bilder gemalt. Bilder von Menschen, die unter Wasser treiben, sich an Holzstücken festklammern oder auf Hausdächern hocken. Bilder der Verwüstung. Bilder aus dem Jahr 2004. Brigitte Bücken hatte damals, als der Tsunami Asiens Küsten überflutete, ihre Schüler zum Zeichnen ermuntert. Mit dem Stift, sagt die Religionslehrerin, könnten Grundschüler Gefühle oft besser ausdrücken als mit Sprache. Oft sind diese Bilder eine Brücke, um der Sprachlosigkeit Herr zu werden.

Anti-Atom-Demo vor dem Kanzleramt

Eltern nehmen auch ihre Kinder mit zu Anti-Atomkraft-Mahnwachen. Doch die Ereignisse in Japan können kleine Kinder noch nicht verarbeiten. Erst ab circa zwölf Jahren verstehen sie, welche Folgen die Reaktorkatastrophe in Fukushima wirklich hat. Jüngeren Kindern, raten Pädagogen, sollte man die Ereignisse altersgerecht erklären - nicht verschweigen.

(Foto: dpa)

Nun also wieder ein Tsunami, und ein Erbeben, und eine drohende Atomkatastrophe. Die Bilder aus dem Fernsehen, vermutet Bücken, würden sich auch diesmal "in die Kinderköpfe einbrennen". Auch wenn die Kinder etwas Zeit brauchten, "so etwas zu realisieren", so haben doch die ersten ihrer Viertklässler aus der Moosacher Grundschule an der Gerastraße ihre Lehrerin bereits gefragt, wie denn so etwas passieren kann. Haben ihr erzählt, dass sie sich das gar nicht vorstellen können wie das ist, wenn plötzlich alles weg ist. "Das geht mir genauso", hat Bücken geantwortet.

Ehrlich sein hat Priorität, was an Tagen wie diesen, wenn Kinder die Sinnfrage stellen, nicht immer einfach ist. Warum lässt Gott das zu? Diese Frage wird kommen, weiß Bücken. Und hier wird sie sagen müssen: Es gibt Dinge, auf die auch ein Erwachsener keine befriedigende Antwort hat.

Im Schulgottesdienst werden sie nun über Japan sprechen und für die Menschen dort beten. Sie werden die alten Psalmen bemühen, in denen Menschen vor langer Zeit ihre Verzweiflung in einer Art und Weise zum Ausdruck gebracht haben, die auch heutige Menschen noch anrühren kann. Ältere Schüler hat Bücken Psalme verfassen lassen, und auch dies, sagt sie, sei eine gute Möglichkeit, wie Kinder ihre Gefühle zum Ausdruck bringen können. Die Mädchen verzieren die Gebete schon mal mit Blumenranken. Was soll man auch tun in der Zeit der Hilflosigkeit? Wo so viele das Bedürfnis haben, zum Ausdruck zu bringen, "dass wir an die Menschen in Japan denken", wie es Carina Gerstner formuliert, Leiterin der evangelischen Kindertagesstätte in der Messestadt Riem.

Am Donnerstagnachmittag haben sie dort in der Turnhalle ihr selbstgebasteltes Kreuz aufgestellt. Die Eltern waren eingeladen zur Andacht mit den Kindern, mit denen die Kindergärtnerinnen vorher besprochen hatten, dass es den Menschen in Japan jetzt "ähnlich geht wie Jesus": Auch er kannte Zeiten, "wo es wenig zum Essen gab und wenig zum Anziehen". Doch mehr noch als die kleinen Kinder brauchen wohl die Eltern Zuspruch. Die Kindergartenkinder haben das Thema Japan von sich aus bislang nicht zur Sprache gebracht, wohl deshalb, vermutet Gerstner, weil die Eltern sie vom Fernseher fernhalten. Bei den Eltern indes sei "die Betroffenheit groß".

Am liebsten verschweigen

Überhaupt, die Eltern. Es gibt solche, die ihren Kindern die Katastrophe am liebsten verschweigen würden, weiß Bücken. Und auch an der Grundschule in Hallbergmoos sagt die Konrektorin Monika Schmeller, dass man in der ersten und zweiten Klasse das Japan-Thema "sehr, sehr vorsichtig" angehe. "Wir merken, dass es verschiedene Positionen bei den Eltern gibt. Die einen thematisieren das mit den Kindern lieber nicht", die anderen durchaus. "Wir versuchen, die elterlichen Positionen zu respektieren." Und auf keinen Fall werde "Panik geschürt", sagt Schmeller. Ausblenden allerdings lasse sich das Thema derzeit nicht, meint Religionslehrerin Bücken: Die Kinder reden untereinander ohnehin darüber.

"Sind Sie für oder gegen Atomkraft", haben seine Fünftklässlerinnen Michael Kraus sofort gefragt. Kraus unterrichtet Physik am Nymphenburger Maria-Ward-Gymnasium. In der neunten Klasse hatten sie vor den Faschingsferien gerade den Aufbau eines Atomkraftwerks besprochen. Nach den Ferien wäre die Kernfusion drangekommen, den Strahlenschutz hätte er nur gestreift, sagt Kraus. Jetzt hat er umgeplant, erklärt Details, nach denen die Schülerinnen ihn löchern: Was ist ein Millisievert? Warum lässt sich die atomare Zerfallskette nicht einfach stoppen? Er hat einen Film über Tschernobyl gezeigt und dabei gemerkt, wie schnell eine Gesellschaft vergisst.

Jetzt aber treibt sie das Thema um. Viele seiner Schülerinnen haben gesagt, dass sie sich ängstigen. Und von ihrem Physiklehrer haben sie sich eine Antwort auf die Frage erhofft, wie man nun so schnell wie möglich wegkommt von der Kernenergie. Auch so eine Frage, die die Erwachsenen ratlos lässt. "Wir wissen es derzeit nicht", hat Kraus geantwortet. Und die Schülerinnen ermutigt, in diese Richtung zu studieren. Findet ihr mit uns Lösungen! Sein Kollege, Chemielehrer Robert Kling, hat seinen Achtklässlerinnen ausführlich alle technischen Fragen beantwortet: Was ist Kernschmelze? Warum sieht man Radioaktivität nicht? Warum helfen Jodtabletten? Fakten zu vermitteln, sei nicht das Problem, sagt Kling - bis vor ein paar Jahren stand "Kernchemie" auf dem Lehrplan des Chemie-Leistungskurses.

Schwieriger ist da schon die politische Diskussion. Fast alle Schülerinnen hatten im Unterricht für den sofortigen Atomausstieg votiert. Aber warum, hat Kling sie gefragt, sind wir überhaupt so abhängig vom Atomstrom? Weil wir zu sorglos umgehen mit der Energie. Dann sprachen sie übers Stromsparen, und Kling hatte den Eindruck, dass manche Schülerinnen überrascht waren, als er ihnen erklärte, dass jeder Klick im Internet Strom verbraucht. "Und zwar gar nicht wenig." Hatten sie früher dieses Thema, drehten Schülerinnen danach die Heizungen im Schulhaus runter, knipsten das Licht dort aus, wo es gerade nicht gebraucht wurde. Zwei Wochen habe die Begeisterung fürs Stromsparen meist angehalten, sagt der Lehrer.

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