Süddeutsche Zeitung

Kinderbetreuung:Eltern müssen wegen Kita-Platz nach Miesbach ziehen

Nach mehr als eineinhalb Jahren vergeblichen Wartens gab die Familie auf. Dafür verlangt sie nun Schadenersatz - und hat die Stadt verklagt.

Von Stephan Handel

Pedro ist jetzt drei Jahre alt, wahrscheinlich haben seine Eltern vor Kurzem Weihnachten aus dem Keller geholt, nun staunt der Bub über Kugeln und Zweige und Kerzen und freut sich auf die Geschenke. Dass sich mit ihm am Mittwoch eine ganze Kammer des Landgerichts beschäftigte, drei Berufsrichter immerhin, davon ahnt Pedro (Name geändert) sicher nichts. Es geht, wieder einmal, um das Kinderbetreuungs-Angebot und was die Stadt dafür tut, dass Eltern, so schnell sie wollen, wieder in ihren Beruf zurückkehren können.

Niemand kann Pedros Eltern vorwerfen, sie hätten sich nicht bemüht: Mitte August 2015 kam Pedro zur Welt, im Januar zuvor, als die Schwangerschaft noch recht frisch war, meldeten sie ihn beim Kita-Finder der Stadt an: Zum 1. September 2016, bei sieben Einrichtungen in der Nähe ihrer Wohnadresse trugen sie sich ein. Das sollte doch rechtzeitig sein, dachten sie wohl, auch wenn die Kita-Situation in München bekanntlich angespannt ist.

Pedro wuchs im Bauch seiner Mutter, von der Stadt hörten die Eltern nichts. Der Bub war schon fast ein halbes Jahr alt, als endlich einmal eine Mitteilung kam - darin stand aber nur, dass es nun den noch viel tolleren Kita-Finder+ gebe, allerdings seien die alten Anmeldungen dort nicht mehr gültig, bitte neu anmelden. Das taten sie dann auch. Im Sommer 2016, ein Vierteljahr, bevor Pedro in eine Krippe hätte kommen sollen, schickte die Stadt einen weiteren Brief: Die Eltern - beziehungsweise Pedro - seien weiterhin auf der Warteliste, um ihre Chancen zu vergrößern, sollten sie doch erwägen, noch andere Einrichtungen in ihre Liste aufzunehmen. Da hatten sie aber schon genug.

Mittlerweile hatten die Eltern sich nämlich bereits anderweitig umgeschaut - im Landkreis Miesbach hatten sie nicht nur ein Haus zur Miete gefunden, sondern auch eine Zusage für einen Krippenplatz. Zum 1. August 2016 zog die Familie um, und alles hätte eigentlich gut sein können.

Stattdessen aber wurde dieses Szenario nun am Mittwoch im Sitzungssaal 28 des Justizpalasts ausgebreitet. Die Eltern hatten nämlich ausgerechnet, dass der Umzug, ausgelöst durch die fehlende Kinderbetreuungsmöglichkeit, sie eine ganze Menge Geld gekostet hatte: Die Frau konnte nicht zu ihrem alten Arbeitgeber zurückkehren und musste einen neuen Job suchen. In der Zwischenzeit musste der Mann alleine Geld verdienen und konnte nicht, wie eigentlich geplant, in Elternzeit gehen. Das war nicht nur wegen seiner väterlichen Gefühle dumm, sondern auch, weil sie deshalb bereits erhaltenes Elterngeld zurückzahlen mussten. Insgesamt beziffern sie ihren Schaden auf fast 8000 Euro plus 500 Euro Rechtsanwaltsgebühren, die sie nun von der Stadt per Klage zurückerstattet haben wollen.

Die Rechtsanwältin der Stadt bediente sich in der Verhandlung zunächst des einfachsten juristischen Arguments: Der Anspruch auf Kinderbetreuung bestehe vom ersten Geburtstag des Kindes an. Zu diesem Zeitpunkt aber war die Familie schon aus der Stadt weggezogen, mithin sei diese auch nicht mehr zuständig. Dass Frank Tholl, der Vorsitzende Richter, auf diesen Gesichtspunkt überhaupt nicht einging, könnte zeigen, dass er ihm kein großes Gewicht zumisst. Und dass die Eltern nicht bis zum letzten möglichen Termin warten, bis sie sich nach Alternativen umsehen, ist verständlich.

Das Problem, juristisch, scheint ein ganz anderes zu sein: Zwar wird bei der Anmeldung im Kita-Finder darauf hingewiesen, dass diese Anmeldung nicht die Geltendmachung eines Anspruchs bedeutet. Aber: Muss ein Laie erkennen, dass er diesen Anspruch explizit erklären muss, ein Anspruch, der immerhin seit 2013 im Sozialgesetzbuch steht? Müsste die Stadt ihre Schreiben nicht so formulieren, dass auf die juristischen Notwendigkeiten hingewiesen wird und darauf, dass ohne expliziten Bezug auf den Anspruch die Bewerber nur auf eine mehr oder weniger unverbindliche Warteliste gesetzt werden?

Zu einer Lösung kam die Kammer am Mittwoch noch nicht, die Anwältinnen wollen zudem noch Schriftsätze einreichen. So wird das Gericht entscheiden, wenn Pedros Weihnachten schon lange wieder im Keller verpackt ist.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4240569
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 06.12.2018/haeg
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.