Längst ist mit dem demografischen Wandel auch eine neue Großeltern-Generation in der Kinderliteratur angekommen: „Altwerden ist ja zum Glück längst keine Verpflichtung zum Vernünftigsein mehr“, sagt etwa Jörg Steinleitner über seine eigenwillige Oma als Bandenchefin. Auch die Opas agieren unkonventionell: Bei Franziska Gehm trainiert der Opa einen humanoiden Roboter mit Schallplatten und Sponti-Sprüchen aus den Achtzigerjahren. Beim Autorenpaar Lisa-Marie Dickreiter und Andreas Götz stellt sich der Opa bereitwillig als „Feind“ einer ganzen Kinderbande entgegen, „frei von jeglichen pädagogischen Interessen“, sagt Dickreiter. Welche Großeltern-Figuren Autoren und Autorinnen aus München und Bayern in ihren neuen Kinderbüchern auftreten lassen – und was ihre Schöpfer über diese zu sagen haben.
Die Abenteuerlustige

Omas verfügen über allerlei Vorzüge, stellen die kindlichen Helden in Jörg Steinleitners witzigem Action-Krimi „Die Oma-Bande. Detektive mit Spürschwein“ (Arena 2025) fest: Sie haben schon viele Abenteuer überstanden, sind „stinkemutig“, kennen „ausgefuchste Tricks“ und können bestens heimlich ermitteln, weil sie meist nicht auffallen. Wenn sie dann auch noch wie die Oma der zehnjährigen Konradine ein Plädoyer für Blödsinn halten – „den muss man machen, wenn man jung ist, weil die Leute einen doof anschauen, wenn man alt ist“ – sind sie ein Glücksfall für jede Detektivbande. Klar, dass sie mit den Kindern erfolgreich auf Verbrecherjagd geht, auch wenn sie mal versehentlich Suppe aus Pantoffeln statt Kartoffeln kocht.
„Ich meine, dass es sehr viele solche Omas gibt, die selbst abenteuerlustig sind und gleichzeitig erkennen, dass in die Leben der Kinder immer mehr erwachsene Realität eindringt. Da müssen Omas, Opas und alle anderen Erwachsenen dagegenhalten. Denn ein Kind ist immer noch ein Kind – die Kindheit ist zum Spielen da. Alles, was danach kommt, ist kompliziert genug“, sagt der im südlichen Oberbayern lebende Jörg Steinleitner. „Diese abenteuerlustigen Omas werden im Übrigen immer mehr. Das Altwerden ist ja zum Glück längst keine Verpflichtung zum Vernünftigsein mehr. Diese Oma-Figur in meinem Kinderbuch ist eine kleine Hommage an alle Omas, die sich den kindlichen Blick bewahrt haben und zusätzlich ihre Lebenserfahrung in den Ring werfen.“
Seine eigenen Omas waren da noch „aus einem anderen Holz geschnitzt“, sagt Steinleitner. „Die eine war eine Bäuerin mit sieben Kindern und großer Verantwortung. Die andere war sehr liebenswert und backte den weltbesten Zwetschgendatschi. Leider ist sie viel zu jung gestorben. Ich habe meine Omas beide sehr geliebt. Omas und Opas übernehmen im Leben von Kindern Aufgaben, die niemand sonst übernehmen kann“, davon ist der Autor überzeugt.
Der Sponti

