Puppentheater:"Kinder sind die kritischsten Gäste überhaupt"

Puppentheater: Betreiber Mario Kasper mit den Puppen des Stücks hinter der Bühne.

Betreiber Mario Kasper mit den Puppen des Stücks hinter der Bühne.

(Foto: Florian Peljak/Florian Peljak)

Nein! Doch! Was? Wie Mario Kasper, in achter Generation Schausteller, junge Besucher fasziniert, die sonst oft am iPad hängen.

Von Philipp Crone

Das Kindergeschrei am Anfang ist keine Kunst. Da ist die Spannung ohnehin da. Die steigt ja schon, wenn die Gäste sich der Lincolnwiese in Obergiesing nähern, auf der Mario Kasper, 38, und seine Frau ihr Zelt aufgeschlagen haben. Das ist blaugelb und sieht aus, als hätte man eins vom Roncalli zu heiß gewaschen, so dass nur noch 130 Leute reinpassen. Spannung, Illusion und Faszination müssen aber nicht nur am Anfang, sondern auch noch nach einer Stunde da sein, zum großen Finale.

Kasper ist Teil der Illusion, etwa der, dass es sich bei seinem "Kinderbuch-Theater" um ein großes mit vielen Mitarbeitern handelt. Bis die Kinder an einem Samstag im Januar auf den blauen Plastikstühlchen hocken und mit von der Popcorntüte und dem Heizlüfter angewärmten Händen auf die Bühne hochstarren, sind aber nur seine Frau und er im Einsatz. Sie kassiert, er präpariert. Gummibärchen zum Essen oder Leuchtstangen zum Wedeln.

Puppentheater: Nur zwei Personen sorgen dafür, dass der Betrieb im Kinderbuchtheater reibungslos läuft.

Nur zwei Personen sorgen dafür, dass der Betrieb im Kinderbuchtheater reibungslos läuft.

(Foto: Florian Peljak/Florian Peljak)
Puppentheater: Seine Frau kassiert, Mario Kasper bereitet Popcorn zu und verkauft Luftballons.

Seine Frau kassiert, Mario Kasper bereitet Popcorn zu und verkauft Luftballons.

(Foto: Florian Peljak/Florian Peljak)

Das Zelt ist seit Langem mal wieder ausverkauft, sogar eine Zusatz-Vorstellung gibt es an diesem Sonntag, da kann einem das Popcorn schon mal anbrennen.

Kasper trägt ein Headset, er muss gleich auch noch das Publikum begrüßen und es zum Schreien bringen. Für einen, der den täglichen Auftritt kennt, ist das allerdings so normal wie Schokolade essen. Es reicht die richtige Frage.

Kasper stammt aus einer Zirkusfamilie, seine Großmutter ist mit 88 noch immer mit dem Münchner Handpuppentheater unterwegs. Man muss sich auf seine Erzählung verlassen, denn "alle schriftlichen Dokumente sind bei der Oma im Wohnwagen und die ist gerade ausnahmsweise im Urlaub", sagt Kasper.

Die erste Generation, damals noch mit Namen Richter, startete mit einem Bauerntheater im 19. Jahrhundert, Beruf, Begeisterung und Ausstattung wurden an die zunächst zwangsweise und später meist freiwillig mitfahrenden Kinder weitergegeben, auch an Kaspers Großeltern und Eltern, die sich in München niederließen.

Was nicht bedeutete, dass der Junge dort zu einer festen Schule gegangen wäre. "Mal eine Woche in Aubing, mal zwei in Haar." Gastschüler war Kasper, aber nur bis zur sechsten Klasse, da brach er ab. "Schreiben und rechnen habe ich von meinen Eltern gelernt." Die hatten ein Interesse daran, denn ohne kann man den Betrieb ja nicht weiterführen. Und ohne Reden erst recht nicht.

