Süddeutsche Zeitung

Kinderarmut in München:Ein Menü für einen Euro

Fast Food und Tiefkühlpizza - das ist die Standardernährung von armen Kindern. Dass es auch anders geht, lernen die Jugendlichen bei einem Kochkurs im Hasenbergl.

Beate Wild

Auf dem Menü steht heute eine Gemüsesuppe mit Kräutern der Saison, Puten-Cordon-Bleu mit Käse-Bärlauch-Füllung und Kartoffelsalat, sowie Ananas mit Erdbeerquark als Dessert. Eifrig bestückt Feliciana zuerst die Putenschnitzel, dann schnappt sie sich ein Messer und hilft Giuliano und Amal, den Berg Kartoffeln für den Salat zu schälen. Später wäscht und zerkleinert sie die Erdbeeren für den Nachtisch. Es herrscht ein reger Betrieb in der Küche des Jugendzentrums Neuland.

Etwa 20 Jugendliche treffen sich hier jeden Freitagnachmittag, um zusammen zu kochen. Es sind Kinder aus der Umgebung, aus dem sozialen Brennpunkt Hasenbergl. Sie stammen alle aus Familien mit finanziellen Problemen, die meisten haben einen Migrationshintergrund.

Im Neuland sollen sie lernen, wie man sich mit wenig Geld und einfachen Mitteln gut und ausgewogen ernähren kann. "Die meisten ärmeren Kinder bekommen zu Hause doch nur Fertigpizza, Hamburger oder Döner zu essen", sagt Petra Windisch und schaut besorgt in die Runde. Sie ist die Vorstandsvorsitzende der Organisation "Deutsche Lebensbrücke", die den wöchentlichen Kochkurs finanziert.

Etwa 30 Euro kostet das Essen für die 20 bis 30 Jugendlichen. Kaum zu glauben, wie man mit so wenig Budget ein derartiges Menü zaubern kann. Das Kunststück bringt Inge Beck fertig. Die pensionierte Grundschullehrerin leitet - im Wechsel mit einem anderen Koch - den Kurs alle zwei Wochen. "Es fordert Zeit und strategisches Denken, für wenig Geld geschickt einzukaufen", gibt sie lachend zu. Oft bringt sie auch Kräuter und Gemüse aus den eigenen Garten mit, das drückt die Kosten. Das pädagogische Geschick, dass sie im Laufe ihres Lehrerdaseins erworben hat, kommt ihr hierbei zu Gute.

In der Zwischenzeit bereitet Giuliano Mehl, Eier und Semmelbrösel für das Panieren der Schnitzel zu. "Er ist einer meiner eifrigsten Helfer", lobt Beck den 17-Jährigen. Giuliano ist schon seit eineinhalb Jahren, seit es den Kochkurs gibt, regelmäßig dabei. Mittlerweile kocht er auch zu Hause das eine oder andere Gericht nach. "Daheim gibt es bei uns sonst nur Fertiggerichte", sagt er.

Amal ist erst 14 Jahre alt, sie kommt seit einem Jahr zum gemeinschaftlichen Kochen. "Ich komm mit meinen Freundinnen, das ist immer sehr lustig", erzählt sie begeistert. Dann beginnt sie zusammen mit Beck die Schnitzel in zwei Pfannen herauszubraten.

Die Jugendlichen schauen spontan vorbei

Das Jugendzentrum Neuland ist die ganze Woche über geöffnet. Es liegt mitten im Neubaugebiet "Nordheide". Auf dem Gelände der ehemaligen Panzerwiese entstanden hier 2007 neue Wohnungen nach dem so genannten München-Modell. Das heißt, ein Teil sind Sozialwohnungen, in denen Hartz-IV-Empfänger leben, der andere Teil ist von jungen Familien als Eigentumswohnungen zu speziellen Konditionen gekauft worden. Die Stadt will keine Ghetto-Bildung, deshalb diese Mischform.

Die anderen Angebote im Neuland, die es neben dem Kochkurs gibt, werden von der Stadt München finanziert, etwa die Schreinerwerkstatt, der Mädchentag am Dienstag, ein Ausflug in den Zoo oder PC-Kurse. Teenager zwischen elf und 18 Jahren können hier einfach vorbeischauen, spontan, ohne vorherige Anmeldung. "An die 60 Jugendliche kommen regelmäßig zu uns", sagt Clemens Bartmann, der Leiter vom Neuland. Nachmittags zwischen 15 und 20 Uhr herrscht hier reger Betrieb.