Während die zwölfjährige Ada sehr enttäuscht von ihrer neuen „Lern-Froindin“ ist, weil sich der humanoide Roboter als „Blöd-Bot“ entpuppt, beginnt ihr Opa, die lückenhafte Programmierung des Roboterjungen auf seine Weise zu vervollständigen: mit Sprüchen aus den Achtzigerjahren und alten Schlager-Schallplatten. Tatsächlich imponiert der vermeintlich peinliche Kerl dann auch noch Adas coolen Mitschülerinnen, den „Alpha-Girls“.
„Zwar mag ich in ‚Ada und die künstliche Blödheit‘ alle Figuren“, sagt die Münchner Autorin Franziska Gehm. „Aber der Opa ist schon ein heißer Kandidat für den Favoriten. Bei den Lesungen finden ihn die Kinder auch besonders spannend – zum einen lachen sie viel über ihn und seine komischen Sprüche wie ‚wer keine Feinde hat, ist ein Schlaffi!‘, zum anderen ist er ihnen mit seiner etwas barschen Art auch nicht ganz geheuer. Genau das mag ich an ihm, er fasst seine Enkelin nicht mit Samthandschuhen an, und zwar weil er sie so lieb hat. Er traut ihr etwas zu und ist mit seiner Lockerheit ein guter Gegenpart.“
Als Autorin freue sie sich darüber, eine Figur zu haben, „die ich so ungebügelt reden lassen kann und die auf Erziehungsratgeber pfeift. Adas Opa handelt lieber aus dem Bauch heraus und aufgrund seiner Lebenserfahrung. Genau wie Großeltern im richtigen Leben eine gewisse Freiheit im Umgang mit den Enkeln haben. Sie können den Enkeln zeigen, wie es auch und wie es anders geht.“
Spielen da auch eigene Erfahrungen mit hinein? „Ich hatte selbst einen Opa, der mich gerne ordentlich veräppelt hat – und das sind ehrlich gesagt die lebhaftesten und schönsten Erinnerungen, die ich an ihn habe.“ In Teil 2 von „Ada und die künstliche Blödheit“ (Fischer 2025) spielt Adas Opa sogar eine noch größere Rolle, da er seine Enkelin und den Roboterjungen „KB“ für einen Schul-Auftritt zum Thema Achtzigerjahre anleitet – wer könnte dazu besser geeignet sein?
Die Geisterseherin

In diesem „Sommer der unmöglichen Dinge“ wird das ohnehin trubelige Familienleben für die zehnjährige Ferris noch komplizierter. Ihre kleine Schwester will Verbrecherin werden, Onkel Ted und Tante Shirley trennen sich. Dazu kommen die Sorgen um ihre geliebte Oma. Die liegt fast nur noch im Bett und behauptet, einen Geist zu sehen, der auch noch einen schwer zu erfüllenden Auftrag für Ferris hat. Der für seine Übersetzungen mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnete Münchner Lyriker und Übersetzer Michael Gutzschhahn hat Kate DiCamillos Kinderroman ins Deutsche übertragen (dtv 2025).
Welche Rolle spielt für ihn Ferris’ Oma? „Während bei Ferris zu Hause alle verrückt spielen und überall Chaos herrscht, bleibt ihre Oma stets der ruhende Pol. Mit ihr kann Ferris reden, bei ihr kann sie sich anlehnen und Halt spüren. Dabei scheint auch sie nicht ganz normal, denn sie sieht einen Geist in ihrem Zimmer. Aber während alle anderen auf der Suche nach wilden Träumen der Selbstverwirklichung sind, geht es zwischen Oma und ihrem Geist – dem verstorbenen Mann – um Aussöhnung, Frieden finden, so wie ihn auch Ferris sucht. Und deshalb beginnt das Glück, das sich am Ende über der ganzen Familie ausbreitet, mit dem Entzünden der Kerzen am riesigen Kronleuchter, der ein Geschenk von Ferris’ verstorbenem Großvater an seine Frau, Ferris’ Oma, war“, sagt Gutzschhahn über diesen außergewöhnlich literarischen Kinderroman.
Der Philosophische

