Das Schlüsselwort ist "Stopp". Die Kinder der Klasse 1a der Giesinger Ichoschule sitzen in der Turnhalle im Kreis, vor sich rot-grün-gestreifte Bilder von Kinderkörpern. Die Farben haben sie selbst in die Umrisse gemalt. Diese Hausaufgabe hat Trainer Thorsten Schlieper ihnen gegeben.
Sie sollten farblich darstellen, an welchen Stellen ein anderer sie anfassen darf - und an welchen nicht. Grün sind bei den meisten die Schultern gemalt oder die Arme. Manche haben das Gesicht rot gefärbt, die Brust. Den Bereich, "wo die Unterhose ist", wie einer der Buben es ausdrückt, haben alle rot angemalt. Versucht jemand, diese Stellen zu berühren, ist ein lautes "Stopp" fällig, begleitet von einer eindeutigen Geste. Das trainieren sie mit Freude. Der erste Schritt, um eines der "Cool Strong Kids" zu werden.
"Ich bin unschlagbar" ist das Motto von Cool Strong Kids, einem Gewaltpräventionsprojekt für Schulen. Der 45-jährige Ramersdorfer Matthias Hummel hat es ausgetüftelt und aufgebaut. Dabei ist Hummel kein Sozialpädagoge oder Psychologe. Der Vater von zwei Kindern, war im Vorstand einer Aktiengesellschaft. Er arbeitete viel und sah seine Kinder selten: "Die kannten mich nicht wirklich." Als es der Firma schlecht ging, nutzte er das für einen Neuanfang.
Bewusst stieg der Mann aus, wurde zunächst hauptberuflich Vater, ehrenamtlich Vorstand eines Elterninitiativ-Kindergartens. Als er erfuhr, dass die Ichoschule nach einem wirklich guten, brauchbaren Ansatz in der Gewaltprävention suchte, bot der erfahrene Kung-Fu-Lehrer spontan seine Hilfe an. Sein Ansatz: "Was erwarte ich als Vater?" Sein Werkzeug: Lebenserfahrung und gesunder Menschenverstand und die Fähigkeit, sich in eine Aufgabe so richtig reinzuknien.
Er habe drei Monate lang versucht, den Bereich der Gewaltprävention zu verstehen und gute Ansätze entdeckt, doch meist eher "wie Inseln": Der eine kümmere sich nur um Mobbing, der andere Anbieter um Missbrauch, der nächste nur um Kleinkinder. Schnell sei ihm klar geworden, dass es einen gemeinsamen Nenner gibt, sagt Hummel: "Gefühle. Sie erkennen, sie artikulieren und entsprechend zu handeln". Auf dieser Grundlage entwickelte der Autodidakt umfassende Module. "Wie funktioniert meine innere Alarmanlage? Wie gehe ich mit Geheimnissen um?" Solche Fragen verwandelte er in Lerneinheiten, in Spiele, Hausaufgaben für Kinder und Eltern, Infos für Lehrer und Schulleiter. Acht Stunden in jeder Grundschul-Jahrgangsstufe sind inzwischen vorgesehen.
Das Programm, das Hummel immer weiter verbessert hat und für das er mittlerweile einen zwölfköpfigen Trainerstab aus- und weiterbildet, geht bereits in die sechste Generation, immer mehr Schulen auch außerhalb Münchens zeigten Interesse. "Das ist genau, was ich immer gesucht habe", hat neulich ein Schulleiter zu ihm gesagt. Doch Hummel war nicht sofort zufrieden: Dass nur die Kinder kommen sollten, deren Eltern die moderate Kursgebühr tragen können, gefiel ihm nicht.
Der Macher will nun durch Sponsoring möglich machen, dass ganze Klassenverbände zum Cool Strong Kids-Training kommen können. Hummel bringt das Geld für sein Angebot gleich mit. Er hat prominente Unterstützer gefunden wie etwa Susanne Porsche oder auch die Sternstunden des Bayerischen Rundfunks. Marketing, das liegt ihm: "Ich kann nicht sagen, ich mach es halb", bekennt er. Und er überzeugt auch die Geldgeber mit seinem Konzept.
In der ersten Jahrgangsstufe geht es um die Grundlagen, um Kinderrechte, Gefühle. Besonders wichtig sind in dieser Phase die Eltern, denen die Trainer zur Freude der Kinder auch kleine "Hausaufgaben" mitgeben: "Die Kinder brauchen Vertrauenspersonen", sagt Hummel. In der zweiten Klasse geht es um Mobbing in den Klassen, auf dem Schulhof, in der Freizeit. Gewalt, die von Erwachsenen kommt, ist Schwerpunkt im dritten Kurs. In der Vierten wird dann alles noch einmal vertieft. Hummel ist sicher, dass Kinder das richtige Verhalten ganz genauso lernen können wie das falsche: Durch Vorbilder, durch Erfahrungen. Er steht zu seinen Grundlagen: "Ich würde es heute nicht anders machen", sagt er selbstbewusst.
Martin Rothenaicher, Rektor der Ichoschule, ist stolz: "Wir sind die Wiege des Projekts", erzählt er. "Es führt zu Selbstsicherheit und Selbstvertrauen." Duckmäuserei werde bekämpft, gerade Mädchen mit Migrationshintergrund brächten oft eine viel zu hohe Toleranzschwelle mit. Dass nun alle, unabhängig vom finanziellen Background, mitmachen können, findet Rothenaicher wunderbar. Den meisten Kindern macht das Ganze Spaß. Manche der Kleinen aber haben ungute Erfahrungen gemacht. Sie nicht allein zu lassen, gehört mit zum Auftrag, den Hummel zu seinem gemacht hat. Die Trainer sind geschult darin, Missbrauchs-Anzeichen zu erkennen, aber sie wissen auch, wo ihre Grenzen sind und Profis helfen müssen.
Trainer Thorsten Schlieper übt mit den Kindern gerade Gefühle-Vorspielen und Gefühle-Raten. Die Kinder sind gut darin. Aber wenn in Zukunft einer sie angreift, dann wissen sie auch, wie sie ihren "inneren Gorilla" aufpumpen können: Hände vor und ganz laut schreien: "Stooooop!"