Erstaunt blickt Feliciana auf die Blätter, die Inge Beck in ihrer Hand hält. "Das ist der echte Bärlauch", erklärt Beck der 17-Jährigen. Um den Vergleich zu verdeutlichen hat sie extra auch ein Maiglöckchen mitgebracht, das dem Bärlauch zum Verwechseln ähnelt, aber höchst giftig ist. Erst vor kurzem ist ein Rentner in München gestorben, weil er sich mit falschem Bärlauch vergiftet hat. Beck will die Kinder nun für diese Gefahr sensibilisieren. "Ich versuche den Jugendlichen immer etwas über Kräuter und Gemüse der Saison beizubringen", sagt sie.

Die meisten von ihnen kennen selbst gängige Sorten nicht, da sie zu Hause nie mit frischem Obst und Gemüse konfrontiert werden. "Traurig und alarmierend" findet das Inge Beck. Für den Kochkurs arbeitet sie ehrenamtlich, das heißt, dass sie für ihre Arbeit nur eine kleine Aufwandsentschädigung bekommt. "Es macht mir große Freude, mit den Kindern zu kochen", sagt sie. Die meisten sind mit großem Eifer bei der Sache.

Die Deutsche Lebensbrücke, die in diesem Jahr ihr 20-jähriges Bestehen feiert, finanziert den Kochkurs im Neuland mit Spendengeldern. Außerdem engagiert sich der Verein mit einem täglichen Mittagstisch für bedürftige Jugendliche in der Kinder- und Jugendfarm Ramersdorf. Seit 2003 gibt es das Projekt KidAiD der Deutschen Lebensbrücke gegen Kinderarmut in Deutschland.

Die Zahl sozial benachteiligter Kinder ist erschreckend. Alleine in München sind derzeit laut Armutsbericht der Stadt etwa 21.000 Kinder von Armut betroffen, 2004 waren es nur 14.300. Die Zahl ist dramatisch gestiegen. Eine weitere Zunahme ist aufgrund der aktuellen Wirtschaftskrise zu befürchten.

"Die Armut sieht man den Kindern zunächst nicht an", erklärt Windisch. Die Jugendlichen tragen Jeans und Pullis wie andere Teenager auch. Aber wenn es an gesunde Ernährung sowie Zugang zu Kultur und Bildung gehe, seien diese ganz klar benachteiligt. Sich ein Buch zu kaufen, ins Kino oder ins Schwimmbad zu gehen, ist für diese jungen Menschen unmöglich. Es fehlt schlicht und ergreifend das nötige Kleingeld. Selbst in einer so wohlhabenden Stadt wie München gibt es genügend Familien, die mit Mühe und Not über die Runden kommen.

Laut Armutsbericht der Stadt München sind die Bezirke mit der höchsten Armutsquote Ramersdorf, Perlach, Milbertshofen, Am Hart, Feldmoching und Hasenbergl. Etwa ein Drittel der dort lebenden Münchner gelten als arm. Im Hasenbergl entspricht das übrigens ziemlich genau dem Ausländeranteil des Viertels.

Spenden sind schwer zu akquirieren

Für den täglichen Mittagstisch in Ramersdorf muss die Deutsche Lebensbrücke 500 bis 600 Euro im Monat aufbringen. "Wir würden den Kindern gerne auch eine Hausaufgabenbetreuung anbieten, das würde weitere 600 Euro kosten. Doch dafür fehlt leider das Geld", sagt Windisch.

Um Spenden zu akquirieren greifen die Mitarbeiter des Vereins schon mal zum Telefonhörer und rufen einfach Nummern aus dem Münchner Telefonbuch an. Das sei mühselig, aber die Spenden würden einfach so dringend gebraucht, dass man keine andere Möglichkeit sehe. Die Organisation will in Bereichen helfen, für die die Stadt kein Geld mehr übrig hat.

München gibt im Jahr 40 Millionen Euro für soziale Belange aus. Für dieses Jahr hat Oberbürgermeister Christian Ude eine Haushaltssperre verhängt, weil mit einem Einbruch der Gewerbesteuereinnahmen in Höhe von 1400 Millionen Euro zu rechnen ist. Mit einer Erhöhung des Sozial-Etats kann also nicht gerechnet werden.

"Essen ist fertig", ruft Inge Beck und fängt an, mit ihren jugendlichen Helfern den großen Holztisch zu decken. Langsam kommen alle näher, lassen den Kicker, der im Neuland eine der Hauptattraktionen ist, links liegen, und setzen sich erwartungsvoll an die Tafel. Feliciana verteilt die Suppe und Minuten später kehrt eine außergewöhnliche Stille ein im sonst so quirligen Jugendzentrum. Alle löffeln ihre Suppe. Die Gesichter, in die man blickt, sehen zufrieden und glücklich aus.

Weitere Infos: www.lebensbruecke.de

Spendenkonto: Dresdner Bank München, BLZ 700 800 00, Konto 321 700 000

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