Kinderbetreuung:"Ausstattung allein reicht nicht"

Kinderbetreuung: Fabienne Becker-Stoll ist Psychologin und seit 2006 Direktorin des Staatsinstituts für Frühpädagogik in München.

Fabienne Becker-Stoll ist Psychologin und seit 2006 Direktorin des Staatsinstituts für Frühpädagogik in München.

(Foto: Johannes Mairhofer)

Eine Psychologin erklärt, was die Qualität einer Kita ausmacht

Interview von Melanie Staudinger

Zwar ist es in München schwierig, einen Kita-Platz zu finden. Die große Verzweiflung unter Eltern ist bislang aber ausgeblieben. Doch selbst wer eine Einrichtung gefunden hat, fragt sich meist, ob diese auch gut ist. Warum man seinem Bauchgefühl trauen sollte, erklärt die Psychologin Fabienne Becker-Stoll.

SZ: Woran erkennt man eine gute Kita?

Fabienne Becker-Stoll: Die erkennen Eltern daran, dass es ruhig, heiter und herzlich ist. Man erkennt sie an der Freundlichkeit und der Feinfühligkeit, mit der das pädagogische Personal jedem Kind begegnet. Ein gutes Zeichen ist auch, wenn das Kind gerne hingeht und man selbst gerne noch dort verweilen möchte.

Lässt sich die Qualität in Kitas messen?

Klar, anerkannte Beobachtungs- und Einschätzungsskalen erfassen strukturelle Rahmenbedingungen wie die Anzahl der Kinder oder der Fachkräfte, die räumlichen Gegebenheiten und die Art der Ausstattung, der Aktivitäten und der Pflegeroutinen. Gleichzeitig ist aber die Art und Weise, wie die Erzieherinnen mit den Kindern umgehen, extrem wichtig. Ausstattung allein reicht nicht. Bei unseren Studien haben wir festgestellt, dass es Einrichtungen mit tollen Turnhallen gibt, die jedoch nur einmal die Woche für eine halbe Stunde aufgesperrt werden.

Um die Bedingungen drehen sich aber fast alle politischen Diskussionen?

Ja, dabei ist viel ausschlaggebender, wie das pädagogische Personal auf die emotionalen und körperlichen Grundbedürfnisse des Kindes eingeht. In unseren Studien gab es beengte Einrichtungen, die hervorragend mit den Kindern gearbeitet haben. Und andere, die die buchstäblichen vergoldeten Wasserhähne hatten, die Interaktionsqualität mit den Kindern aber grauenhaft war. Auch kann es innerhalb einer Einrichtung von Gruppe zu Gruppe große Unterschiede geben. In der einen Gruppe wollen die Kinder gar nicht heim, in der anderen herrscht Gezeter und Geheule.

Qualität steht und fällt also mit den Erziehern?

Letztlich kommt es auf die Erzieherin an. Nur wenn sich ein Kind gut aufgehoben fühlt, kann sein Vertrauen wachsen. Es ist eine Frage der professionellen Beziehungsgestaltung. Die Verantwortung für das Gelingen der Beziehung liegt bei der Erzieherin und nicht beim Kind.

Woran liegt es, dass es in manchen Kitas an der Qualität mangelt?

Die Aufmerksamkeit der Fachkräfte ist nicht auf die Bedürfnisse der Kinder ausgerichtet. Nach dem Pisa-Schock zählte zum Beispiel auf einmal nur noch Bildung, Bildung, Bildung. Das emotionale Lernen wurde dabei außer Acht gelassen. In München kommt der Personalmangel dazu. Wenn es zu wenige Erzieherinnen gibt, müssen die bestehenden Mitarbeiter mehr Aufgaben übernehmen. Obwohl die Stadt München keine Bemühungen unterlassen hat, Erzieherinnen anzuwerben, teilt sie dieses Schicksal mit anderen Ballungszentren.

Sind Kitas auf dem Land besser?

Nein, nur weil genügend Personal da ist, heißt das nicht automatisch, dass alles toll ist. Gerade in ländlichen Gebieten herrschen in Kindertagesstätten manchmal noch veraltete Ansichten vor, etwa dass man das Kind nicht verhätscheln darf oder dass es keine Eingewöhnung braucht.

Der Ausbau der Kinderbetreuung verlief plötzlich relativ schnell. Ging Quantität hier Ihrer Ansicht nach vor Qualität?

Beim Ausbau stand vor allem der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz im Vordergrund. Das hat nicht nur zum Personalmangel geführt, sondern auch dazu, dass Mitarbeiter eingestellt wurden, die sonst vielleicht keine Anstellung gefunden hätten. Da fällt es natürlich schwerer, die Qualität aufrecht zu erhalten.

Was muss in Zukunft passieren?

Die Qualität muss sich vom Kind und seinen Bedürfnissen ableiten. Die Kompetenzen, die Fachkräfte brauchen, um Kinder sowohl emotional als auch in ihrer Bildung gut zu begleiten, lassen sich in Fortbildung und Beratung gut erlernen und trainieren. Wenn wir die Aufmerksamkeit wieder stärker auf das Wohlergehen der Kinder lenken, wird Qualität für Kinder täglich erlebbar - von der morgendlichen Begrüßung bis zur nachmittäglichen Verabschiedung.

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