"Schneewittchen oder Räuber Hotzenplotz bringen uns nicht mehr so viel Zulauf"

Kasper klappt im warmgeheizten Zelt nun das Headset vor den Mund, tritt hinter der Süßigkeitentheke hervor und stellt sich vor die Bühne, deren noch geschlossener Glitzervorhang auf Kopfhöhe hinter ihm funkelt. "Sollen wir anfangeeeen?", ist die Frage, die von den Besuchern in den ersten drei Reihen mit Westkurvenlautstärke beantwortet wird. Kasper lächelt und verschwindet hinter der Bühne.

Puppentheater: "Das Neinhorn" beruht auf dem gleichnamigen Kinderbuch von Marc-Uwe Kling.

"Das Neinhorn" beruht auf dem gleichnamigen Kinderbuch von Marc-Uwe Kling.

(Foto: Florian Peljak/Florian Peljak)

Vorhang auf, eine Kasperl-Figur erscheint, die etwas tiefer spricht als der menschliche Ansager eine Minute zuvor. Kasperl erzählt kurz die Einleitung des "Neinhorn"-Buchs von Marc-Uwe Kling, einer Art Kinderbuchgeschichte für alle, geschrieben wie ein moderner Familienfilm: mit Witzen für die Kleinen, etwa über bunte Kothäufchen, für die Großen, etwa über eine Neinhorn-Geburt, oder für alle bei Protagonisten wie dem "Na und?"-sagenden Nahund oder eben dem Nein-sagenden Neinhorn.

Eine ideale Geschichte, um das Zelt vollzukriegen. "Schneewittchen oder Räuber Hotzenplotz bringen uns nicht mehr so viel Zulauf", sagt Kasper nach der Vorstellung. Ganz anders hingegen war's beim "Grüffelo", einem etwas dödeligen Ungeheuer. "Je bekannter die Figur, desto eher wollen die Kinder ihre Helden live sehen."

Da klärt sich dann auch gleich, ob man in Zeiten von allgegenwärtigen Digital-Geräten und Filmen daheim noch mit einem Theater bestehen kann, das auf einer Wiese im Regen steht. Aber in dem gastiert eben gerade das echte Neinhorn, glauben zumindest die Gäste in den vorderen Reihen, vornehmlich Kita- und Kindergarten-Kinder. Also macht sich die gehörnte Stabpuppe auf in ihr Abenteuer, trifft Reichhörnchen, Warummel und Wasbär mit den Stimmen der Kassiererin und des Popcornverkäufers.

"Die wollen ihre Helden live sehen"

Der Wasbär ist der heimliche Star im Zelt, und ein Geschenk für Kasper. Der heißt so, weil er dauernd "Was?" fragt, was bald alle mitschreien. Und da ist man bei der Kunst, Kinder bei der Puppenstange zu halten. "Es passiert schon mal, dass welche rumlaufen und das Interesse verlieren", sagt Kasper, "Kinder sind eben die kritischsten Gäste überhaupt." An diesem Sonntag bleibt es still bis zum Schluss, als die "Königsdochter", die immer "Doch!" sagt, gerettet ist.

Puppentheater: Betreiber Mario Kasper mit den Puppen des Stücks hinter der Bühne.

Betreiber Mario Kasper mit den Puppen des Stücks hinter der Bühne.

(Foto: Florian Peljak/Florian Peljak)

Die Kinderkarawane macht sich auf den Heimweg, manche ganz selig, weil sie die Neinhorn-Puppe noch anfassen oder gar ein Selfie mit ihr machen durften, und Kasper geht rüber zum Wohnwagen, eine Zigarette auf die erste ausverkaufte Vorstellung 2023 rauchen, die nächsten 250 in diesem Jahr können kommen.

Das Kinderbuchtheater spielt "Das Neinhorn" noch bis Sonntag, 29.1., dann vom 22.2. bis 26.2. "Die Familie Wutz", an der Lincolnstraße 60, Kontakt: kinderbuchtheater@gmail.com oder Tel.: 01575/2137828

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