Die Münchner Autorin Sabine Bohlmann und die Illustratorin Simona Ceccarelli haben mit „In meiner Welt“ (Thienemann) ein philosophisch-poetisches Bilderbuch für die Kleinen über die großen Fragen des Lebens erschaffen. „Warum müssen Menschen sterben? Was wäre, wenn wir die Welt selbst erfinden könnten?“ Der kleine Bruno hat darauf eine klare Antwort: In seiner Welt wäre alles anders! Doch während er mit seinem Großvater über das Leben, die Vergänglichkeit und die Natur der Dinge philosophiert, erkennt er: Vielleicht ist die Welt genau richtig, so wie sie ist. Mit viel Empathie und Klugheit gestaltet Bohlmann einen berührenden Dialog zwischen Kind und Großvater über existenzielle Fragen.
„Der Großvater in meinem Buch nimmt die Fragen und Gedanken seines Enkels behutsam mit und spinnt sie weiter, ohne ihm das Gefühl zu geben, alles besser zu wissen“, sagt die Autorin. „Denn auch Opas haben nicht die Weisheit der Welt mit dem Löffel gegessen. Und doch sind sie natürlich ganz weise. Aber auch Kinder können weise sein, wie ich finde. Und vielleicht sollten wir uns die Welt viel öfter von ihnen erklären lassen. Und wenn jung auf alt trifft, ist das immer eine Bereicherung für alle Seiten.“ Gab es denn einen vergleichbaren Opa auch in ihrem Leben? „Leider habe ich meine Opas nie kennengelernt, weil sie früh verstorben sind. Aber ich habe mir als Kind immer vorgestellt, wie das wohl wäre.“ Nun, erfunden liest es sich auch sehr schön.
Der allerbeste Feind

Wenn Karlchen und ihre vier Freunde von der „Furchtlosen Hand“ einen Spielpartner suchen, kommt für sie nur einer infrage: „Opa“, sagte sie feierlich. „Willst du unser Feind sein?“. Schließlich hat ihr Opa „mehr verbotene Ideen im Kopf als alle Banden auf der ganzen Welt!“. Und tatsächlich macht ihr Opa mit – und auch noch Ernst. Als Gegner der „Furchtlosen Hand“ (die er immer mal wieder versehentlich als „Furchtbare Füße“ tituliert, aber so ist das nun mal mit Opa und den Namen) befeuert er seine Gegner mit so vielen Eiern, dass am Ende alle miteinander zur Strafe von Karlchens Mutter in das Wäschezimmer geschickt werden – um dort einen wahrlich furchterregenden Sockenberg zu sortieren.
„Karlchens Opa ist das, was die meisten Erwachsenen Kindern gegenüber nicht sind: frei von jeglichen pädagogischen Interessen. Er hat einen ‚gesunden‘ Egoismus, mit dem er Karlchen und ihre Bande immer wieder herausfordert. Aber gerade dadurch fühlen sich die Kinder von ihm besonders ernst genommen und ebenbürtig behandelt. In Karlchens Familie wiederum erdet Opa immer wieder Mamas oft überzogene Ansprüche an sich selbst als Mutter“, sagt Lisa-Marie Dickreiter über „Karlchen und die Furchtlose Hand“ (Arena 2025). Es ist die zweite Geschichte des bayerischen Autorenduos Lisa Dickreiter und Andreas Götz über Karlchens turbulente Welt zwischen Baumhaus und Hühnerstall – das erste Abenteuer wurde 2023 bereits mit dem Deutschen Kinderbuchpreis ausgezeichnet.
Der Ausreißer

Jonte ist erbost: Ihr Opa Peter soll ins Altersheim? Bloß, weil er 23 Gläser Senf im Vorratsschrank hat und sein Handy im Kühlschrank aufbewahrt? Damit ist seine Enkelin keineswegs einverstanden – und startet mit ihrem besten Freund Schippo eine Opa-Peter-Rettungsaktion, die alle an die Nordsee führt. In ihrem Kinderroman „Reißaus mit Krabbenbrötchen“ (dtv 2024) erzählt die Münchner Autorin Silke Schlichtmann von dem Thema Demenz. „Das hat mich schon lange beschäftigt, vor allem auch die Frage, was eine eventuell drohende Demenz sowohl für die Angehörigen als auch für die Betroffenen selbst bedeutet – welche Sorgen, Ängste, Hoffnungen und Handlungsmechanismen dies auslöst. All dem wollte ich mich schreibend annähern, aus der Perspektive eines Kindes, der Ich-Erzählerin Jonte, der ganz eigene Lösungswege in den Kopf kommen. Zugleich wollte ich aber auch die Gedanken und Gefühle des Großvaters und der Mutter berücksichtigen.“
Wichtig sei ihr dabei gewesen, die Geschichte nicht drückend und schwer zu erzählen, sondern – trotz aller Probleme – eine gewisse Leichtigkeit und etwas Witz hineinzubringen. „Was keinesfalls bedeutet, das Schwere nicht ernst zu nehmen“, sagt Schlichtmann. „Humor finde ich sowieso eine wichtige, im deutschsprachigen Literaturraum leider oft unterschätzte Kategorie; das Sommersetting, das Reißausnehmen von Enkelin und Opa hin zu einem Sehnsuchtsort trägt vielleicht auch ein bisschen zu einer Leichtigkeit des Schweren bei.“
Nonno Alfredo

Eigentlich tritt Opa Alfred die Italienreise mit Oma Erna und den Enkeln Max und Kati nur widerwillig an. Während Oma Erna sich darauf freut, ihre im Sprachkurs erworbenen Italienischkenntnisse anwenden zu können, „findet Opa es doof, wegzufahren, wenn man es zu Hause so schön hat. Opa würde am liebsten immer im Bayerischen Wald Urlaub machen, allein schon deswegen, weil er da versteht, was die Leute reden“, erzählt der sechsjährige Max. Er ist Titelheld einer Buchreihe von Rosi Hagenreiner im Volk Verlag, die in bullerbühaften „Lausbubengeschichten von heute“ Episoden aus einem Kinderleben auf dem bayerischen Land erzählt. Der zweite Band „Obacht, Max!“ erscheint jetzt in einer überarbeiteten und neu illustrierten Version.
Auf Elba erlebt Max, wie Opa Alfred mit seinem Werkzeugkoffer zum Hausmeister und Held des Campingplatzes mutiert, der Rutsche und Schaukeln, Schlauchboote und Sonnenschirme repariert. „Alle liebten Alfredo und er liebte inzwischen – ob ihr es glaubt oder nicht – Italien und Elba.“ Mit neuer Leibspeise, der „Leberkäspizza“.
Warum entschied sich die Autorin bei ihrer Max-Reihe für eine Großeltern-Enkel-Kombination? „Ein schrulliger Opa und eine etwas verrückte Oma hatten für mich beim Schreiben in puncto Witz und Unterhaltung viel mehr Potenzial als junge, moderne Eltern“, sagt die Autorin. „Deshalb habe ich Max mit seiner Schwester bei Opa Alfred und Oma Erna verortet. Alfred ist ein liebenswerter Großvater, zwar zuweilen etwas brummig und griesgrämig und Neuem gegenüber nicht gerade immer aufgeschlossen; er kann sich aber dann zuweilen mit der Situation sogar anfreunden“.
Viele ihrer Figuren hätten reale Vorbilder, verrät die ehemalige Realschullehrerin Rosi Hagenreiner, selbst dreifache Großmutter. „Fast alle Personen in den Geschichten gibt es wirklich. Es sind die Nachbarn aus Stephanskirchen und Umgebung, Freunde und Verwandte, die natürlich in Wirklichkeit nicht so dämlich und verrückt sind, wie sie in den Geschichten zum Teil beschrieben werden.“
Und ihr eigener Großvater? „Ich erinnere mich an meinen Opa, dem ich begeistert zugeschaut hab’, wie er einen Radi zu einer meterlangen Spirale geschnitten hat und mit dem ich als Kind immer unterwegs war, wenn er die Mäuse- und Wühlmausfallen auf der Wiese eingesammelt und anschließend den toten Tieren das Fell über die Ohren gezogen hat. Was er mit den Fellen letztendlich gemacht hat, entzieht sich heute leider meiner Kenntnis.“